Keine Menschen zweiter Klasse

Menschen zweiter Klasse gibt es nicht. Darf es nicht geben. Auch wenn manche es gerne anders hätten – vor allem, wenn es um verurteilte Straftäter geht. Solche Leute sitzen auch in verantwortlicher Stelle. In Strafvollstreckungskammern an den Landgerichten. Aber auch weiter oben, in den Senaten der Oberlandesgerichte. Das Bundesverfassungsgericht hatte, wie so oft in der Vergangenheit, mal wieder Gelegenheit, diesen Juristen die Bedeutung der Menschenwürde im Rechtsstaat vor Augen zu führen. Die Ansage lautet so:

Die von Art. 1 Abs. 1 GG geforderte Achtung der Würde, die jedem Menschen unabhängig von seiner gesellschaftlichen Stellung, seinen Verdiensten oder der Schuld, die er auf sich geladen hat, allein aufgrund seines Personseins zukommt, verbietet es grundsätzlich, Gefangene grob unhygienischen und widerlichen Haftraumbedingungen auszusetzen.

Die Richter mussten sich mit der Verfassungsbeschwerde eines Gefangenen beschäftigen, der mehrmals längere Zeit in Transporträumen untergebracht war, die voll mit menschenverachtenden, teilweise sogar strafbaren Schmierereien waren; die Wände waren kotverschmiert und mit Urin vollgesogen.

Das Bundesverfassungsgericht stellt ausdrücklich klar, Häftlinge müssten sich, so wörtlich, weder „physischem noch verbalem Kot“ aussetzen lassen. Ob die Situation, was naheliegt, von anderen Häftlingen verursacht sein, spiele keine Rolle. Natürlich sei im Strafvollzug kein perfekter Schutz vor Widerwärtigkeiten zu erreichen. Die Justiz müsse jedoch alle ihr zumutbaren Möglichkeiten ausschöpfen, um solche Zustände zu verhindern.

Im vorliegenden Fall hatte das Verfassungsgericht offenbar wenig Zweifel, dass sich der desaströse Zustand der Transporträume aus einer langjährigen Untätigkeit der Behörden ergab.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Juli 2010, 2 BvR 1023/08

Kachelmanns Richter und sein Interview

Dem Vorsitzenden Richter im Fall Kachelmann sind Fragen gestellt worden. Zu Recht. Er soll den Vater des mutmaßlichen Opfers kennen. Fest steht wohl, dass beide Personen Funktionen in Sportvereinen der Region haben, zwischen denen es dokumentierte Berührungspunkte gab. Es soll der Vater des mutmaßlichen Opfers gewesen sein, der seiner Tochter riet, zur Polizei zu gehen.

Gegenüber der Basler Zeitung wollte sich der Vater übrigens nicht äußern. Als er am Telefon gefragt wurde, ob er den Richter kennt, legte er auf.

Nicht so der Vorsitzende Richter Michael Seidling, der über Kachelmann urteilen soll. Ihm sind ebenfalls Fragen gestellt worden. Hierauf antwortete er. Wenn man der Basler Zeitung glauben darf, sagte Michael Seidling auf Nachfrage:

Ich kenne weder den Vater noch das Opfer. Es gibt keine Nähe zwischen uns.

Lassen wir mal die Frage nach der Bekanntschaft offen. Ob und was da gelaufen ist, wird sicher noch geklärt. Schauen wir uns nur die Äußerung des Richters als solche an. Zunächst ist zu fragen, wieso sich ein Vorsitzender Richter gegenüber der Presse für etwas rechtfertigt, was offenbar noch gar nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Kachelmann hat (noch) keinen Befangenheitsantrag gestellt.

Vorauseilende Rechtfertigung gegenüber der Presse ist einem Richter nicht verboten. Ein gutes Bild liefert der Vorsitzende damit aber nicht. Denn er zeigt Dünnhäutigkeit und tut das, woran gerade einem Gericht nicht gelegen sein kann und was zum Beispiel Verteidigern gern, gerade von Richtern, vorgeworfen wird – die Presse zu instrumentalisieren.

Etwas anderes ist aber noch viel mehr zu beanstanden als die Äußerung selbst. Michael Seidling spricht vom „Opfer“. Ob und inwieweit diese Formulierung zutrifft, ist jedoch erst im Verfahren zu klären, das der Jurist leiten soll. Die auch in Mannheim geltende Unschuldsvermutung für den Angeklagten gebietet nicht nur Zurückhaltung gegenüber der Presse, sondern auch Fairness bei eventuellen Äußerungen.

