ACTA – Three strikes, dann doch noch?

Ein Kommentar von Florian Holzhauer

Seit gestern treffen sich die USA, Japan, die EU und acht weitere Staaten in Seoul, um das Anti-Piraterie-Abkommen „ACTA“ zu besprechen. Der Inhalt ist nicht öffentlich, um genau zu sein sogar eine Angelegenheit von „national security“. Klingt beeindruckend, irgendwie nach „Menschen retten“, sozusagen die Antwort auf Schweinegrippe-Hype und Terrorismus. Weniger nach „Anti-Piraterie“. Trotzdem: Was genau drin steht, und weshalb, ist Verschlußsache.

In den letzten 48 Stunden sickern allerdings die ersten Informationen durch, und alles, was bislang öffentlich wird, klingt irgendwie gar nicht mehr nach Terrorgrippe, sondern altvertraut. Es klingt nämlich stark nach dem Wunschzettel der Copyright-Industrie, wieder einmal.

So wurde gestern zunächst über das „Digital Environment“ diskutiert – angeblich mit einigen alten Bekannten: Internetzugang wird bei Copyrightverstössen abgestellt? Drin. Netzzensur bei Copyrightverstössen? Klar, auch. Direkte Mithaftung des Providers? Ebenfalls. Oder, wie es die Zeit deutlich formuliert: „Stimmten die EU-Verhandlungsführer den ACTA-Vorschlägen aus den USA zu, würden sowohl die Sperren gegen Nutzer als auch die Sperrungen von Inhalten auf ausländischen Servern plötzlich internationales Gebot.“

Ob, sozusagen als Bonusfeature, Seitenbetreiber darauf verpflichtet werden sollen, Multimediainhalte proaktiv auf Copyright zu prüfen zu müssen, ist unklar. Verschiedene Medien berichten darüber, andere verlieren kein Wort.

Heute geht es weiter, mit ähnlich sportlichen Vorstellungen zum „Criminal Enforcement“: Nichtkommerzieller Datentausch soll strafbar werden, Gefängnisstrafen inklusive. Genauso strafbar nach Wünschen der Nachmachen von Software-, Video- oder Musik-Verpackungen. Auch Video-Bootlegs von Konzerten. Auch diverse weitere Erweiterungen der Rechte von Copyrightholdern werden angedeutet.

Liebe Contentindustrie: So nicht. Es ist für mich logisch nicht nachvollziehbar, warum auf der einen Seite um Verständnis und Fair play geworben wird. Weshalb – wie auch wieder in den letzten Tagen hier in den law blog Kommentaren – um Mitgefühl für die Multimedia-Branche geworben wird, die durch jedes kopierte MP3 den Gegenwert einer CD als Verlust notiert, und generell kurz vor dem Aussterben durch Geldmangels ist.

Um dann, auf der anderen Seite, völlig ohne öffentliche Debatte, und auch unter vollständiger Ignoranz bisheriger gesetzlicher Diskussionen und Entscheidungen, wieder einmal den gleichen – Entschuldigung – totalitären Mist irgendwo anders auf den Tisch zu bringen.

Fair play und Demokratie sieht für mich anders aus. Und gerade in einer Industrie, dessen Wert sich ausschliesslich aus emotionalen Aspekten ergibt – der rein materielle Wert einer DVD ist eher überschaubar – sollte man sehr vorsichtig sein, wie weit man den Bogen überspannt. In der Geschichte gibt es genug andere Beispiele von scheinbar unangreifbaren Institutionen, die an ihrer eigenen Selbstherrlichkeit erstickt sind.

Für mich bleibt im Moment nur zu hoffen, dass die Behauptung von Daniel Caspary in der Zeit auch tatsächlich so wahr wird: Dass sich für ACTA im Europarlament keine Mehrheit für diesen neuen Vorstoss finden lassen wird. Auch wenn ich skeptisch bin – bislang war diese Episode wieder einmal alles andere als ein Lehrstück in Transparenz und Demokratie.

Mehr Informationen zu ACTA finden sich zum Beispiel bei der EFF oder im Weblog von Michael Geist sowie Heise & Co.

PS: Sollte ich die Stimmung an diesem sonnigem Donnerstag zu sehr vermiest haben, bitte ich um Verzeihung. Zur Stimmungsaufhellung kann ich zum Beispiel die grossartige Madeleine Bloom wärmstens empfehlen.

