Im sogenannten Sauerland-Verfahren ist heute das Urteil gesprochen worden. Die Presse berichtet groß darüber. Beim Staatsschutz-Senat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts ist es in größeren Verfahren üblich, dass der Vorsitzende ein „Vorwort“ spricht. Dieses Vorwort möchte ich nachfolgend dokumentieren. Es handelt sich um das Manuskript, Abweichungen zum gesprochenen Wort sind deshalb möglich:
Mündliche Urteilsbegründung
Vorwort
Mit dem heutigen Urteil geht am nunmehr 65. Hauptverhandlungstag und nach einer Verhandlungsdauer von etwa zehn Monaten ein Verfahren zu Ende, dem ein Tatgeschehen zugrunde liegt, das seit der Festnahme der drei Angeklagten Fritz Martin Gelowicz, Adem Yilmaz und Daniel Martin Schneider am 4. September 2007 wie kein anderes Verfahren in den letzten Jahren zuvor im Blickpunkt der Medien und der Öffentlichkeit stand. Schon die ersten Verlautbarungen der Ermittlungsbehörden ließen erkennen, dass der möglicherweise größte Anschlag von islamistischen Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland noch rechtzeitig verhindert werden konnte. Entsprechend groß war auch die Zahl der eingesetzten Kräfte bei der Observation und den sonstigen Ermittlungsmaßnahmen. Nahezu das gesamte gesetzlich vorgesehene Repertoire an Überwachungsmaßnahmen bis hin zur Wohnraumüberwachung kam zum Einsatz. Nach den ersten Erkenntnissen insbesondere aufgrund der Überwachung der in verschiedenen Fahrzeugen geführten Gespräche zwischen den Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider sowie der Größenordnung des von Gelowicz gekauften Wasserstoffperoxids war die Sorge der Ermittlungsbehörden hinsichtlich eines außergewöhnlich gefährlichen und großen Anschlagsvorhabens mehr als berechtigt. Und in der Tat geisterte nicht nur in den Köpfen der Angeklagten, sondern auch in ihren Gesprächen untereinander die Vorstellung von einem Anschlag bzw. Anschlägen in der Größenordnung oder doch der Bedeutung eines “zweiten 11. September” herum.
Hätten die Angeklagten all das verwirklicht, was sie im Auftrag der in Waziristan, also im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, ansässigen Islamischen Jihad Union (IJU) planten, einer ursprünglich usbekischen Terrorgruppe, so hätte es ein ungeheures Blutbad gegeben mit einer unübersehbaren Vielzahl von Toten und Verletzten vornehmlich unter US-amerikanischen Armeeangehörigen; aber auch Zivilisten wären unter den Opfern gewesen. Doch die Gefahr, dass die Angeklagten ihr Anschlagsvorhaben erfolgreich in die Tat umsetzen, konnte glücklicherweise von den Ermittlungsbehörden gebannt werden. Und zwar war es den Ermittlungsbehörden in einem recht frühen Stadium der Anschlagsvorbereitungen gelungen, das – später noch versetzt mit Mehl – als Sprengmittel vorgesehene Wasserstoffperoxid mit einer Konzentration von 35 % gegen ein solches mit einer ungefährlichen Konzentration von 3 % unbemerkt von den Angeklagten auszutauschen. Letztlich ist sogar nicht auszuschließen, dass das Anschlagsvorhaben infolge der überwiegend nicht funktionstüchtigen Sprengzünder nicht zur Umsetzung gekommen wäre – auch ohne das Einschreiten der Sicherheitsbehörden.