So heißt es in Ziffer 23 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren:

Diese Unterrichtung (der Presse) darf weder den Untersuchungszweck gefährden noch dem Ergebnis der Hauptverhandlung vorgreifen; der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren darf nicht beeinträchtigt werden.

Diese Richtlinien gelten direkt nur für Staatsanwälte. Richter sind, da unabhängig, hieran zwar nicht unmittelbar gebunden. Trotzdem sind die Richtlinien ein Maßstab, an dem auch Richter ihr Verhalten messen lassen müssen.

Das bedeutet also auch für Herrn Seidling: Es steht ihm nicht zu, die Rollen vorher fest zu verteilen. Und Wertungen hat er zu unterlassen, zumal vor Beginn der Hauptverhandlung. Von einem Opfer zu sprechen, setzt aber einen Täter voraus. Natürlich kann man sagen, dass der ständige Präfix „mutmaßlich“ umständlich und ermüdend ist. Das Weglassen kann aber verräterisch sein, wenn hier der zuständige Richter spricht. Zumindest kann es einen verhängnisvollen Eindruck erwecken.

Von einem „Opfer“ zu sprechen, obwohl die mutmaßliche Tat erst aufgeklärt werden muss, ist demnach ein starkes Stück. Vor allem wenn so eine Formulierung aus dem Mund desjenigen kommt, von dem am allerersten verlangt werden muss, sich der Sache unbefangen und vor allem ergebnisoffen anzunehmen. Der Umstand, dass die Äußerung im Rahmen einer momentan unnötigen Selbstrechtfertigung erfolgt, macht alles nicht besser.

Könnte Richter Michael Seidling sich schon durch diese Äußerung als für das Verfahren nicht mehr tragbar erwiesen haben? Es ist hierfür nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist. Vielmehr genügt die „Besorgnis“ der Befangenheit, damit ein Richter auf Antrag des Angeklagten abgelöst werden muss. Diese Besorgnis ist gegeben, wenn das Verhalten des Richters einem verständigen Angeklagten den Eindruck vermitteln kann, dass sich der Richter von sachfremden Interessen leiten lässt oder voreingenommen ist.

Wenn man das abwägt, könnte es für Michael Seidling eng werden. Sehr eng.

Soforthilfe für Loveparade-Opfer

Die Stadt Duisburg hüllt sich seit Tagen in Schweigen, was die Verantwortlichkeit für das Loveparade-Desaster angeht. Der amtierende Oberbürgermeister Sauerland klebt an seinem Sessel und windet sich auf unsäglich Weise (Interview von heute). Lediglich zur geplanten Trauerfeier ist etwas von zu hören. Aber kein Wort dazu, ob und wie man den Opfern zu helfen gedenkt – und wann damit zu rechnen ist.

Positiver in dieser Hinsicht verhält sich Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller. Er hat eine Soforthilfe von einer Million Euro zur Verfügung gestellt. Das Geld stammt aus seinem Privatvermögen und von der Axa, bei der die Loveparade versichert war.

Die Gelder sollen unbürokratisch ausgezahlt werden.

Pressemitteilung der Axa mit Hinweisen, wie die Soforthilfe angefordert werden kann: Weiterlesen

Rechtsberatung on air

Vorhin habe ich einer Sendergruppe aus den neuen Bundesländern eine Einschätzung zum Fall Kachelmann gegeben. In letzter Zeit ruft die Redaktion öfters an. Was mich freut. Vor dem Interview, beim Einpegeln der Stimme, sagte der Redakteur:

Nicht dass Sie uns bald mal eine saftige Sammelrechnung schicken.

Ein Scherz? Na ja, ein halber. Der Journalist erzählte, dass er vor längerer Zeit mal einen Anwalt in München um ein Interview gebeten hat. Der Jurist gab sein Statement bereitwillig ab. Es wurde auch gesendet.

Vier Wochen später flatterte die Rechnung auf den Tisch. Ein paar hundert Euro wollte der Anwalt – für „juristische Beratung“. Vielleicht war es ihm egal, aber auf der Liste potenzieller Gesprächspartner und „Experten“, die jede Redaktion führt, hat er sich wohl nicht gehalten.

