Das Verwaltungsgericht Berlin hat der dortigen Polizei gerade erst den Spaß verdorben. Friedliche Demonstrationen, so das Urteil, dürfen nicht per Video überwacht werden. Jetzt stellt sich die Frage, wie man die ganzen Filmtrupps künftig sinnvoll beschäftigt. Macht ein Gericht sich hierüber eigentlich keine Gedanken?
Demnach überrascht es nicht, dass der Berliner Innensenator angesäuert reagiert. Er teile die Rechtsauffassung des Gerichts nicht, lässt er verbreiten. Man kann die hängenden Mundwinkel förmlich vor sich sehen. Wenn das Urteil Bestand hat und sich seine Rechtsauffassung somit als falsch erweist, will der Senator das – natürlich – auch nicht akzeptieren. Er wird dann nicht seine Rechtsauffassung ändern, sondern das Gesetz. So lässt sich weiter „Gefahrenabwehr“ gegenüber friedlichen Demonstranten betreiben, die nichts weiter machen als ihr Grundrecht auszuüben. Und zwar mindestens so lange, bis ihn ein Verfassungsgericht bremst. Also noch Jahre.
In diesem Kontext flashte dann heute nachmittag eine Meldung durch meinen Reader. Ich habe nicht auf die Quelle geschaut, dachte aber, die Titanic oder ein Satireblog bastelt sich ein schales Follow up aus der Berliner Geschichte. Die Hannoveraner Polizei, so war zu lesen, möchte Demonstranten Trillerpfeifen, Trommeln und Megafone verbieten. Weil die Polizisten auf Demos den Lärm nicht vertragen. Das Wort Arbeitsschutz wurde im Text hervorgehoben. Ich habe achtlos weiter geklickt.
Kleines Problem, insbesondere für Menschen, die von Satire leben und deren Geschichten vom wahren Leben qualitativ immer wieder überholt werden – die Meldung stimmt. Jedenfalls steht sie in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung und wird überdies von ddp verbreitet. Die Polizei in Hannover möchte demnach für eine Demo am 7. August tatsächlich Auflagen erlassen, weil sie „ohrenbetäubenden Lärm“ erwartet.
Bei einem ähnlichen Protestzug, so lautet die Klage, hätten Teilnehmer „mit Trommeln, Trillerpfeifen und Topfdeckeln“ Krach gemacht. Man stelle sich das mal vor! Anlass dieses bösen Tuns war auch noch ein umstrittenes Adventskonzert, bei dem eine Kapelle der Bundeswehr vermutlich ebenfalls Geräusche emittierte. Ein Verbot von Bundeswehrkapellen wird aber wohl aktuell dennoch nicht diskutiert.
Dieser Schritt war natürlich längst überfällig. Immerhin ist seit Jahren bekannt, dass immer wieder Polizeibeamte dienstunfähig werden, weil sie bei Demonstrationen Lärm ertragen müssen. Laut Studien, von denen dummerweise noch keine einzige online Erwähnung gefunden hat, ist Demonstrationslärm viiiiiiiiiiiel gefährlicher als der Krach an belebten Kreuzungen, auf Großbaustellen und am Flughafen, bei Einsätzen in Fußballstadien und wenn Marius Müller Westernhagen die AWD-Arena rockt.
Praktischerweise schließt sich hier auch der Kreis. Die künftig unbeschäftigten Videotrupps werden umgeschult und ins SEK Phono überführt. Der Aufwand dürfte sich in Grenzen halten. Ein paar Säckchen zum hygienischen Konfiszieren der Lärmwaffen sind überdies schnell angeschafft.
Man wundert sich angesichts dessen geradezu, dass bislang noch nicht einmal die Polizeigewerkschaften dieses brandheiße Thema aufgegriffen haben. Diese Organisationen sind doch normalerweise an vorderster Front, wenn es darum geht, alle jene ihrer Schäflein nachträglich zu schützen, welche als junge Menschen die Stellenausschreibung nicht richtig lasen und dachten, die Entscheidung für den Polizeiberuf ist eine Garantie auf lebenslanges Sesselpupsen hinter dem Schreibtisch in einem überdimensionierten Verkehrskommissariat.
Insgesamt also ein wichtiger, richtiger und vor allem überfälliger Schritt. Immerhin steht ja nirgends geschrieben, dass Demonstrationsfreiheit auch das Recht beinhaltet, laut und unbequem zu sein, damit die Öffentlichkeit auch auf das Anliegen der Demonstranten aufmerksam wird. Oder will ernsthaft jemand ernsthaft behaupten, Krach könne ein legitimes Mittel des demokratischen Diskurses sein?
Na ja, eigentlich steht das schon geschrieben. In Gerichtsurteilen und juristischen Kommentaren zum Thema. Vielleicht sollte man es den Verantwortlichen mit dem Megafon vorlesen. Aber dann bitte schnell, so lange es noch geht. Draußen darf es dabei aber auch nicht zu heiß oder zu kalt sein. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Feinstaubbelastung nicht über dem langjährigen Durchschnitt des Ostallgäus liegt. In solchen Fällen, so ist zu hören, sollten Demonstrationen nämlich aus Gründen des Schutzes vor Arbeit ebenfalls komplett verboten werden.
Ein zu diesen Fragen bereits in Auftrag gegebenes Gutachten soll sogar früher vorliegen als geplant. Der Autor, ein gewisser Prof. Schreckenberger, hat kurzfristig Kapazitäten frei.