Erst verwarnt, dann verschubt

Es geht um eine kleine Geschwindigkeitsübertretung für 35,00 Euro, aber auch um wichtige Rechtsfragen. Also ums Prinzip. Das Amtsgericht in Hessen schickt nicht nur die Ladung zum Verhandlungstermin, sondern auch gleich eine beredte Erklärung, wonach der Verkehrssünderbeschluss des Bundesverfassungsgerichts in unserem Fall nicht weiter hilft.

Da konnte ich ebenso flink mit der brandaktuellen Entscheidung eines Oberlandesgerichts antworten, welche die Rechtsauffassung der Bußgeldrichterin haarklein wiederlegt. Das Oberlandesgericht liegt allerdings in einem anderen Bezirk, so dass seine Argumente möglicherweise nicht ausreichendes Gehör finden werden.

Ebenso interessant wie der absehbare juristische Streit ist die Frage, ob wir eine Hauptverhandlung brauchen. Mein Mandant ist zwar nicht verhindert, kann aber nur erschwert anreisen. Er befindet sich nämlich in Untersuchungshaft und müsste sich, sofern er nicht Ausgang kriegt, an die 300 Kilometer „verschuben“ lassen.

Bevor ich mich darauf einlasse, werde ich auf jeden Fall klären, wer die möglicherweise happigen Kosten für diese Maßnahme trägt. Bin gespannt, ob man bei der Rechtsschutzversicherung darauf eine Antwort weiß. Dann bleibt noch zu ermitteln, ob der Mandant sich die Strapaze, im Justizbus über etliche Zwischenstationen zum Zielort zu tingeln, wirklich antun möchte.

Aber vielleicht hat die Richterin ja auch ein Einsehen und entscheidet ohne Hauptverhandlung. Ich habe es beantragt und hätte nichts dagegen – auch wenn ich gemütlich mit dem Auto anreisen kann.

Schwäbische Nächte sind trocken

In Baden-Württemberg gilt seit heute ein nächtliches Verkaufsverbot für Alkohol. Zwischen 22 und 5 Uhr dürfen weder Bier, Schnaps noch Wein verkauft werden, berichtet die Welt. Das Verbot gilt auch für Erwachsene. Ausgenommen ist der Ausschank in Gaststätten.

„Wir müssen den nächtlichen Alkoholgelagen und damit der Aggression und Gewalt ein Ende setzen“, rechtfertigte der zuständige Innenminister das Gesetz. Vorrangig geht es in den offiziellen Verlautbarungen um den Jugendschutz. Ziel soll es sein, die angeblich viel zu häufigen Saufgelage junger Menschen einzudämmen.

Mir scheint der Jugendschutz ein Deckmantel, mit dem den Menschen gewisse Moral- und Ordnungsvorstellungen von Leuten übergestülpt werden, welche die Zeit gern in die 50er oder 60er Jahre zurückdrehen möchten. Dem bereits jetzt sehr strengen Jugendschutz würde es besser tun, wenn man die geltenden Verkaufsverbote für Minderjährige einfach mal durchsetzt.

Dann wäre es auch nicht nötig, den Erwachsenen auf dem Kopf rumzutanzen.

Neun Euro – geschenkt

Das Amtsgericht Brühl nimmt es genau. Ich hatte in einem Fall, in dem die Staatskasse die Kosten zahlen muss, Fahrtkosten für 154 Kilometer abgerechnet. Darauf teilt das Gericht mit:

Abzusetzen waren 9,00 EUR Fahrtkosten. Die Entfernung Kanzlei – Amtsgericht beträgt aufgerundet 62 Kilometer x 2 = 124 Kilometer x 0,30 EUR ergibt 37,20 EUR.

Ich erinnere mich noch recht gut an den Tag. Das Wetter war winterlich; auf der A 57 und der A 1 gab es Staus. Das Navigationsgerät lotste mich um den Schlamassel herum, teilweise auch über Land und durch idyllische Dörfer am Rande Kölns.

Obwohl ich schon eine gute Stunde Fahrtzeit einkalkuliert hatte, kam ich 20 Minuten zu spät. Was aber nichts machte, denn der Anwalt in der Sache vorher war gleich eine dreiviertel Stunde zu spät gewesen und hatte dem Gericht entsprechenden Verzug eingebrockt. Ich konnte mit dem Mandanten also noch eine Weile gemütlich auf dem Flur sitzen.