Dies bedeutet aber nicht, dass wir es mit einem im weiteren Sinne ungefährlichen Tatgeschehen zu tun hätten. Ganz im Gegenteil. Das vorliegende Verfahren hat mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, zu welchen Taten hasserfüllte, verblendete und von verqueren Jihadideen verführte junge Menschen bereit und in der Lage sind. Und ein Weiteres hat die Hauptverhandlung gezeigt: Es sind nicht nur die vier Angeklagten, die aus Verblendung und verqueren Jihadideen sowie aus Hass auf die “Ungläubigen”, vor allem Amerikaner, zu nahezu grenzenlosem und hemmungslosem Töten bereit waren. Nein, es gibt ganz offenbar zahlreiche verführbare oder schon verführte und verblendete junge Männer, die ihr bisheriges Leben hinter sich lassen und sich in den Jihad begeben, also auf den Weg zum Töten, ja viele sogar mit dem Wunsch, ihr eigenes Leben für ihre wirren Jihadideen zu opfern. Ich will hier nur an den Deutsch-Türken Cüneyt Ciftci erinnern, der im Übrigen von dem Angeklagten Yilmaz für die IJU als Mudjahid, also als Gotteskrieger, rekrutiert worden war, und der am 3. März 2008 bei einem Selbstmordanschlag auf ein ISAF-Militärcamp in der Region Khost in Afghanistan vier amerikanische bzw. afghanische Militärangehörige mit in den Tod riss. Und ein Weiteres hat die Hauptverhandlung mit aller Deutlichkeit gezeigt: Offenbar reicht solch verblendeten Extremisten eine nicht einmal rudimentäre Kenntnis des Islam, um sich zu Todesengeln im Namen des Isla geisterung hunderte Menschen im Namen des Islam als “Ungläubige” und als “Feinde” des Islam zu töten.
Wir müssen mit Erschrecken erkennen, dass die Geißel unserer Zeit, die ungeheure Bedrohung der internationalen Staatengemeinschaft, nämlich der weltweite islamistische Terrorismus, weiter um sich greift und inzwischen junge Menschen erfasst, die in westlicher Kultur aufgewachsen sind und – wovon man eigentlich glaubt ausgehen zu können – von Wertvorstellungen westlicher, europäischer Gesellschaften geprägt wurden. Aber ganz offenbar hat der gewaltbereite Islamismus zunehmend auch auf junge Menschen in unserer Gesellschaft eine verheerende Anziehungskraft, zumal auf solche junge Menschen, die in ihrem engsten Umfeld, ihren Familien – aus welchen Gründen auch immer – nicht die erforderliche Aufmerksamkeit erfahren, nicht die Antworten auf die essentiellen Lebensfragen finden, nach denen sie suchen, und die sich daher orientierungslos von den lauten und schrillen Angeboten der ideologischen Verirrungen unserer Zeit unkritisch begeistern lassen. Umso verführbarer sind sie dann für radikale Ideen, für Gewaltideen, die einfache Antworten geben, einfache, aber auch blutige, ja tödliche Antworten auf die Frage, was ist richtig, was ist falsch. Und umso verführbarer sind sie dann für Hassprediger, wie sie zunehmend auch in unserem Land ihr Unwesen treiben – unter Missbrauch der Freiheitsrechte unserer Verfassung. Es soll hier beispielhaft nur das Multikulturhaus in Neu-Ulm erwähnt werden, in dem die Angeklagten Gelowicz und Selek ein geistiges Zuhause fanden, ein überaus gefährliches Zuhause.
Gerade das vorliegende Verfahren wirft eine Fülle von Fragen auf, deren Beantwortung wir uns allenfalls zu nähern vermögen. Zu glauben, die Antworten zu wissen – wie man es hier und da gelegentlich zu hören vermag –, wäre wohl eher eine Anmaßung. Die Zerreißungen unserer Zeit durch die des islamistischen Terrorismus sind einfach zu umfassend, als dass sie mit vorschneller Subsumtion unter die allfälligen Begriffe der täglichen Betrachtungen und Kommentare eingefangen werden könnten. Vielleicht müssen wir auch erkennen, dass wir noch nicht einmal all die Fragen benennen können, die sich hins lich des Phänomens “islamistischer Terrorismus” stellen; wie sollen wir dann bereits Ihre Antworten kennen? Und erst Recht ist die Justiz, sind die Gerichte, die Staatsschutzsenate zumal, nicht diejenigen, die berufen wären, Antworten und Auskunft zu geben oder gar Lösungen zu formulieren für diese drängenden Fragen unserer Zeit. Die Strafverfahren, in denen wir uns mit islamistischem Terror zu befassen haben, sind allenfalls geeignet, den Blick auf dieses Phänomen zu erweitern.
