Der junge Schnösel lehnt lässig an der Theke. Er gibt sich sicher: „Die Kleine da, die Rothaarige, die mit den Locken, die verbringt heute die Nacht mit mir!“ Obwohl er weiss, welche finstere Wirkung seine nächste Geste haben wird, lächelt er lüstern: „Wir haben unseren Spaß, und sie wird sich an nichts erinnern.“
Der Schauspieler Lars Lienen hat in der Düsseldorfer Altstadtdiskothek „Oberbayern“ vorgespielt, was hierzulande nicht nur jungen Frauen passiert – sie werden mit Medikamenten oder Gift in Getränken betäubt, dann sexuell genötigt, vergewaltigt oder ausgeraubt.
„Lass dich nicht K.O.-Tropfen“, heißt das warnende Motto, mit dem das nordrhein-westfälische Justizministerium sowie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) ihre Aufklärungskampagne begonnen haben. Die gilt der aktuellen Karnevalszeit, soll die närrischen Tage aber überdauern. Zwar gibt es keine belegbaren Zahlen, aber die gespielte Szene gab und gibt es wahrhaftig – in der Gastronomie, aber auch im privaten Bereich, in Zugwaggons oder beim Picknick auf der Wiese.
Der Stoff, der speziell in Getränke gekippt wird, erklärte Burkhard Madea, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Bonn, ist leicht herzustellen, auf Rezept oder rezeptfrei im Schwarzhandel und per Internet zu bekommen. Die erste Wirkung sei die Ruhigstellung des Opfers. Das habe dann in seiner Bewusslosigkeit an das, was folgt, kaum noch Erinnerungen. „Solche Menschen sind noch ein, zwei Tage lang wie zerschlagen; es kann zu Todesfällen kommen.“
Nicht abzusehen seien die seelischen Schäden. Agnes Zilligen vom „Notruf für vergewaltige Frauen in Aachen“: „Bei uns sind bislang 14 Vorfälle angezeigt worden, nur einmal gelang ein Tatnachweis.“ Sobald die Opfer ihre Vergiftung merken, sollten sie schnellstens zur Polizei und zum Arzt. Die Expertin: „Angst und Scham nützen nur den Tätern.“
Der Stoff lässt sich im Blut nur 24 Stunden nachweisen, weiß Mediziner Madea, im Urin noch etwas länger. Hinter K.O.-Tropfen können sich verschiedene Substanzen verbergen. Nicht immer ist ihr Besitz strafbar. Meist verwendet wird das als „Partydroge“ verbreitete GHB (Gamma-Hydroxybuttersäure). In der Szene wird es unter Bezeichnungen wie Liquid Ecstasy, Liquid X, Liquid E, Fantasy, Soap oder G-Juice gehandelt.
K.O.-Tropfen sind für eine ahnungslose Person tückisch. Sie sind farb- und geruchlos. Vermischt in einem Getränk kann man sie meistens auch nicht schmecken. Mitunter werden auch zusätzlich müdemachende Tabletten benutzt, die im Zusammenhang mit Alkohol dann besonders stark wirken.
100.000 Bierdeckel werden in den kommende Tagen in der nordrhein-westfälischen Gastronomie verteilt. Mit dem Aufdruck „Lass Dich nicht K.O.-Tropfen“ soll doppelter Nutzen erreicht werden: Das Bewusstsein wird geweckt und gleichzeitig das Getränk vor unbemerktem Einschütten geschützt. Das erlebten gestern auch die „Gäste“ im Oberbayern. Das Mineralwasser wurde stilgerecht im Maßkrug gereicht, der aber war immer mit dem Warnfilz zugedeckt. (pbd)
Zum Schutz vor K.O.-Tropfen rät das Justizministerium NRW:
Offene Getränke nicht unbeaufsichtigt lassen. Getränke bei der Bedienung selbst bestellen und entgegennehmen. Von Unbekannten Getränke nur in verschlossenen Originalflaschen annehmen. Gäste, vor allem Frauen, sollten sich gegenseitig unterstützen, aufeinander achten und ihre Getränke nicht aus den Augen lassen. Vorsicht und Hilfe sind insbesondere nötig, wenn einer Person aus nicht nachvollziehbaren Gründen plötzlich übel wird und Unbekannte sich um sie kümmern oder sie aus dem Raum führen wollen.