Das Sommerloch im Winter

Die flächendeckende Katastrophe ist ausgeblieben. Trotzdem hat Daisy eine Katastrophe mitgebracht – für die Medien, welche die Schneehölle ausgerufen haben. Jörg Kachelmann fasst in einem Gastbeitrag für Stefan Niggemeier zusammen, was falsch gelaufen ist:

Wir haben gelernt, dass wir Hamsterkäufe machen sollen, wir wurden aber nicht gehindert, Autofahrten in die Schneeverwehungen zu machen. Dadurch bleiben in der Nacht viele Autofahrer an Straßenrändern liegen und werden nicht oder nur notdürftig versorgt. Die Autofahrer sind losgefahren, weil sie von 95% der Bevölkerung erfahren haben, dass Daisy nicht so schlimm sei. Zu viel(e) gewarnt ist so schlimm wie nicht gewarnt. Dafür gibt es Bilder eingeschlossener Autofahrer. Der DWD wird zufrieden feststellen, dass er schon immer gesagt hätte, dass es (irgendwo) schlimm würde. Es gibt Bilder von eingeschlossenen Autofahrern und verwehten Autobahnen. Der Weltuntergang, der meteorologisch nicht stattfand, wird durch die Hintertuer teileingeführt, weil man die Strassen einfach offen und Leute in die Schneewehen fahren lässt.

Dazu ein passender Leserkommentar zum Beitrag:

Wir saßen zu Beginn des Sponge-Bob-Alarms vor ein paar Tagen zusammen und haben in alten Familienfotos aus den Fünfzigern gestöbert. Als wir die Winterfotos von Männern sahen, die einem Postbus und dem Milchauto den Weg frei schaufelten, links und rechts türmten sich etwa 1,20 Meter mittelgebirgischer Schnee, kannte unsere Belustigung über die 10-Zentimeter-Schneewarnung des DWD keine Grenzen mehr. Auch meine Kindheitserinnerungen sagen mir, dass selbst bei 30 Zentimeter Neuschnee innerhalb weniger Stunden kein Mensch durchdreht. Aber das beste war der Blick in die alte Fotokiste. Lachende Männergesichter mit Schaufeln und Mützen. Jemand reichte von rechts eine Thermoskanne ins Bild. Die Relativierung von frisch angesagten „Katastrophen” liegt oft in einer Schuhschachtel und wartet darauf, wieder mal entdeckt zu werden.

Dresdner Gerichtsmord: Meinung nicht erwünscht

Weil sie sich kritisch über das Verhalten eines Polizisten beim Dresdner Gerichtsmord geäußert hat, soll die Medien- und Islamwissenschaftlerin Sabine Schiffer bestraft werden. Bekanntlich hatte ein hinzugerufener Polizist nicht den Messerstecher festgenommen, sondern dem Ehemann des Opfers ins Bein geschossen.

Hierzu hatte Schiffer in mehreren Interviews geäußert, es kämen – unbewusste – rassistische Motive in Betracht. Gegenüber einem türkischen Radiosender soll sie dies sogar mit der Wertung „sicherlich“ untermauert haben.

Die Münchner Staatsanwaltschaft sah in den Erwägungen keine zulässige Meinungsäußerung, sondern eine Beleidigung. Folge: Der Wissenschaftlerin wurde ein Strafbefehl zugestellt.

Gegen den sie sich hoffentlich wehrt.

Näheres in der Berliner Zeitung.

OLG Köln: Familien-Stasi schützt Musikindustrie

Das Oberlandesgericht Köln hat in einem Filesharing-Prozess eine Frau aus Oberbayern verurteilt, 2.380,00 Euro Abmahnkosten nebst Zinsen an vier führende deutsche Musikfirmen zu zahlen.

Im August 2005 waren vom Internetanschluss der Frau insgesamt 964 Musiktitel als MP3-Dateien unerlaubt zum Download angeboten worden, darunter auch viele ältere Titel wie z. B. von der Rockgruppe „The Who“.

Nachdem die IP‑Adresse des Internetanschlusses aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft der Bayerin zugeordnet worden war, ließen die Musikfirmen sie durch ihren Anwalt abmahnen, worauf sie sich zur Unterlassung weiterer Urheberrechtsverletzungen verpflichtete. Daraufhin nahmen die Musikfirmen sie auf Zahlung der Anwaltskosten für die Abmahnung in Anspruch. Die Anschlussinhaberin bestritt, dass sie selbst Musikstücke im Internet angeboten habe. Neben ihr haben noch ihr Ehemann sowie ihre damals 10 und 13 Jahre alten Jungen Zugang zu dem Computer gehabt.

