Drei Stunden nächtlicher Krach und Streit aus der Nachbarwohnung. Dann platzte meiner Mandantin der Kragen. Sie wusste mittlerweile, der Herr Nachbar reagiert pampig auf Beschwerden. Deshalb meldete sie die Ruhestörung bei der Polizei. Auf die Frage, ob die Gefahr von Tätlichkeiten besteht, antwortete meine Mandantin, sie könne die genauen Worte nicht verstehen. Deshalb wisse sie auch nicht, was vor sich geht.
Zwei Polizisten kamen nach geraumer Zeit vorbei, klingelten brav an der Tür des Mehrparteienhauses, erklärten über den Lautsprecher den Nachbarn ihr Anliegen, wurden eingelassen, gingen in den ersten Stock an die Tür der betreffenden Familie und – konnten keinen Lärm feststellen. Womöglich, weil das betreffende Ehepaar sich gerade mit der Polizei unterhielt. Aber das ist nur eine bescheidene Mutmaßung von mir.
Nun wird, auch befeuert durch eine Anzeige des Nachbarn, gegen meine Mandantin ermittelt. Wegen Missbrauchs von Notrufen. Und wegen falscher Verdächtigung. Dass die Beamten bei ihrer Vorsprache keinen Lärm hörten, soll offenbar den Rückschluss zulassen, dass es auch vorher keinen Lärm gab. Mir scheint es bei der Erwägung einen gewissen logischen Bruch zu geben. Aber vielleicht ticke ich ja anders als der Polizeibeamte, der sogleich dienstbeflissen eine Akte anlegte und Anhörungsbögen verschickte.
Sehr nett finde ich auch den Vorwurf der falschen Verdächtigung. Dafür muss man jemanden wider besseres Wissen einer Straftat bezichtigen. Ich hoffe, mir ist nichts entgangen, aber Ruhestörung hat nach meiner Kenntnis noch keinen Platz im Strafgesetzbuch gefunden.
Bleibt also noch die Frage der Polizei an meine Mandantin, ob sie Tätlichkeiten befürchtet. Schon aus der Frage ergibt sich, dass es bis zum Anruf keine Tätlichkeiten gab und somit auch niemand einer (begangenen) Straftat bezichtigt werden kann.
Die Antwort „Ich weiß nicht“ lässt sich ja auch sonst schwer als „Bezichtigung“ auffassen.
Fast schon beruhigend, dass dieser Fall seinen Platz in der Kriminalitätsstatistik finden wird. Man kann sich dann seinen Teil bei den üblichen Hiobsbotschaften über das ausufernde Verbrechen denken.