Der hinterhältige Seelsorger

Der Pastor einer evangelischen Gemeinde vermutet, ein Gemeindemitglied sei in kriminelle Aktivitäten verwickelt. Er lädt die betreffende Person zu einem „seelsorgerischen Gespräch“. Aber nicht, um dem Gemeindemitglied zu helfen. Sondern um mit dem durch das Gespräch aus seiner Sicht bestätigten Verdacht zur Polizei zu laufen.

Bei der Polizei scheint der Pastor nicht sofort auf großes Verständnis gestoßen zu sein. Die Vernehmung fängt nämlich damit an, dass der Polizeibeamte ihn eindringlich auf eventuelle Schweigepflichten als Geistlicher hinweist.

Aber das kümmert den Pastor wenig. Er ist so versessen darauf, seine Informationen weiterzugeben, dass man sich eine Aktion Feigenblatt überlegt. Die Anzeige werde, so heißt es, nicht durch den Pastor erstattet. Sondern aufgrund dessen Aussage „von Amts wegen“ – durch den Polizeibeamten.

Die Folge sind umfangreiche Ermittlungen, einschließlich Hausdurchsuchung. Der Herr Pastor soll sehr zufrieden mit sich sein.

Externe Berater: Bund zahlt auch mal 7-stellig

In den letzten Jahren hat sich die Bundesregierung bei gut 60 Gesetzen durch externe Berater helfen lassen. Wie nicht anders zu erwarten, tauchen in der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken durchweg große Anwaltskanzleien auf, aber auch verschiedene Professoren.

Die Honorare schwanken zwischen 15.000 und 1.800.000 Euro, wobei einige Aufträge aus Geheimhaltungsgründen geschwärzt sind. So hat die Kanzlei Hölters & Elsing etwa 1.088.591 Euro für einen einzigen Auftrag erhalten – „ergänzende Beratung im Rahmen der Erarbeitung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes“.

Wenn man einen durchaus stattlichen Stundensatz von 400,00 Euro brutto unterstellt – Spesen in unbekannter Höhe nicht berücksichtigt – haben die Anwälte aus der Kanzlei immerhin 2.721 Stunden ergänzend beraten. Bei so einem extremen Bedarf an fachkundiger Beratung ist natürlich klar, dass die Juristen in den zuständigen Ministerien dies nicht alleine stemmen können.

(Quelle des Links)

Eine Festplatte kopieren

„Das habe ich noch nie gemacht“, sagte der Polizist. „Wie soll das praktisch gehen?“

Ich hatte ihm gerade mitgeteilt, der Staatsanwalt habe keine Probleme, wenn sich mein Mandant die Festplatte seines Notebooks kopiert. Das Notebook hatte die Polizei vor kurzem beschlagnahmt. Allerdings, so die Anordnung des Staatsanwalts, dürften die Daten nur „unter Aufsicht der ermittelnden Polizeibeamten“ kopiert werden.

Meine Idee war nun: Der Mandant kommt mit einer externen Festplatte auf die Dienststelle, stöpselt diese per USB an das Notebook, ruft am Rechner den Windows Explorer auf, markiert „Eigenen Dateien“ (mehr braucht er nicht) und zieht dieses markierte Element auf den Laufwerksbuchstaben der externen Festplatte. Dann einige Zeit warten, und die Daten sollten auf die externe Festplatte kopiert sein.

In Anbetracht dieses echt komplizierten Manövers (und der womöglich damit verbundenen Risiken) entschied sich der Polizeibeamte anders. Er schaute einfach mal in das relativ neue Notebook rein. Mit wenigen Blicken stellte er fest, dass Daten, die für das Verfahren bedeutsam sein könnten, offensichtlich nicht vorhanden sind.

Mein Mandant darf jetzt sein Notebook abholen. Auch eine Lösung.

Auf der Wache diskutieren

Der Verwandte eines Mandanten hat eine Vorladung als Zeuge erhalten. Ihm hat die Polizei mal wieder am Telefon erklärt, dass er kommen und aussagen muss. Über eventuelle Rechte, die Aussage zu verweigern, könne man dann „auf der Wache“ diskutieren.

Hier ein Auszug aus meiner Mail an den Mandanten:

Kein Zeuge muss bei der Polizei aussagen. Wenn die Beamten am Telefon das Gegenteil behaupten, ist das falsch. Wer nicht aussagen möchte, muss weder auf die Wache kommen, sich telefonisch melden oder Auskunft geben. Auch dann nicht, wenn ein Polizeibeamter vor der Haustüre oder am Arbeitsplatz steht.