Der für Urheberrechtsfragen speziell zuständige 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln hat den klagenden Musikfirmen einen Anspruch auf Ersatz ihrer Abmahnkosten zuerkannt. Dabei hat der Senat offengelassen, inwieweit der Inhaber eines Internetanschlusses überwachen muss, dass andere Personen keine Urheberrechtsverletzungen über seinen Anschluss begehen.

Im konkreten Fall habe die Frau jedenfalls nichts dazu vorgetragen, wer nach ihrer Kenntnis den Verstoß begangen haben könnte. Dazu wäre sie nach prozessualen Grundsätzen aber verpflichtet gewesen. So habe es etwa nicht ferngelegen, dass ihr Ehemann den Anschluss benutzt habe, da vielfach auch ältere Titel zum Download angeboten worden seien. Es sei darüber hinaus auch unklar geblieben, welches der Kinder den Anschluss genutzt haben könnte.

Auch habe die Anschlussinhaberin nicht erläutert, ob hinreichende technische Sicherungen an ihrem Computer eingerichtet gewesen seien, wie etwa eine Firewall, die einen Download hätte verhindern können, oder die Einrichtung von Benutzerkonten mit beschränkten Rechten.

Die Mutter der beiden Jungen habe im Prozess auch nicht deutlich machen können, dass sie ihren elterlichen Kontrollpflichten nachgekommen sei. Das bloße Verbot, keine Musik aus dem Internet downzuloaden und an Internet-Tauschbörsen teilzunehmen, genüge zur Vermeidung von Rechtsverletzungen durch die Kinder nicht, wenn dies praktisch nicht überwacht und den Kindern freie Hand gelassen werde. Daher sei die Anschlussinhaberin letztlich als verantwortlich anzusehen und hafte für die Urheberrechtsverletzungen.

Bei der Berechnung der anwaltlichen Abmahnkosten, die sich nach dem Gegenstandswert der Sache richten, hat der Senat das hohe Interesse der Musikfirmen an der Vermeidung weiterer Urheberrechtsverletzungen vom konkreten Anschluss aus betont.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Urteil vom 23. Dezember 2009, 6 U 101/09.

Der haftunfähige Hausarzt

Für einen Mandanten haben wir vor einiger Zeit einen niedergelassenen Arzt verklagt und den Prozess gewonnen. Die Zwangsvollstreckung erwies sich als kompliziert. Laut Gerichtsvollzieher ist der Arzt „amtsbekannt fruchtlos“ eingerichtet. Die Bankverbindung läuft über seine Tochter. Die Kassenärztliche Vereinigung, bei der er Honorare liquidiert, wehrte sich gegen eine Pfändung. Privatpatienten sind zwar vorhanden, haben dann aber offensichtlich nach Erhalt eines Pfändungs- und Überweisungbeschlusses den Arzt gewechselt. Oder ab sofort bar bezahlt.

Nur die eidesstattliche Versicherung, den Offenbarungseid, hat der Arzt noch nicht abgegeben. Nachdem wir sogar einen Haftbefehl erwirkten, kam wenigstens etwas Bewegung in die Sache. Der Doktor übersandte ein Attest, wonach er „haftunfähig“ ist. Interessanterweise ist die wenige Zeilen lange Stellungnahme von einer Amtsärztin beim zuständigen Landrat ausgestellt.

Auf Nachfrage stellte sich heraus, dass die Behörde keineswegs von sich aus oder auf Antrag des Vollstreckungsgerichts tätig geworden ist. Sondern auf Bitten des Schuldners. Aufgrund welcher Rechtsgrundlage das geschah, wollte man uns bislang nicht sagen. Riecht nach Gefälligkeitsgutachten für einen alten Freund.

Nachdem wir nun beim Vollstreckungsgericht nachgehakt haben, wird endlich ein ordentliches Gutachten über die Haftfähigkeit des Mediziners eingeholt. Ich frage mich nur, wie er in seinem angeblich so bedauernswerten psychischen Zustand noch in der Lage ist, Tag für Tag seine Praxis zu öffnen. Was er wohl tut.