Kachelmann ist ein freier Mann

Der dritte Strafsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe hat mit Beschluss vom heutigen Tage der Haftbeschwerde des Meteorologen Jörg Kachelmann stattgegeben und seine umgehende Freilassung aus der Justizvollzugsanstalt Mannheim angeordnet.

Das Gericht sieht bereits keinen dringenden Tatverdacht. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, dass der Angeklagte die Tat bestreitet und die Nebenklägerin als einzige Belastungszeugin zur Verfügung stehe. Damit liege die Fallkonstellation „Aussage gegen Aussage“ vor. Die Nebenklägerin, bei der Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive nicht ausgeschlossen werden könnten, habe zudem bei der Anzeigeerstattung und im weiteren Verlauf des Ermittlungsverfahrens zu Teilen der Vorgeschichte und des für die Beurteilung des Kerngeschehens (dem Vergewaltigungsvorwurf) bedeutsamen Randgeschehens zunächst unzutreffende Angaben gemacht.

Hinsichtlich der Verletzungen der Nebenklägerin könne derzeit aufgrund der bisher durchgeführten Untersuchungen und Begutachtungen neben einer Fremdbeibringung auch eine Selbstbeibringung nicht ausgeschlossen werden.

Im Hinblick auf den aktuell nicht mehr bestehenden dringenden Tatverdacht könne ferner dahinstehen, ob in der Person des Angeklagten derzeit noch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gegeben sei.

Aufgrund der zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr bestehenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Untersuchungshaft hat der 3. Strafsenat den Haftbefehl aufgehoben und die Freilassung des Angeklagten angeordnet.

Kachelmann war am 20. März verhaftet worden. Er saß somit über vier Monate in Untersuchungshaft.

(Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juli 2010, 3 Ws 225/10)

Nachtrag: Pressemitteilung des Landgerichts Mannheim

Krieg den Topfdeckeln

Das Verwaltungsgericht Berlin hat der dortigen Polizei gerade erst den Spaß verdorben. Friedliche Demonstrationen, so das Urteil, dürfen nicht per Video überwacht werden. Jetzt stellt sich die Frage, wie man die ganzen Filmtrupps künftig sinnvoll beschäftigt. Macht ein Gericht sich hierüber eigentlich keine Gedanken?

Demnach überrascht es nicht, dass der Berliner Innensenator angesäuert reagiert. Er teile die Rechtsauffassung des Gerichts nicht, lässt er verbreiten. Man kann die hängenden Mundwinkel förmlich vor sich sehen. Wenn das Urteil Bestand hat und sich seine Rechtsauffassung somit als falsch erweist, will der Senator das – natürlich – auch nicht akzeptieren. Er wird dann nicht seine Rechtsauffassung ändern, sondern das Gesetz. So lässt sich weiter „Gefahrenabwehr“ gegenüber friedlichen Demonstranten betreiben, die nichts weiter machen als ihr Grundrecht auszuüben. Und zwar mindestens so lange, bis ihn ein Verfassungsgericht bremst. Also noch Jahre.

In diesem Kontext flashte dann heute nachmittag eine Meldung durch meinen Reader. Ich habe nicht auf die Quelle geschaut, dachte aber, die Titanic oder ein Satireblog bastelt sich ein schales Follow up aus der Berliner Geschichte. Die Hannoveraner Polizei, so war zu lesen, möchte Demonstranten Trillerpfeifen, Trommeln und Megafone verbieten. Weil die Polizisten auf Demos den Lärm nicht vertragen. Das Wort Arbeitsschutz wurde im Text hervorgehoben. Ich habe achtlos weiter geklickt.

Kleines Problem, insbesondere für Menschen, die von Satire leben und deren Geschichten vom wahren Leben qualitativ immer wieder überholt werden – die Meldung stimmt. Jedenfalls steht sie in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen Zeitung und wird überdies von ddp verbreitet. Die Polizei in Hannover möchte demnach für eine Demo am 7. August tatsächlich Auflagen erlassen, weil sie „ohrenbetäubenden Lärm“ erwartet.

Bei einem ähnlichen Protestzug, so lautet die Klage, hätten Teilnehmer „mit Trommeln, Trillerpfeifen und Topfdeckeln“ Krach gemacht. Man stelle sich das mal vor! Anlass dieses bösen Tuns war auch noch ein umstrittenes Adventskonzert, bei dem eine Kapelle der Bundeswehr vermutlich ebenfalls Geräusche emittierte. Ein Verbot von Bundeswehrkapellen wird aber wohl aktuell dennoch nicht diskutiert.