Auf dem Rückweg war es ähnlich. Eigentlich bin ich überrascht, dass ich nur 30 Kilometer mehr gefahren bin als die Idealstrecke, welche das Gericht mit dem Falk Routenplaner akkurat ermittelt hat. Ich könnte jetzt natürlich die Verkehrssituation erklären. Aber leider bin ich nicht in der Lage, den tatsächlichen Weg darzulegen. Mangels eines nationalen Stauregisters und wegen eines Navis, in dem die Speicherung gefahrener Routen abgeschaltet ist. Letzteres übrigens aus guten Gründen. Jedenfalls wird mir das nicht in den nötigen Einzelheiten gelingen, wie sie das Amtsgericht Brühl erwarten dürfte.

Die neun Euro sind also geschenkt.

Ein besonders gröblicher Verstoß

Die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts ist klar: Durchsuchungsbeschlüsse verlieren sechs Monate nach Erlass ihre Wirksamkeit. Durchsuchungen nach Ablauf eines halben Jahres sind rechtswidrig.

Nicht daran gehalten hat sich die Kriminalpolizei in Erfurt. Sie lief in der Wohnung meiner Mandantin ein und trug die Computer raus, obwohl der Durchsuchungsbeschluss mehr als zehn Monate auf dem Buckel hatte. Einzelheiten habe ich hier geschildert.

Auf meine Beschwerde gegen die Durchsuchung hat das Amtsgericht Erfurt einsilbig reagiert. Der Ermittlungsrichter bestätigte die Beschlagnahme. Die Beschwerde akzeptierte er nicht. Begründung: keine. Da entscheidet also ein Richter gegen die klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und hält es noch nicht mal für nötig, seine Beweggründe hierfür mitzuteilen. Es wird an der schrecklichen Arbeitsüberlastung liegen.

Nun musste sich das Landgericht Erfurt mit der Sache befassen. Das Gericht gab der Beschwerde statt, obwohl der Fall eine gewisse Besonderheit aufweist. Die Polizei hat nämlich, was sich zunächst nicht aus der Akte ergab, nach eigenen Angaben mehrfach durchsuchen wollen. Die Beamten wollen am 25. Juni, 7. Juli und 15. September 2009 vor Ort gewesen sein. Leider hätten sie niemanden angetroffen. Sie hätten die Tür nicht aufbrechen wollen, deshalb seien sie später wiedergekommen.

Diese (nachgeschobene) Rechtfertigung hielt die Staatsanwaltschaft für ausreichend. Motto: Es wurde ja innerhalb der Frist versucht zu durchsuchen, also durfte der Beschluss auch nach Ablauf der sechs Monate weiter vollstreckt werden. Klingt auf den ersten Blick nachvollziehbar, aber das Landgericht Gera geht der Staatsanwaltschaft nicht auf den Leim.

Ganz im Gegenteil, denn die Richter sehen in dem Verhalten der Polizei und der Staatsanwaltschaft gerade aufgrund der Begründung einen „besonders schwerwiegenden und willkürlichen Verstoß“ gegen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts:

Es wäre Aufgabe der Staatsanwaltschaft bzw. der Kriminalpolizei gewesen, sich vor einer Durchsuchung am 10.12.2009 eine erneute richterliche Durchsuchungsanordnung zu besorgen. … Sowohl der Staatsanwaltschaft wie auch den ermittelnden Polizeibeamten musste klar sein, dass der Durchsuchungsbeschluss vorliegend älter als 10 Monate war. Ausgehend davon hätte auf diesen richterlichen Durchsuchungsbeschluss keine Durchsuchung mehr gestützt werden dürfen. Es handelt sich nach Auffassung der Kammer um einen Fall der gröblichen Verkennung des einzuhaltenden Richtervorbehaltes, zumal ganz zweifelsfrei ein Fall von Gefahr im Verzug nicht gegeben war.

Im Ergebnis schlägt der eigene Rechtfertigungsversuch der Staatsanwaltschaft auf diese zurück. Wegen der Gröblichkeit des Verstoßes hält das Landgericht Erfurt nicht nur die Durchsuchung für rechtswidrig. Das Gericht nimmt auch, was mangels einer fruit-of-the-poisonous-tree-Regel in Deutschland nicht ausgemacht ist, auch ein Beweiserhebungsverbot an. Deshalb müssen die beschlagnahmten Computer nun unausgewertet zurückgegeben werden.

(Landgericht Erfurt, Beschluss vom 19. Februar 2010, 7 Qs 21/10)

Quelle: wulkan (www.wulkan-comic.de)