Abgesehen davon ist die Sache ohnehin eine Farce. In Haft müsste der Schuldner ja nur, wenn und so lange er die angeordnete eidesstattliche Versicherung verweigert. Sobald er das Vermögensverzeichnis ausgefüllt und die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, wäre der Haftbefehl gegenstandslos. Die Frage müsste also eher lauten, ob der Schuldner gesundheitlich in der Lage ist, mit Hilfe des Gerichtsvollziehers ein simples Formular auszufüllen.

Immerhin hat der Druck nun schon so zugenommen, dass sich der Arzt einen eigenen Anwalt genommen hat. Der kündigt nun ein „Entschuldungsangebot“ an. Sein Mandant möchte gern weiter arbeiten und brauche eine „Lebensperspektive“.

Schauen wir mal.

Neue Riesen-JVA in Bielefeld

So groß wie etwa 38 Fußballfelder ist die Fläche am Rande von Bielefeld. Sie reicht in den Kreis Paderborn und bis kurz vor Münster. Auf diesem Areal leben in Ostwestfalen rund 1.720 Menschen. Doch hier regiert kein Bürgermeister. Der 46-jährige Uwe Nell-Cornelsen leitet die neue Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne, die jetzt mit der JVA
Bielefeld-Brackwede II vereint worden ist. Sie kann sich damit größte offene Vollzugsanstalt Europas nennen.

„Der Vollzug ist hier seit 102 Jahren gewachsen, kultiviert worden, die Bevölkerung akzeptiert ihn“, lobt Nell-Cornelsen. Er meint damit die „hervorragende Beschäftigunsgquote von 90 Prozent“ für die 1.663 männlichen und 53 weiblichen Gefangenen. Die arbeiten zumeist nicht hinter Gittern, sondern im regionalen Handwerk, Handel, in Industriebetrieben oder gar freiberuflich.

Das Konzept dient der Wiedereingliederung in die Gesellschaft, setzt aber die Eignung dafür voraus. Dabei helfen therapeutische Beratung, soziales Leben und die Entwöhnung von Drogen. Ein vorbestrafter Schriftsteller beispielsweise könnte außerhalb der Anstalt mit seiner Arbeit eigenes Geld verdienen. Damit vielleicht Schulden tilgen. Nach Abzug der monatlichen Miete von 30 Euro für die Übernachtung in der neuen JVA.

Wer die Idee zur Fusion der beiden Gefängnisse hatte, ist wohl nicht mehr genau auszumachen. Sie kam, erinnert sich Nell-Cornelsen, im vorigen Sommer aus dem
Justizministerium in Düsseldorf. Helfer war Klaus Jäkel, der Landesvorsitzende des
Bunds der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD). Er bemüht für die
Zusammenlegung der beiden Anstalten gar die deutsche Wiedervereinigung: „Das
alles muss und wird auch in den Köpfen zusammenwachsen, weil es vereint gehört.“

Für viele der Kolleginnen und Kollegen, fürchtet Jäkel, fallen gewohnte Funktionen weg. Aber: Es werde keine Entlassungen geben, so habe es
Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) versprochen. Andererseits
könne sich der Steuerzahler freuen. Wenigstens zehn bislang gut dotierte Stellen werden eingespart. Dazu gehört der ehemalige Chefposten der JVA Brackwede II. Der ist erst gar nicht mehr besetzt worden, als von dort Uwe Nell-Cornelsen nach Bielefeld-Senne wechselte.

Dort sieht er nach einer „Riesen-Apparate-Fusion, wie es sie in Deutschland noch nicht gab“, ähnlich wie Jäkel die Ängste der Kollegenschaft „vor Veränderungen“. Ansonsten stimme das Konzept. Durch den Bau zusätzlicher Werkhallen mit einer Fläche von insgesamt rund 12.000 Quadratmeter ist laut Justizministerium das Arbeitsplatzangebot für Gefangene erheblich verbessert worden.

