Sieh an, auch bei der Polizei hat sich mittlerweile rumgesprochen: Blutproben dürfen grundsätzlich nur vom Richter angeordnet werden, außer bei Gefahr im Verzug. Die beiden Beamten, die sich heute vor Gericht zu der Frage äußern mussten, wieso sie keinen richterlichen Beschluss eingeholt haben, machten es sich einfach. Sie erklärten:
Der Beschuldigte war mit einer Blutprobe einverstanden.
Mein Mandant wäre dem ersten Polizisten, der sich so äußerte, am liebsten an die Gurgel gegangen. Denn, so erklärte er, mit ihm sei auf der Wache praktisch gar nicht gesprochen worden. Nach einiger Zeit sei der Polizeiarzt ins Zimmer gekommen, habe ihm Fragen gestellt und zwei Blutproben entnommen. Kein Polizist habe ihn gefragt, ob er einverstanden ist. Und schon gar nicht habe ihm jemand erklärt, was passiert, wenn er nicht einverstanden ist.
So ein Einverständnis in strafprozessuale Maßnahmen ist als solches eine fragwürdige Sache. Wer liefert sich schon ohne Not freiwillig ans Messer? Dementsprechend bestehen Gerichte meist darauf, dass der Beschuldigte nicht nur „einverstanden“ sein muss. Er muss vielmehr besonders belehrt werden, wenn es um für ihn tendenziell nachteilige Dinge geht. Erst mal über die Folgen seines Einverständnisses. Außerdem über den Ablauf für den Fall, dass er nicht einverstanden ist. Also muss ihm zum Beispiel gesagt werden, dass man sich bei Weigerung an einen Richter wenden und einen Beschluss beantragen wird. Auf jeden Fall muss auch klar werden, dass es für ihn keine rechtlichen Nachteile bringt, wenn er der Blutprobe nicht zustimmt.
Ich habe den ersten Beamten einige Male in verschiedenen Variationen gefragt, ob und wie er den Beschuldigten belehrt hat. Es kam immer nur die Antwort, er habe den Beschuldigten über sein Recht belehrt, die Aussage zu verweigern, einen Anwalt zu konsultieren und entlastende Beweismittel vorzubringen. Kein Wort davon, dass er den Beschuldigten über die Hintergründe des „Einverständnisses“ belehrt hat.
Erst als er – ich glaube durch den Richter – mit der Nase drauf gestoßen wurde, erklärte er dann:
Selbstverständlich habe ich dem Beschuldigten auch erklärt, wie alles abläuft, wenn er nicht einverstanden ist.
Selbstverständlich.
Dumm nur, das sein Kollege im Anschluss sogar klipp und klar erklärte, weder er noch Kollege Selbstverständlich hätten den Beschuldigten über die Folgen des Einverständnisses informiert. Der Beschuldigte habe doch jedenfalls nicht widersprochen, das sei ja so was wie ein Einverstänndnis.
Aber so was von.
Als er das Problem erkannte, nämlich die an den Haaren zu greifende Falschaussage des anderen Beamten, zog der Polizist leidlich elegant die Notbremse. Es könne ja sein, so fiel ihm ein, dass er mal kurz nicht im Zimmer war. Vielleicht habe Selbstverständlich ausgerechnet in diesem Moment den Beschuldigten belehrt.
Vielleicht.
In der Akte jedenfalls findet sich kein Hinweis darauf, dass mein Mandant von der freiwilligen Sorte ist. Im Gegenteil. Witzigerweise steht auf dem Protokoll im Kästchen „Blutprobe angeordnet von“ der Name Selbstverständlich mit Dienstgrad. Wieso man eine Blutprobe anordnen muss, wenn der Beschuldigte sich ihr freiwillig unterziehen will, vermochte keiner der Beamten zu erklären.
Das Dilemma: Mein Mandant sagt zwar, er sei gar nicht gefragt worden und habe einer Blutprobe nicht zugestimmt. Aber immerhin stehen nun die Aussagen zweier Polizisten entgegen, von welcher Qualität diese Aussagen auch immer sein mögen. Da Polizisten vor Gericht einen Vertrauensbonus genießen, kommt der Beschuldigte so in Rechtfertigungszwang. Er muss quasi belegen, dass die Aussagen der Beamten nicht stimmen.
Ein sehr schwieriges Unterfangen.
Als Beschuldigter bleiben nicht viele Handlungsmöglichkeiten, wenn man sich nicht später in so eine Situation reinreißen lassen will. Man könnte zum Beispiel gucken, dass man auf dem Protokoll dick vermerkt, dass man der Blutprobe widersprochen hat. Dumm nur, dass bei dem ganzen Prozedere nicht einmal eine Unterschrift des Beschuldigten vorgesehen ist. Man wird also möglicherweise salopp abgeledert und von jedem Stück offiziellen Papiers ferngehalten, wenn man eine eigene Erklärung niederschreiben möchte.
Jedenfalls bleibt die Chance, gegenüber dem Arzt deutlich zu widersprechen und darauf zu bestehen, dass er das fehlende Einverständnis in sein Protokoll aufnimmt. Ob er es macht, ist Glückssache. Ärzte, die nachts für die Polizei Blutproben abnehmen, haben nach meiner Erfahrung tendenziell eher ein weichteiliges Rückgrat.
Als letzte Möglichkeit bleibt, sich gegen die Blutprobe zu wehren. Das jedenfalls dürfte kaum zu „unterschlagen“ sein. Erst kürzlich hat ein Gericht festgestellt, dass eine Blutprobe nur unter Anwendung körperlicher Gewalt abgenommen werden darf, wenn ein Richter zugestimmt hat. Das Urteil geht jedenfalls in die richtige Richtung.
Andererseits ist man selbst bei lediglich passivem Widerstand nicht weit entfernt vom nächsten Verfahren – wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Ein Ellenbogen im Beamtenbauch, das ist schnell passiert und wird – im Gegensatz zur Belehrung – mit Sicherheit auch nicht vergessen.
Nicht auszuschließen, dass künftig viel mehr Beschuldigte quasi um Blutproben betteln. Oder erst bei der Aussage der beteiligten Polizisten im Gericht erfahren, wie kooperativ sie doch gewesen sind und dass man sich immer wieder über Leute freut, die einem den lästigen Anruf beim Richter ersparen.
Dabei wäre die Lösung einfach. Ein angebliches Einverständnis in eine Blutprobe oder Hausdurchsuchung ist überhaupt nur diskutabel, wenn der Beschuldigte eine entsprechende Erklärung unterschreibt. Am besten noch mit einer zweiten Unterschrift, dass er besonders darüber belehrt wurde, welche Konsquenzen das Einverständnis oder die Weigerung haben.
Macht mehr Arbeit. Ist aber, meine ich, letztlich auch gut für das Image der Polizei. Die beiden Beamten von heute haben meinen Glauben daran, dass die Guten nicht tricksen, etwas weiter ins Wanken gebracht.