Im vorliegenden Verfahren haben wir einen außergewöhnlich breiten und tiefen Einblick in die Abläufe und Zusammenhänge des islamistischen Terrorismus erhalten können, insbesondere in die Verflechtungen des sog. Homegrown Terrorism. Und dies ist das ganz Besondere dieses Prozesses: Derart umfassende Geständnisse in einem Strafprozess vor dem Hintergrund des globalen islamistischen Terrorismus einerseits und des sog. Homegrown Terrorism andererseits hat der Senat noch nicht erlebt und dürften wohl für sich eine Ausnahme darstellen. Zu den Motiven dieser Geständnisse ließe sich einiges sagen, dies würde hier aber zu weit führen und letztlich nur das wiederholen, worauf Bundesanwalt Brinkmann in seinem Plädoyer bereits zutreffend hingewiesen hat. Ein Aspekt soll aber aufgegriffen werden. Die Angeklagten, denen das gesamte Aktenmaterial auf Laptops zur Verfügung stand, konnten hieraus ersehen, dass die Beweislage mehr als erdrückend war. Insofern wäre es auch aus der Sicht der Angeklagten im Ergebnis nicht erfolgversprechend gewesen, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Bei dem Umfang des Beweismaterials, das ohne die Geständnisse der Angeklagten in die Hauptverhandlung hätte eingeführt werden müssen, wäre allerdings mit einer Verfahrensdauer von bis zu drei Jahren zu rechnen gewesen, und zwar insbesondere wegen des sehr komplexen Tatgeschehens und des überaus umfangreichen Ermittlungsergebnisses. Die Verfahrensakten sowie die nach Anklageerhebung angefallenen Senatsordner waren bis zum Ende der Hauptverhandlung auf über 600 Stehordner angewachsen.
Das Tatgeschehen lässt sich vorab an dieser Stelle eben wegen seiner Komplexität und des Umfangs des Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem Senat nur zusammenfassend skizzieren:
Die unterschiedliche Entwicklung der Angeklagten zum extremen Islamismus – so bedeutsam sie für das Verständnis der Tat auch ist – soll und kann hier nur kurz gestreift werden: Der Angeklagte Fritz Martin Gelowicz konvertierte 1995 zum Islam; nach den Anschlägen vom 11. September 2001 begann er, sich verstärkt mit dem bewaffneten Jihad zu befassen. Seit Sommer 2002 besuchte er regelmäßig das bereits erwähnte Multikulturhaus in Neu-Ulm, einen damals bekannten Islamisten-Treffpunkt, der von den Behörden 2005 geschlossen wurde; den Angeklagten faszinierten dort insbesondere die Vorlesungen und Predigten des Dr. Yehia Yousif alias Scheich Abu Omar; ferner suchte er das Islamische Informationszentrum Ulm auf und arbeitete dort aktiv mit. Beide Einrichtungen sowie die dort verbreiteten Glaubensrichtungen und Ideologien bedürfen an dieser Stelle keiner näheren Erläuterung. Der türkische Staatsangehörige Adem Yilmaz beschäftigte sich seit Sommer 2001 erstmals näher mit dem Islam; im Herbst 2003 entschloss er sich vor dem Hintergrund der Kriege im Irak und in Tschetschenien, selbst in den bewaffneten Jihad zu gehen; der Märtyrertod wurde sein großes Lebensziel. Der Angeklagte Daniel Martin Schneider, der über Freunde zum Islam gefunden hatte, konvertierte im Jahre 2004. Ende 2005 entschloss er sich aufgrund von Medienberichten über Gräueltaten im Gefängnis Abu Ghuraib im Irak zur Teilnahme am bewaffneten Jihad. Der türkisch-stämmige deutsche Staatsangehörige Atilla Selek hatte im Sommer 2003 über einen Freund zur intensiven Befassung mit dem Islam gefunden. Auch er besuchte u.a. – schließlich fast täglich – das Multikulturhaus in Neu-Ulm, wo er Ende 2003 den Angeklagten Gelowicz kennenlernte und sich mit ihm anfreundete. Der Angeklagte Selek begeisterte sich alsbald vornehmlich unter dem Einfluss des Angeklagten Gelowicz ebenfalls für den bewaffneten Jihad.