Außerdem wird überlegt, den (geschlossenen) Zugangsbereich der zusammengelegten Anstalt zu erweitern. Nach den Pannen in NRW-Gefängnissen liegt die Frage nahe, ob es in einem solchen Riesenladen noch den richtigen Überblick geben kann? Ulrich Hermanski, Sprecher des Ministeriums, kontert knapp: „Weder das Justizministerium noch der Anstaltsleiter sehen Risiken in der Fusion.“ Schließlich habe es allein in
der JVA Bielefeld-Senne schon oft eine Belegung über der jetzt neu
entstehenden Größe gegeben. Das habe sich als „sehr gut regierbar“ erwiesen.

Die Unsicherheit bleibt. Das weiss auch Uwe Nell-Cornelsen. Er hat keine Angst vor
dem Strafvollzug. Denn den sieht er als „Berufsrisiko“ – einen Umgang mit
mehr als 1.000 Menschen, „die einst draußen schon nicht klar gekommen sind“.
(pbd)

Zahlen Sie hier, zahlen Sie dort

Ich hatte mit dem Anwalt der Klägerin vor Gericht einen Vergleich ausgehandelt. Meine Mandanten sollten ein gewisses Schmerzensgeld in monatliche Raten zahlen. So weit, so gut.

Später gab es in einer anderen Sache einen weiteren Gerichtstermin. An diesem Termin nahm nur die Klägerin teil, nicht jedoch ihr Anwalt. Die Klägerin sagte mir, der Kollege sei nicht mehr für sie tätig. Bei der Gelegenheit gab sie mir auch ihre private Bankverbindung. Die Raten sollten ab sofort nicht mehr an ihren Anwalt gezahlt werden. Sondern direkt an sie. Was dann wohl auch geschah.

Nun, weitere drei Monate später, erreicht mich eine Mahnung des Anwalts. Er beschwert sich, die letzten zwei Raten seien nicht auf seinem Konto eingegangen. Dann setzt er eine Frist von wenigen Tagen und droht damit, aus dem Vergleich zu vollstrecken.

Ich habe ihn erst mal um eine aktuelle Inkassovollmacht gebeten…

Einige Dinge besprechen

Ich telefoniere gerade hinter einer Polizistin her, die sich für morgen früh bei meinem Mandanten angesagt hat. Um was es geht, wollte sie ihm am Telefon nicht sagen. Sie müsse halt einige Dinge mit ihm besprechen.

Nun ja. In der Sache liegt mittlerweile nicht nur die Anklageschrift vor. Ich bin auch seit Anfang an als Verteidiger tätig, so dass mein Name durchaus in der Ermittlungsakte auftaucht. Es hätte also nahe gelegen, nicht nur meinen Mandanten anzurufen, sondern auch mich. Auch Polizisten dürfte klar sein, dass ein Anwalt erst mal mit der roten Kelle winkt, wenn Vernehmungen an ihm vorbei organisiert werden.

Da ich die Frau nun nicht erreiche und auch nicht weiß, um was es bei dem Besuch gehen soll, kann ich dem Mandanten nur raten, erst mal nichts zu sagen, bevor er von mir grünes Licht hat.

Gut möglich, dass es eine vergebliche Dienstfahrt wird.

Einfach mal nichts sagen

Aus dem Schreiben eines Staatsanwalts:

Sehr geehrte Frau P.,

ich habe des Ermittlungsverfahren eingestellt, da dem Beschuldigten eine strafbare Handlung nicht nachzuweisen ist.

Der Beschuldigte hat von seinem ihm gesetzlich zustehenden Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

Weitere Beweismittel, insbesondere Zeugen, die die Tat gesehen haben, sind nicht vorhanden.

Alleine Ihre Vermutungen sind nicht geeignet, einen zur Anklageerhebung hinreichenden Tatverdacht zu begründen.

Der Mandant wollte ja erst so recht nicht glauben, dass schweigen mitunter häufig die beste Verteidigungsstrategie ist. Er wollte unbedingt zur Polizei, „alles“ richtig stellen und überhaupt – wie sieht das denn aus, wenn man einer Vorladung nicht Folge leistet?

Ich hoffe, er hat seine Meinung geändert.

In keiner Weise sexualbezogen

Acht Monate Gefängnis auf Bewährung erhielt eine 35-jährige, aus Vietnam stammende Frau, weil sie ihren sechsjährigen Sohn und ihre neunjährige Nichte nicht nur ihre Brust berühren, sondern die Kinder auch daran saugen ließ. Amts- und Landgericht erkannten darin den „sexuellen Missbrauch von Kindern“.