Dieser Schritt war natürlich längst überfällig. Immerhin ist seit Jahren bekannt, dass immer wieder Polizeibeamte dienstunfähig werden, weil sie bei Demonstrationen Lärm ertragen müssen. Laut Studien, von denen dummerweise noch keine einzige online Erwähnung gefunden hat, ist Demonstrationslärm viiiiiiiiiiiel gefährlicher als der Krach an belebten Kreuzungen, auf Großbaustellen und am Flughafen, bei Einsätzen in Fußballstadien und wenn Marius Müller Westernhagen die AWD-Arena rockt.

Praktischerweise schließt sich hier auch der Kreis. Die künftig unbeschäftigten Videotrupps werden umgeschult und ins SEK Phono überführt. Der Aufwand dürfte sich in Grenzen halten. Ein paar Säckchen zum hygienischen Konfiszieren der Lärmwaffen sind überdies schnell angeschafft.

Man wundert sich angesichts dessen geradezu, dass bislang noch nicht einmal die Polizeigewerkschaften dieses brandheiße Thema aufgegriffen haben. Diese Organisationen sind doch normalerweise an vorderster Front, wenn es darum geht, alle jene ihrer Schäflein nachträglich zu schützen, welche als junge Menschen die Stellenausschreibung nicht richtig lasen und dachten, die Entscheidung für den Polizeiberuf ist eine Garantie auf lebenslanges Sesselpupsen hinter dem Schreibtisch in einem überdimensionierten Verkehrskommissariat.

Insgesamt also ein wichtiger, richtiger und vor allem überfälliger Schritt. Immerhin steht ja nirgends geschrieben, dass Demonstrationsfreiheit auch das Recht beinhaltet, laut und unbequem zu sein, damit die Öffentlichkeit auch auf das Anliegen der Demonstranten aufmerksam wird. Oder will ernsthaft jemand ernsthaft behaupten, Krach könne ein legitimes Mittel des demokratischen Diskurses sein?

Na ja, eigentlich steht das schon geschrieben. In Gerichtsurteilen und juristischen Kommentaren zum Thema. Vielleicht sollte man es den Verantwortlichen mit dem Megafon vorlesen. Aber dann bitte schnell, so lange es noch geht. Draußen darf es dabei aber auch nicht zu heiß oder zu kalt sein. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Feinstaubbelastung nicht über dem langjährigen Durchschnitt des Ostallgäus liegt. In solchen Fällen, so ist zu hören, sollten Demonstrationen nämlich aus Gründen des Schutzes vor Arbeit ebenfalls komplett verboten werden.

Ein zu diesen Fragen bereits in Auftrag gegebenes Gutachten soll sogar früher vorliegen als geplant. Der Autor, ein gewisser Prof. Schreckenberger, hat kurzfristig Kapazitäten frei.

Zauberwort

Der Schuldner ist verzogen. Deshalb fragte das Mahngericht Hagen nach der neuen Adresse. Den „Antrag auf Neuzustellung eines Mahnbescheids“ habe ich gerade ausgefüllt. Man muss nur die Adressdaten angeben und die Kosten für die Datenermittlung. Das waren 7,38 Euro bei Supercheck.

Ich war schon fertig, als mir ein Hinweis ins Auge fiel. Er steht ganz oben rechts auf dem Formular:

Bitte nur mit Schreibmaschine ausfüllen.

Oh, die Justiz verwendet das Zauberwort. Man muss nur zwischen den Zeilen lesen. Damit wird mir mitgeteilt, dass ich für dieses Formular auch einen Kugelschreiber verwenden kann. Auch wenn es vielleicht nicht gern gesehen ist.

Das mit dem Kugelschreiber ist auch gut so – wir haben nämlich gar keine Schreibmaschine mehr im Büro.