Die Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider waren seit etwa Mitte 2006 bis zu ihrer Festnahme Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamische Jihad Union“; der Angeklagte Selek hat sich als Unterstützer der IJU betätigt. Bei der IJU handelt es sich um eine sunnitische Gruppierung, die sich von der Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) abgespalten hat. Die IJU verfolgte zunächst regionale Ziele in Usbekistan, sie hat ihren Wirkungskreis inzwischen jedoch im Sinne des Globalen Jihad ausgeweitet – unter anderem auf Europa. Sie unterhält Kontakte zur Al Qaida und ist maßgeblich von deren Ideologie beeinflusst. Zur Verbreitung ihres Gedankengutes nutzt die IJU verstärkt das Internet. Sie verfügt ferner über Verantwortliche für die Anwerbung und Schleusung von Freiwilligen, die be Kämpfern ausbilden zu lassen. Die Angeklagten hatten ihrerseits im Jahre 2006 eine ideologische und paramilitärische Schulung in einem Ausbildungslager der IJU durchlaufen, bevor sie nach Deutschland zurückkehrten u.a. mit dem Auftrag, hier Sprengstoffanschläge vornehmlich gegen amerikanische Ziele wegen des Einsatzes amerikanischer Truppen in Afghanistan zu begehen. Die Anschläge sollten aber auch die anstehende Entscheidung des deutschen Bundestages zur Verlängerung des Afghanistan-Mandates deutscher Truppen beeinflussen. In der Folgezeit nach ihrer Rückkehr standen die Angeklagten, insbesondere der Angeklagte Gelowicz, fortlaufend in Kontakt mit den Verantwortlichen der IJU.
Der Angeklagte Gelowicz begann spätestens ab Dezember 2006 das spätere Anschlagsvorhaben vorzubereiten. So suchte er etwa einen geeigneten Anbieter für Wasserstoffperoxid und mietete zur Lagerung der Chemikalie eine Garage im Raum Freudenstadt an. Spätestens ab Februar 2007 beteiligten sich die Angeklagten Yilmaz, Schneider und Selek abgeschottet und konspirativ an den Vorbereitungen. Die Angeklagten richteten hierzu unter fiktiven Namen E-Mail-Accounts ein, über die sie den Großteil ihrer Kommunikation abwickelten. Die Konten wurden hierbei als „toter Briefkasten“ zur Hinterlegung von Entwurfsnachrichten genutzt, die unter Verwendung eines Passwortes ohne konventionelle E-MailKommunikation eingesehen und geändert werden konnten. Bei dem Angeklagten Gelowicz lief die Kommunikation der übrigen Angeklagten zusammen, über ihn wurden sie auch jeweils mit den erforderlichen Informationen versorgt.
Ziel der Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider war es, in Deutschland Sprengstoffanschläge insbesondere gegen amerikanische Staatsbürger und US- amerikanische Einrichtungen mit einer möglichst hohen Opferzahl zu begehen. Sie beabsichtigten hierzu, Sprengsätze auf Wasserstoffperoxidbasis herzustellen und diese in schlagsziele zogen sie Örtlichkeiten wie Pubs, Diskotheken und amerikanische Einrichtungen in Betracht. Als Tatorte erwogen sie u.a. wegen der dortigen Militärbasen Ramstein und Kaiserslautern, aber auch Düsseldorf, Köln oder Leverkusen. In zeitlicher Hinsicht sollten die Anschläge vor der Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der ISAF-Truppen am 12. Oktober 2007 stattfinden. Von Dezember 2006 bis zum Juli 2007 erwarb der Angeklagte Gelowicz große Mengen 35 %iger Wasserstoffperoxid-Lösung bei einer Chemikalienhandlung im Raum Hannover. Er beschaffte nach und nach zwölf 65-Kilogramm-Fässer und verbrachte diese in die eigens dafür angemietete Garage bei Freudenstadt, wobei ihm der Angeklagte Yilmaz zweimal bei dem Transport und der Einlagerung von Fässern behilflich war.