Das Oberlandesgericht Oldenburg hat die Verurteilungen aufgehoben. Aus dem Urteil:

Für eine Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs nach §§ 174 Abs. 1, 176 Abs. 1 StGB fehlt es bereits an einer sexuellen Handlung.

Eine solche liegt objektiv vor, wenn die Handlung das Geschlechtliche im Menschen zum unmittelbaren Gegenstand hat und für das allgemeine Verständnis nach ihrem äußeren Erscheinungsbild eine Sexualbezogenheit erkennen lässt …

Dies trifft zwar für das Betasten einer unbekleideten weiblichen Brust grundsätzlich zu, gilt jedoch nicht für die hier zu bewertenden Vorgänge. Denn diese weisen in ihrem Erscheinungsbild keinen sexuellen Bezug auf. Die Erwägung des Landgerichts, dass die Duldung der ´Intimitäten im Brustbereich im Laufe der Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder zu einer ungezügelten Sexualisierung des kindlichen Verhaltens führen´ könne, erscheint abwegig.

Die Kinder handelten äußerlich erkennbar aufgrund eines spielerischen Impulses oder weil sie Geborgenheit suchten, ohne dass Sexualität dabei irgendeine Rolle gespielt hätte. Die Angeklagte ließ die Kinder gewähren, wobei sie ihre Hand zärtlich um den Kopf oder den Rücken des Kindes legte. Dieses Verhalten war nach seinem objektiven Erscheinungsbild in keiner Weise sexualbezogen.

Link zum Urteil

(Danke an RA Robert Koop für den Hinweis)

Mit E-Mails muss gerechnet werden

Vorsicht mit E-Mails im Rechtsverkehr! Wer die elektronischen Nachrichten unterschätzt, muss mit den Folgen leben können. Und die sind mitunter finanziell schmerzhaft. Das musste ein Mann aus Mönchengladbach erleben, der sich für den Kauf eines Hauses interessierte und deswegen einem Makler seine E-Mail-Adresse gab.

An die E-Mail-Adresse gingen denn auch Einzelheiten, auf die der Interessent aber nicht mehr einging. Er argumentierte später, er habe die E-Mails gar nicht bekommen und auch nicht gelesen – deshalb sei auch kein Vertrag mit dem Makler entstanden. Dessen Rechnung über 6.960 Euro müsse also nicht bezahlt werden.

Das sieht das Oberlandesgericht Düsseldorf anders (I – 7 U 28/08). Der 7. Zivilsenat gesteht dem Interessenten aus Mönchengladbach zwar zu, es überschreite allgemein die Grenze, wenn jeder E-Mail-Nutzer erst darlegen und beweisen muss, bestimmte E-Mails nicht erhalten zu haben.

Dennoch – hier nimmt der Senat die entscheidende Kurve für ähnliche Geschäfte – wer beispielsweise einem Makler die eigene E-Mail-Adresse nennt, muss „heutzutage damit rechnen“, dass diese auch für die Übersendung von Exposés und anderen Mitteilungen genutzt wird – „einfach weil es billiger ist“.

Wenn der Empfänger seinen Mail-Account nicht öffnet und/oder seine Mails nicht abruft und nicht liest, „kommt das einer Zugangsvereitelung gleich“. Die Folge im entschiedenen Fall: Der Maklervertrag hatte Bestand. (pbd)

Offenbarung

Ein Schuldner, der leider auch mein Ex-Mandant ist, hat die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Dem Gerichtsvollzieher sagte er einige Dinge, die ich noch gar nicht wusste.

Dass er ein Konto bei der Deutschen Bank hat. Und bei einem Messebauer arbeitet. Das offenbarte Netto liegt knapp über der Pfändungsgrenze, aber immerhin.

Nun beschwert sich eben jener Schuldner bitterlich, dass ich sein Konto und sein Gehalt gepfändet habe. Offensichtlich war ihm nicht bewusst, dass der Gerichtsvollzieher das gesamte Vermögensverzeichnis, das bei der eidesstattlichen Versicherung angelegt wird, an uns weitergibt. Früher hieß das Ding Offenbarungseid. Das war deutlicher.

Nun soll ich eine Ratenzahlung einräumen, und zwar dringend. Ratenzahlung? Genau diese hatte ich schon einige Male vorgeschlagen, bevor ich die Anwaltsgebühren eingeklagt habe.

