Im Rechenschaftsbericht für seinen Wahlkreis Essen I/Mülheim II hat der damalige SPD-Landtagskandidat Thomas Kutschaty behauptet, das Justizressort in Nordrhein-Westfalen glänze durch „durch Pleiten, Pech und Pannen“.
Jetzt ist Kutschaty NRW-Justizminister.
Wir sprachen mit ihm.
Herr Kutschaty, warum tun Sie sich das an?
Ich habe nicht das ganze Haus gemeint. Das neue Amt ist eine große Herausforderung für mich, als Politiker und Jurist.
Im Rechtsausschuss des Landtags war der Poltiker Kutschaty bislang kaum aktiv.
Das stimmt so nicht. Und auch Frau Kraft hat das wohl anders gesehen. Wir hatten im Ausschuss eine klare Aufgabenverteilung.
Was befähigt Sie zum Justizminister?
Ich habe eine 13-jährige juristische Praxis, war Rechtsanwalt in Essen-Borbeck, habe unterschiedlichste Erfahrungen gesammelt.
Dann wissen Sie, wie unzumutbar lange Bürger auf Verhandlungen und Urteile warten. Wann und wie werden Sie das ändern?
Eine Beschleunigung ist immer gut, dabei dürfen aber Verfahrensrechte Betroffener nicht auf der Strecke bleiben. Ich will in erster Linie eine andere Führungskultur erreichen und damit alle Mitarbeiter motivieren. Wir sind bei der Justiz für die Bürger da, wir müssen an einem Strang ziehen. Ich will aber auch den stärkeren Einsatz von Informationstechnologie fördern. Warum ist ein Sitzungsprotokoll erst nach drei Wochen fertig? Das kann schneller gehen!
Die Menschen hinter der Technologie sind zermürbt.
Den Eindruck habe ich bislang nicht. Ich gehe demnächst auf eine Justiz-Rundreise. Ich will Betroffene zu Beteiligten machen und mit ihnen die Abläufe analysieren. Viele freuen sich schon über ein solches demokratisches Miteinander.
Wenn jemand alkoholisiert am Steuer erwischt wird, soll ein Polizeibeamter die Blutprobe anordnen? Oder bleibt es beim Vorbehalt des Richters?
Der Richtervorbehalt ist zwingend notwendig!
Wie soll das am Abend und in der Nacht funktionieren?
Das prüfen wir gerade, auch ob es zu einer Ausweitung der Dienstzeiten für Richter kommen muss. Eine Erreichbarkeit muss gewährleistet sein. Ich setze dabei auf Erfahrungen und Einsichten. Auch an gesetzgeberische Möglichkeiten ist zu denken.
Und wann und wie machen Sie die Gefängnisse sicher? Jeden Tag sind 700 Bedienstete des Justizvollzugs krank.
Es gibt kein Patentrezept. Aber wenn jeder zweite der Kranken wieder im Dienst wäre, hätten wir kein Personalproblem im Vollzug. Die seelische Belastung ist verdammt anstrengend. Dazu bin ich auch mit den Gewerkschaften im Gespräch. Notfalls könnte ich mir vorstellen, dass da Psychologen helfen.
Die Sicherheitsstandards im Vollzug werden gerade überprüft, danach sind gegebenenfalls noch weitere Optimierungen nötig. Ich will aber auch Zukunftsperspektiven für Gefangene schaffen. Die dürfen nach ihrer Entlassung nicht allein mit dem Koffer vor dem Gefängnistor stehen. Ich denke an mehr soziale Betreuung.
Und was ist mit dem Finanzminister? Sie brauchen Geld!
Das brauchen und wollen alle Ressorts der Landesregierung.
Foltermorde, Suizide hinter Gittern, Ausbrüche – deswegen hat die SPD mehrfach den Rücktritt Ihrer Vorgängerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) gefordert. Treten Sie bei einem solchen Ereignis gleich zurück?
Die Frage ist ja, was einer politisch zu verantworten hat. Nach dem Foltermord von Siegburg hat meine Vorgängerin ihren Besuch dort vier Tage lang rausgeschoben. Ein Fehler. Ich werde mir sofort ein Bild vor Ort machen, um genau informiert zu sein.
Wichtig ist mir: Die Beschäftigten dürfen nicht unter solchen Ereignissen leiden, und ich werde nichts verheimlichen. Suizide werden sich nie ganz vermeiden lassen.
Frau Müller-Piepenkötter hatte – schon vergessen? – 2005 erheblich Justizmängel von der rot-grünen Landesregierung geerbt.
Das werde ich bei meiner Bestandsaufnahme nicht vergessen. Ich werde auch nicht alles abschaffen, was Frau Müller-Piepenkötter auf den Weg gebracht hat.
Frau Müller-Piepenkötter hat einen Ombudsmann für den Knast geschaffen. Wird dieser Vermittler bleiben?
Ja, mit deutlich mehr Verantwortung. Ich will das Amt im Parlament verankern. Dieser Ombudsmann ist kein Haus- und Hofberichterstatter der Justizminister.
Apropos Parlament: Wenn Sie Lösungen von Problemen gefunden haben, wie wollen Sie die ohne eigene Mehrheit umsetzen?
Ich suche das Gespräch mit allen Parteien, auch mit der CDU und der FDP. Ich hoffe, bei vernünftigen Sachfragen wird sich niemand einer Lösung verschließen.
Dazu gehört sich ein drängendes Problem: Von der Tat speziell eines Jugendlichen bis über die Anzeige und das Ermittlungsverfahren bis zur Gerichtsverhandlung vergeht zu viel Zeit.
Richtig. Ich setze zunächst auf die Veränderung, Verbesserung des Jugendmilieus, in dem Kriminalität entsteht. Dazu will ich das Schul- und das Innenministerium (Polizei) einbinden. Besser vorbeugen, als dass jemand auf die schiefe Bahn gerät.
In Strafverfahren will ich keine Schnelljustiz, aber eine Beschleunigung im vernünftigem Zusammenspiel von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Ich beobachte das entsprechende Modell in Köln.
Kommt auch das aus Neukölln in Berlin infrage, mit gefördertem Austausch zwischen Polizei, Gericht, Jugendamt und Schule?
Dafür bin ich offen! Ich bin lernfähig. (pbd)