Ein Mandant wartet auf ein Strafurteil. Die Entscheidung hat das Gericht am letzten Sitzungstag zwar mündlich verkündet. Die schriftliche Begründung lässt aber auf sich warten.
Tatsächlich haben Richter in Strafsachen ordentlich Zeit, das Urteil zu schreiben. Die Grundfrist beträgt fünf Wochen seit Verkündung der Entscheidung. Gab es mindestens vier Verhandlungstage, sind es sieben Wochen. Ab dem elften Tag kommen für zehn volle Verhandlungstage nochmals jeweils zwei Wochen hinzu.
Überdies muss das Urteil innerhalb der gesetzlichen Frist nur auf der Geschäftsstelle des Gerichts angekommen sein. Wann es dann ausgefertigt und an die Beteiligten versandt wird, spielt keine große Rolle. So kommen dann oft noch mal ein, zwei Wochen drauf.
Ich gucke bei Revisionen auf jeden Fall, ob das Urteil rechtzeitig in der Geschäftsstelle eingetroffen ist. Viele Richter sind überraschenderweise auch nur Menschen und als solche durchaus nicht abgeneigt, Fristen bis auf den letzten Moment auszunutzen. Oder auch mal einen oder ein paar Tage dranzuhängen in der Hoffnung, es wird schon niemand merken.
Schlecht nur, wenn es auffällt und das Revisionsgericht alllfällige Entschuldigungen (Überlastung, Nichtvorlage der Akten, allgemeines Behördenchaos) nicht akzeptiert. Dann muss die ganze Verhandlung wiederholt werden.
Zuletzt hatte ich das bei einem Strafrichter. Kurz vor der Rente verlor er offensichtlich nicht nur die Lust, sondern auch den Überblick. Unser Urteil schrieb er einen Tag vor dem Ruhestand – über vier Wochen zu spät.
Seine Nachfolgerin hat ohne Murren neu verhandelt und die Strafe deutlich gemindert.