Nachdem ich meinem Geld fast ein Jahr hinterhergelaufen bin, muss nun mal der Ex-Mandant Geduld haben. Bevor ich mir die Ratenzahlung überlege, warte ich auf jeden Fall die Auskünfte der Bank und des Arbeitgebers ab…

Chaos in Dortmund – Wer kriegt Entschädigung?

Chostag am Flughafen von Dortmund:
Am Morgen war eine Air-Berlin-Maschine nach einem Startabbruch in einer Wiese gelandet. Gegen Mittag wurde der ganze Flughafen für Stunden geschlossen.
Die meisten Reisenden konnten laut einem Bericht der WAZ von anderen Flughäfen starten, natürlich mit einiger Verspätung.
Spannend dürfte nun die Frage werden, ob die Fluggäste Anspruch auf Entschädigung haben. Folgende „Ausgleichsleistungen“ sind abhängig von der Flugstrecke vorgeschrieben:

bis 1500 km 250 €
1500 – 3500 km 400 €
über 3500 km 600 €

Das gilt schon seit Jahren für gecancelte Flüge. Vor kurzem hat der Europäische Gerichtshof zudem klargestellt, dass auch bei einer mindestens um drei Stunden verspäteten Ankunft bereits von einem Flugausfall und einem Entschädigungsanspruch auszugehen ist (Urteil vom 19.11.2009, Az. C-402/07).

Die Ausnahme: Eine solche Verspätung führt dann nicht zu einem Ausgleichsanspruch zugunsten der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, so der EuGH. Dabei muss es sich um Umstände handeln, „die von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind”.

Technische Probleme (wie z.B. ein Turbinenschaden), die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen oder infolge einer unterbliebenen Wartung auftreten, sind noch kein außergewöhnlicher Umstand, so der EuGH in einem anderen Urteil (Az: C-549/07).

Bei der Air-Berlin-Maschine sollen während des Starts die Instrumente im Cockpit verschiedene Geschwindigkeiten angezeigt haben, woraufhin der Start abgebrochen wurde. Das klingt schwer nach technischem Defekt, der beherrschbar gewesen sein dürfte. Und die Reisenden in anderen Maschinen? Ich vermute, die Schließung des Flughafens wird wohl als außergewöhnlicher Umstand gewertet werden, so dass sie nichts zu erwarten haben.

Ein Vielzahl weiterer Urteile zu diesem Thema gibt es hier.

Da Udo Vetter stets in Düsseldorf Frankfurt/Main startet und landet, gehe ich davon aus, dass er inzwischen ohne Verspätung zu Hause angekommen ist und morgen in bewährter Weise den Lawblog wieder betextet.
Die Urlaubvertretung verabschiedet sich und wünscht ein schönes Rest-Wochenende.

GEZ-Kritiker mundtot gemacht?

Ein Mitarbeiter des NDR hat offenbar eine Rechtsanwaltskanzlei damit beauftragt, den Hamburger GEZ-Kritiker Bernd Höcker abzumahnen. Der Streitwert wurde auf satte 50.000 Euro angesetzt. Gilt hier etwa die Devise: Lieber eine Person bestrafen und damit Tausende erziehen?

In seinem Blog „Meine Zwangsanmeldung“ sprach er sich bislang sehr offen gegen die Methoden der Gebühreneinzugszentrale (GEZ) aus. Im Schreiben der gegnerischen Rechtsanwaltskanzlei wurde er aufgefordert alle Teile seines Blogs zu löschen, wo er über vergangene Auseinandersetzungen mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) berichtet.

(Zitat von gulli.com)

Wie gulli.com oder MMnews heute berichten, ist das eher streitbare Weblog „Meine Zwangsanmeldung“ seit dem 31. Dezember offline. Mir selbst fehlt der juristische Hintergrund, um die Angelegenheit inhaltlich kommentieren zu können, auch wenn die Pressekammer des Landgerichts Hamburg, an der das Urteil gefällt wurde, den meisten hinreichend bekannt sein dürfte. In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass ich damit wohl knapp den falschen Richter „getroffen“ habe. Sorry.

Zur Erklärung des Weblogs. Ob die „Kunstaktion“, zu der dort anschliessend aufgefordert wird, der Sache dienlich ist halte ich allerdings für eher zweifelhaft.