Schnörkelloser Fließtext

Gestern stand ein Herr bei uns in der Tür und stellte sich als, wahrscheinlich „freier“, Mitarbeiter des Schwann-Verlages vor. Das ist für unsere Region jener Verlag, der für die Post bzw. Telekom bis zum Aufbruch in die Online-Welt sicherlich recht erfolgreich für unverschämte Preise fett gesetzte, möglicherweise gar umrandete Einträge in gedruckten Telefonbüchern verkaufte. Ich erinnere mich, dass schon ein schnörkelloser Fließtext-Eintrag unter dem Stichwort Rechtsanwälte um die 300 Mark pro Jahr kostete – natürlich jeweils für das „Amtliche“ und „Das Örtliche“.

In Zeiten des Werbeverbots für Anwälte, also etwa bis Mitte der 90-er Jahre, war der Eintrag ins Telefonbuch praktisch die einzige Möglichkeit, als Anwalt medial auf sich aufmerksam machen. Es sei denn, man hatte „Presse“. Da musste man sich in der Tat mit diesen Außendienstlern zusammensetzen und sich die Preise diktieren lassen.

Die Zeiten ändern sich. Ich wusste ehrlich gesagt bis vor kurzem gar nicht, dass es überhaupt noch gedruckte Telefonbücher gibt. Bis ich mal zwei Paletten davon im Eingang eines Lebensmittelmarktes sah. Die Stapel verkleinerten sich über Wochen kaum, obwohl die Telefonbücher kostenlos mitgenommen werden durften. Aber warum sollte man das tun? Es gibt mittlerweile ja sogar preiswerte und vor allem sichere flüssige Grillanzünder.

Es kam deshalb bei uns auch relativ früh die Zeit, ab der die ständigen Anrufe, Faxe („Redaktionsschluss Gelbe Seiten! Auftrag muss sofort erteilt werden!“) und Besuche der Außendienstler nur noch nervten. Wir verbaten uns jede weitere unerbetene Kontaktaufnahme. Was auch funktionierte – bis gestern.

Meine Sekretärin sagte dem Vertreter auch gleich, dass wir keine Besuche wünschen und das auch schon mitgeteilt haben. Der Außendienstler aber tat sehr wichtig und fragte schnippisch:

Meinen Sie, dass eine Anwaltskanzlei keinen Telefonbucheintrag braucht?

Meinen wir gar nicht. Aber nach unserer Kenntnis muss man für den Basiseintrag nichts berappen. Auf dieses Argument hin wurde der Mann dann sogar richtig frech, worauf meine Mitarbeiterin in von mir autorisierter Art und Weise reagierte. Sie knallte ihm die Tür vor der Nase zu.

Nun sind wir uns nicht sicher, ob derselbe Typ uns schon mal Vorwerk-Staubsauger andrehen wollte. Damit hätte er, offen gesagt, weitaus größere Chancen.

Neue Umstände

Ein freundlicher Richter verschonte meinen Mandanten von der Untersuchungshaft. Im Beschluss, mit dem der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt wird, steht:

Der Angeschuldigte hat mit dem sofortigen Widerruf dieser Haftverschonung zu rechnen, wenn:

1. …
2. …
3. neue Umstände die Verhaftung erforderlich machen.

Nun ja, wer hätte das gedacht? Allerdings kann ich nicht verhehlen, dass der Hinweis Eindruck macht. Der Mandant wollte von mir ganz genau wissen, was denn unter neuen Umständen zu verstehen ist. Ich hoffe, er nimmt sich meine Erklärung zu Herzen.

Irgendwann ist es nämlich vorbei mit der Freundlichkeit.

Demos: Polizei darf nicht grundlos filmen

Ein wichtiges, vielleicht sogar grundlegendes Urteil hat das Verwaltungsgericht Berlin gefällt. Danach darf die Polizei bei Demonstrationen nicht ohne konkreten Verdacht Videoaufnahmen machen. Das anlasslose Filmen der Demonstranten sei ein nicht gerechtfertigter Grundrechtseingriff. Bürger würden dadurch abgeschreckt, ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen.

Geklagt hatte, so berichtet heise online, der Teilnehmer an einer Antiatomdemonstration im September letzten Jahres. Die Berliner Polizei führte den Protestzug mit einem Kleintransporter an, von dessen Dach aus mit mehreren Kameras gefilmt wurde.