Die vom Angeklagten Gelowicz im Juli 2007 gekauften drei Fässer hatte das Bundeskriminalamt in Absprache mit dem Chemikalienhändler zuvor gegen Kanister mit einer gefahrlosen 3 %igen Wasserstoffperoxidlösung ausgetauscht. Gleichermaßen wurde mit den bereits in der Garage gelagerten neun Fässern verfahren; auch diese ersetzte das Bundeskriminalamt durch Kanister mit einer gefahrlosen 3 %igen Austauschlösung. Zur Abholung dreier weiterer Fässer, die der Angeklagte Gelowicz Ende August bestellt hatte, kam es wegen der Festnahme am 4. September 2007 nicht mehr. Die Angeklagten beabsichtigten, das Wasserstoffperoxid durch Verdampfen zu konzentrieren und unter Beigabe von Mehl eine hochexplosive Sprengstoffmischung herzustellen. Die von ihnen bezogene Menge hätte eine explosive Mischung von 550 kg ergeben, vergleichbar mit der Sprengkraft von etwa 410 kg TNT. Neben der Beschaffung der WasserstoffperoxidLösung organisierte der Angeklagte Gelowicz durch Vermittlung des Angeklagten Selek, der sich verunsichert durch eine bei ihm durchgeführte polizeiliche Durchsuchung in Absprache mit Gelowicz inzwischen in die Türkei abgesetzt hatte, dort zwanzig von der IJU beschaffte Sprengzünder tschechischer Produktion, die – in Schuhsohlen versteckt – nach Deutschland geschmuggelt wurden; aus einer anderen Quelle hatte Gelowicz bereits zuvor ebenfalls durch Vermittlung des Angeklagten Selek weitere sechs Sprengzünder bulgarischer und serbischer Herkunft erhalten. Bei den späteren Ermittlungen stellte sich heraus, dass nur wenige dieser 26 Zünder funktionstüchtig waren.
Gemeinsam mit dem Angeklagten Yilmaz wählte der Angeklagte Gelowicz ferner ein Ferienhaus im Sauerland aus, das er zum Zwecke der gemeinschaftlichen Fertigstellung der Sprengbomben für den Zeitraum vom 31. August 2007 bis zum 29. September 2007 anmietete. In dieses Haus begaben sich die drei Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider am 2. September 2007, wobei sie eines der Fässer aus der Garage bei Freudenstadt mitbrachten. Tags darauf, am 3. September 2007, fuhren sie nach Dortmund, kauften dort noch weitere für die Herstellung der Sprengsätze erforderliche Materialien, unter anderem 32,5 kg Weizenmehl; ferner bestellten sie weiteres Elektronikzubehör. Der Angeklagte Gelowicz druckte überdies in einem Call-Shop Teile eines Dokuments aus, das ihm von der IJU per E- Mail aus Pakistan übermittelt worden war und das unter anderem noch fehlende Schaltpläne für den Bau einer Zündvorrichtung enthielt.
Nach ihrer Rückkehr aus Dortmund ins Ferienhaus befassten sich die drei Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider noch in der Nacht zunächst mit dem Bau von Zündauslösevorrichtungen. Als sie dann am folgenden Tag, dem 4. September 2007, damit begannen, die Wasserstoffperoxidlösung aufzukochen mit dem Ziel der Herstellung einer sprengfähigen Konzentration, und insbesondere zu befürchten war, dass der Angeklagte Gelowicz das Ferienhaus zu einer weiteren Einkaufsfahrt verlassen und so außer Kontrolle geraten würde, erfolgte der Zugriff der Ermittlungsbehörden, die das Geschehen im Ferienhaus aufgrund der Wohnraumüberwachung hatten verfolgen können.
