Mit dem Staatsanwalt in einer etwas weiter entfernten Stadt hatte ich noch nicht zu tun. Er kann also nur begrenzt etwas gegen mich haben. Deshalb fiel ich fast hintenüber, als ich folgendes Schreiben von ihm erhielt:
Es wird darum gebeten, mitzuteilen, auf welchem Wege der Beschuldigte um eine Verteidigung von dort gebeten hat.
Eigentlich hatte ich mit einer Besuchserlaubnis für meinen künftigen Mandanten Herrn N. gerechnet. Diese Besuchserlaubnis hatte ich beantragt, weil Herr N. seit einigen Tagen in Untersuchungshaft sitzt und, wie aus aussieht, wohl von mir verteidigt werden möchte.
Ich rief also den Staatsanwalt an und sagte ihm kurz und knapp, wie es ist. Herr N. hat mir über einen Angehörigen ausrichten lassen, dass er mit mir darüber sprechen möchte, ob ich seine Verteidigung übernehme. Ich möchte also ein sogenanntes Anbahnungsgespräch über ein Mandat mit ihm führen. Was angesichts der Umstände nur möglich ist, wenn ich eine Besuchserlaubnis bekomme.
Der Staatsanwalt bohrte, aber mehr sagte ich nicht. Er meinte, er müsse sicherstellen, dass ich keine Mitbeschuldigten vertrete. Darauf konnte ich nur erwidern, als Verantwortlicher für die Ermittlungen könne er doch am besten übersehen, ob ich schon für einen Mitbeschuldigten tätig sei. Was, wie er einräumen musste, offensichtlich nicht der Fall ist. Tolles Argument, also.
Was er in Wirklichkeit meinte, war natürlich, dass mir das Mandat N. möglicherweise von „gewissen Kreisen“ angetragen worden sein könnte. Ich fragte zurück, ob, wenn man das mal als richtig unterstellt, damit der Verdacht verbunden wird, ich würde mit diesen „Kreisen“ irgendwelche krummen Dinger drehen und meine Tätigkeit als Verteidiger nicht auf meine Mandanten ausrichten. Oder anders gefragt: Seit wann maßt sich die Staatsanwaltschaft an, einen Beschuldigten bei der Wahl seines Verteidigers zu „schützen“?
Irgendwie wollte sich der Staatsanwalt aber doch nicht darauf festlegen, dass ich ein Böser bin. Ich solle das nicht persönlich nehmen, wiegelte er ab. Was mich wiederum zu der Frage bewegte, ob er das grundsätzlich so macht und wie groß der Prozentsatz der Strafverteidiger in seinem Bezirk ist, die permanent so auf sich rumtrampeln lassen.
Schließlich trat der seltene Fall ein, dass ich mich meine Rolle als „Organ der Rechtspflege“ bemühte. Und für mich in Anspruch nahm, dass ich als Strafverteidiger einen Anspruch darauf habe, zu Anbahnungsgesprächen in Justizvollzugsanstalten vorgelassen zu werden. Ebenso wie Beschuldigte einen Anspruch darauf haben, sich auch im Gefängnis einen Verteidiger auszusuchen. Wobei letzteres sicher noch wichtiger ist als mein bescheidenes Anliegen, meinen Beruf ausüben zu können.
Es sei denn natürlich, sagte ich von mir aus in freiem Zitat der einschlägigen Kommentare zur Strafprozessordnung, es liegen tatsächliche Anhaltspunkte vor, die auf einen Missbrauch durch mich schließen lassen. Antwort: siehe oben. Oder es ist so, dass Herr N. sein Recht, einen Verteidiger auszuwählen, über Gebühr strapaziert – indem er zum Beispiel täglich fünf verschiedene Anwälte antanzen lässt (und dadurch die Abläufe in der JVA behindert).
Solche Anhaltspunkte, das musste der Staatsanwalt einräumen, gibt es nicht. (Tonfall: noch nicht!) Ich war nun ohnehin nahe dran, nach seinem Vorgesetzten zu fragen. Oder vielleicht mal den zuständigen Ermittlungsrichter anzurufen, damit der wieder die Haftkontrolle übernimmt und mir eine Besuchserlaubnis ausstellt.
An diesem Punkt ging es dann plötzlich doch. Die Besuchserlaubnis soll kommen. Da ein Fax bei der betreffenden Justizvollzugsanstalt nicht akzeptiert wird und ich ein Original benötige, wird es aber wohl nichts mehr mit dem an sich für morgen geplanten Besuch.
Letztlich ist der Inhaftierte Leidtragender des Geplänkels. Herr N. könnte zwei, drei Tage länger eingesperrt bleiben. Sofern ich was für ihn erreichen kann, was ja zumindest nicht auszuschließen ist.