Aus der Zusammenfassung bei heise online:

Das Verwaltungsgericht stellte im Bezug auf die Anti-Atom-Demo nun fest, dass der einzelne Teilnehmer bei einer Beobachtung der Versammlung im „Kamera-Monitor-Verfahren“ damit rechnen müsse, aufgezeichnet und registriert zu werden. Dies könne ihn vom Begleiten einer entsprechenden Veranstaltung abschrecken oder zu ungewollten Verhaltensweisen zwingen, um den beobachtenden Polizeibeamten möglicherweise gerecht zu werden. Durch diese Einschüchterung könnte mittelbar auf den Prozess der Meinungsbildung und demokratischen Auseinandersetzung eingewirkt werden.

Das Versammlungsrecht erlaube Aufnahmen aber nur dann, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass Demonstrationsteilnehmer erheblich die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden. Die Berliner Polizei soll ihre Aufnahmen bislang damit gerechtfertigt haben, sie seien zur Einsatzlenkung und für die Verkehrssicherheit erforderlich.

(Verwaltungsgericht Berlin, VG 1K 905.09)

Anwaltverein fordert Nummernschild für Polizisten

In Deutschland gibt es bis heute keine verbindliche Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Eine solche Kennzeichnung hilft aber, Polizisten zu identifizieren, wenn es zu rechtswidrigen Übergriffen gekommen ist. Die Polizei ist mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet, deren Wahrnehmung für den betroffenen Bürger fast immer einen Eingriff in seine Grundrechte bedeuten. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) fordert daher die deutschlandweite Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizisten.

Polizeiliche Maßnahmen, so der DAV, müssten überprüft werden können. Dies sei Voraussetzung für einen Rechtsstaat. Überdies entspreche die Kennzeichnungspflicht dem Selbstverständnis einer Polizei, die sich als bürgernah versteht und den Bürgern offen, kommunikativ und transparent entgegen tritt.

„Die Identifizierung des einzelnen Polizisten ermöglicht einen effektiven Rechtsschutz von Bürgerinnen und Bürgern, die sich durch Maßnahmen von Polizeibediensteten in ihren Rechten verletzt sehen“, sagte Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Vorsitzende des Ausschusses für Gefahrenabwehrrecht des DAV.

Dadurch werde die Kontrolle und Sanktionierung des polizeilichen Handelns überhaupt erst ermöglicht. „Eine Kennzeichnungspflicht trägt zur nachhaltigen Vertrauensbildung zwischen Bürgern und Polizei bei“, so Sandkuhl. Dieses Vertrauen sei dann hergestellt, wenn klar sei, dass rechtswidrige Übergriffe nicht im Schutze der Anonymität begangen werden könnten und auch polizeiliches Handeln damit überprüfbar sei.

Dass es Anlass zu Kontrolle und Überprüfung der Handlungsweise der Polizei geben kann, vermerkt nicht zuletzt Amnesty International im jüngsten Deutschlandbericht mit dem Titel „Täter unbekannt“. Im Zuge von polizeilichen Einsätzen bei Demonstrationen und Großveranstaltungen werden laut DAV immer wieder Vorwürfe von rechtswidrigen Übergriffen der Polizei auf Einzelne laut. Bei fehlenden Identifizierungsmöglichkeiten blieben Straftaten durch Beamte ungesühnt.

Der DAV fordert deshalb die Innenminister der Länder auf, sich für eine gesetzliche Ausweis- und Kennzeichnungspflicht von Polizisten einzusetzen. Gerade in konfliktgeneigten Situationen, in denen von der Polizei auch Zwangsmittel eingesetzt werden können, sollte es auch im Interesse der Polizei selbst liegen, den Bürgern nicht als Teil einer anonymen Staatsmacht entgegenzutreten.

Der immer noch zu hörende Wunsch nach Anonymität konterkariere die Bekenntnisse zu mehr Bürgernähe.

Herbeischaffung droht

Aus einer gerichtlichen Ladung:

Zur Hauptverhandlung werden die Zeugen und Sachverständigen herbeigeschafft, die nachstehend aufgeführt sind: Müller, Josef (Z1), Meier, Sabine (Z2)…

Normalerweise steht da, die Zeugen würden geladen. Aber da Josef Müller beim letzten Mal unentschuldigt nicht gekommen ist, soll er nun polizeilich vorgeführt werden. Vielleicht ist dem Richter die Formulierung deshalb reingerutscht.

Ich bin darüber auch nur gestolpert, weil die brave und bisher pünktliche Zeugin Sabine Meier mich anrief. Sie machte sich Sorgen, ebenfalls abgeholt bzw. „herbeigeschafft“ zu werden.

Ich konnte sie beruhigen.