Der Angeklagte Schneider versuchte, sich seiner Festnahme durch Flucht zu entziehen. Nachdem ein MEK-Beamter des BKA ihn eingeholt und zu Fall gebracht hatte, kam es bei dem Versuch seiner Festnahme zu einer körperlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf es dem Angeklagten Schneider gelang, die Waffe des MEK-Beamten aus dessen Holster zu ziehen und einen Schuss abzugeben, um seiner Festnahme um jeden Preis, auch den Preis des Todes des Polizeibeamten, zu entgehen. Lediglich weil es dem Beamten gelungen war, die Waffe wegzudrücken, konnte er verhindern, getroffen zu werden. Einen zweiten Schuss vermochte er – obwohl der Angeklagte nochmals den Abzug betätigte – dadurch abzuwenden, dass er mit einem Handgriff den Schlitten der Waffe blockierte. Mit Hilfe zweier weiterer MEK-Beamter und ihres massiven Einsatzes gelang es schließlich, dem Angeklagten Schneider die Waffe zu entwinden und seinen Widerstand zu brechen.
Die Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider befinden sich seit dem 5. September 2007 in Untersuchungshaft. Der Angeklagte Selek wurde am 6. November 2007 in der Türkei festgenommen und in Auslieferungshaft für das vorliegende Verfahren genommen; am 20. November 2008 wurde er an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.
Soweit gerafft das Tatgeschehen.
Sämtliche Angeklagten haben vor dem Senat erklärt, dass sie für sich die Begehung von Anschlägen in der Zukunft ausschließen. – 9 – Dass der Senat das Tatgeschehen in “netto” nicht einmal acht Monaten aufklären und das Verfahren beenden konnte, lag – wie bereits erwähnt – weitgehend an den Geständnissen der Angeklagten aufgrund der mehr als erdrückenden Beweislage, wobei sich allerdings der Angeklagte Schneider schwertat, auch sein Verhalten bei der Festnahme, nämlich den versuchten Mord, zu gestehen. Erst als er selbst die Beweislage auch hinsichtlich dieses Tatvorwurfs aufgrund der intensiven und erschöpfenden Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung hierzu – ein wichtiger Zeuge musste sogar aus Australien anreisen – als eindeutig erkennen musste, gab er sein Bestreiten auf, dies allerdings recht zögerlich. Allein die Beweisaufnahme zu diesem Tatkomplex nahm mehrere Wochen in Anspruch.
Dass die Beweislage im Übrigen so erdrückend war, lag auch in diesem Verfahren – wie in dem vor dem Senat verhandelten Al Qaida-Verfahren – an den Erkenntnissen aus der Wohnraumüberwachung, aber auch, und diesmal ganz vorrangig, an den Erkenntnissen aus der Überwachung der Gespräche der Angeklagten Gelowicz, Yilmaz und Schneider in den von ihnen angemieteten PKWs. Diese Überwachungsund Erm erwiesen. Und noch ein weiterer Gesichtspunkt ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen: Bundesanwalt Brinkmann hat in seinem Plädoyer zutreffend darauf hingewiesen, dass Dienste – der Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst – bei diesem Verfahren, wie in den Verfahrensakten dokumentiert, eine Rolle gespielt haben. Deren Erkenntnisse seien mitentscheidend für die Einleitung des Ermittlungsverfahrens und damit für die Aufdeckung des Anschlagsvorhabens der Angeklagten in Deutschland gewesen. Die Dienste seien mittlerweile unverzichtbar bei der Aufdeckung islamistischer jihadistischer Strukturen; sie seien insoweit Teil des ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes. Diesen z führung ist nichts hinzuzufügen.
Wenn wir hier die kurze Verfahrensdauer hervorheben, soll in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, dass die Verteidigung sämtlicher Angeklagten in bemerkenswerter Weise hierzu beigetragen hat. Es gab keine Konfliktverteidigung, wie wir sie aus anderen Verfahren kennen, keine das Verfahren zielgerichtet in die Länge ziehenden sachfremden Beweisanträge oder sonstigen Verfahrensanträge, die nicht am Interesse der Mandanten orientiert sind. Die Verteidigung hat, so wie sie prozessual agiert hat, nicht nur zu einem angenehmen und für den raschen Verfahrensverlauf förderlichen Verfahrensklima beigetragen, sondern sie hat die Interessen der Angeklagten bei der gegebenen Beweislage in bestmöglicher Weise vertreten, die Beispiel geben sollte. Und der Senat hat es auch noch nicht erlebt, dass aus den Reihen der Verteidigung das Plädoyer der Bundesanwaltschaft mit Lob bedacht wurde.
Aber diese angenehme Verfahrensatmosphäre darf nicht über eines hinwegtäuschen, nämlich dass wir es mit einem ungeheuren Tatgeschehen zu tun haben, und zwar der Verabredung zu Sprengstoffanschlägen mit dem Ziel der Tötung von mindestens 150 amerikanischen Militärangehörigen; einen Anschlag von einem solchen Ausmaß hat es in Deutschland noch nie geben und auch nicht die Verabredung zu einem solchen Anschlag. Die verabredeten Sprengstoffanschläge rufen Erinnerungen an die Anschläge von London und Madrid wach. Und bei diesem Ausmaß des Tatgeschehens, diesem Ausmaß an krimineller Energie gab es seitens des Senats auch in Ansehung der angenehmen Verfahrensatmosphäre und der Geständnisse der Angeklagten – ich will es mal so ausdrücken – nichts zu “verschenken”. Es war nicht das Verdienst der Angeklagten, dass es nicht zu den verabredeten verheerenden Sprengstoffanschlägen gekommen ist. Allerdings haben sich die Geständnisse deutlich strafmildernd ausgewirkt, ja – nach dem Gesetz auch auswirken müssen.
Zum Verfahrensablauf sei aber noch auf eines hingewiesen: Der Senat hat zur Kenntnis nehmen müssen, dass die türkischen Behörden ein den Angeklagten Selek betreffendes erweitertes Auslieferungsersuchen des Generalbundesanwalts aus Januar 2009 bis zum Ende der Hauptverhandlung nicht beschieden haben. Im Benehmen mit dem Generalbundesanwalt hat der Senat das hierdurch entstandene Problem prozessual in anderer Weise lösen können. Die vielfach auftretenden Schwierigkeiten im Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland sind nach der Erfahrung des Senats ein zunehmendes Problem für eine zügige Abwicklung von Verfahren mit Auslandsbezug, wie es nun mal bei Verfahren, die den globalen islamistischen Terrorismus zum Gegenstand haben, weithin die Regel ist. Schon im sog. Kofferbomberverfahren haben wir auf dieses Problem hingewiesen.
Zum Abschluss dieses Vorworts soll aber nicht versäumt werden, auch in diesem Verfahren Folgendes hervorzuheben:
Der Arbeit der Ermittlungsbehörden, des Bundeskriminalamts und der beteiligten Landeskriminalämter, aber auch der beteiligten Dienste, muss in ganz besonderer Weise Respekt gezollt werden. Ein verheerendes Anschlagsvorhaben ist vereitelt worden. Es war schon eine außergewöhnliche Leistung, die Angeklagten, nachdem man auf sie aufmerksam geworden war, derart “hautnah”, derart effizient zu überwachen und die todbringende Wasserstoffperoxidlösung unbemerkt durch eine ungefährliche Austauschlösung zu ersetzen.
Dies alles war nur möglich aufgrund der personell wie materiell überaus aufwändigen Ermittlungsarbeit der beteiligten Ermittlungsbehörden, insbesondere des Bundeskriminalamtes, aufgrund des überobligationsmäßigen persönlichen Einsatzes und Fleißes vieler Polizeibeamter sowie der überaus professionellen Arbeit vornehmlich der Ermittlungsgruppe um den Ermittlungsführer im vorliegenden Verfahren, Kriminalhauptkommissar Kachel. Eine besonders außergewöhnliche Herausforderung ergab sich dann zusätzlich für die Beamten des Bundeskriminalamts im Verlauf der Hauptverhandlung, als sie über nahezu zwei Monate hin mit vier Vernehmungsteams auf Bitte des Senats die Vernehmung der inzwischen zum Ges unter hohen persönlichen Einschränkungen bis hin zum Verzicht auf bereits gebuchten Urlaub durchführten. Die Vernehmungsprotokolle sowie die begleitenden Vermerke füllten schließlich mehrere Stehordner mit insgesamt über 1.700 Seiten. Sie waren eine ganz hervorragende Grundlage für die nachfolgende Vernehmung der Angeklagten durch den Senat in der Hauptverhandlung.