Eine Aussagepflicht besteht nur auf (schriftliche) Vorladung durch die Staatsanwaltschaft.

Davon völlig unberührt sind die normalen Aussage- bzw. Auskunftsverweigerungsrechte, etwa nahe Verwandtschaft oder die Möglichkeit, sich mit einer Aussage selbst zu belasten. Auf diese Rechte kommt es aber nur bei der Aussage vor der Staatsanwaltschaft an, da niemand bei der Polizei überhaupt etwas sagen muss.

Wendt hat recht, ausnahmsweise

Es passiert selten, dass Rainer Wendt was Vernünftiges sagt. Deshalb kommt er auch häufiger im law blog vor. Aber nun ist es dem Vorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft doch gelungen, mich zu verblüffen. Wendt widerspricht für seine Gewerkschaft, für mich ehrlich gesagt überraschend, der anderweitig schon lautstark erhobenen Forderung nach einem Verbot von Rockergruppen.

Seine Einsicht:

Dass die Rocker nach einem Verbot brav Rasen mähen, gibt es nur in der Werbung.

Zu Recht weist der Gewerkschaftsvorsitzende auch darauf hin, dass es allein in Nordrhein-Westfalen eine Rockerszene mit rund 30 Vereinen gibt. Für jeden Verein wäre ein Verbotsverfahren durchzuführen. Im Falle eines Verbots würden sich die Betreffenden halt anderen Gruppen anschließen. Oder neue gründen.

Wendt plädiert dafür, kriminelle Handlungen von Rockergruppen entschieden zu verfolgen. Dagegen ist nichts zu sagen, auch wenn die Polizei im konkreten Fall mitunter lustlos oder überfordert scheint.

Pressemitteilung der Deutschen Polizeigewerkschaft

Best of Rainer Wendt

Auch Richter müssen warten

Stau, die liebe Bahn – ein Betroffener kann sich aus vielen Gründen ein paar Minuten vor Gericht verspäten. Wenige, aber doch eine gewisse Zahl von Richtern betrachten so etwas als Affront. (Meistens sind es jene, die selbst keine Probleme damit haben, Betroffene und Anwälte endlos lang vor dem Gerichtssaal warten zu lassen.) Die Rechtsprechung ist hier auf Seiten des Bürgers: Eine Viertelstunde muss mit dem Beginn der Verhandlung im Regelfall gewartet werden; bei nachvollziehbaren Gründen auch länger.

Das Oberlandesgericht Zweibrücken weist in einer neuen Entscheidung nicht nur auf diese Grundsätze hin. Sondern das Gericht macht auch deutlich, dass der Richter sich auch in Bußgeldsachen jedenfalls zusätzliche Arbeit machen muss, wenn er den Einspruch des unpünktlichen Betroffenen ohne Verhandlung verwerfen will.

Der Richter muss zunächst ins Urteil schreiben, ob und wie sich der Betroffene möglicherweise entschuldigt hat. Im entschiedenen Fall war der Verteidiger da und hatte auf den Stau hingewiesen. Dann hat der Richter zu begründen, warum er trotz der ihm bekannten Umstände nicht abwarten konnte.

Deutliche Worte in Richtung jener unduldsamen Richter, die sich gerne mit der formularmäßigen Feststellung begnügen, der Betroffene habe „unentschuldigt gefehlt“. So einfach wird es ihnen dann künftig wohl nicht mehr gemacht.

(Quelle des Links)

Ein wenig

Aus einem Durchsuchungsbericht:

Bei der Wohnung des Bechuldigten handelt es sich um ein Appartement, das ein wenig unordentlich erschien.

„Ein wenig“ hat sich mit der Durchsuchung wohl auch erledigt.

Kostenfreie Alternativen

Softwarehersteller, so scheint es, sind sich für nichts zu schade. Vor einiger Zeit erhielt unsere Mandantin, ein mittelständisches Unternehmen, Post von den Anwälten eines amerikanischen Konzerns. Es gebe Hinweise auf „Unterlizenzierung“. Die Mandantin möge doch bitte nachweisen, dass sie nur lizenzierte Produkte der Firma nutzt.

Anderenfalls werde man sich die Firma mal ansehen. Das Urheberrechtsgesetz sieht hier tatsächlich einen Anspruch auf „Besichtigung“ vor. Allerdings nur dann, wenn eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ für Urheberrechtsverletzungen spricht.

Wir also mal höflich angefragt, worauf sich die Firma stützt und darum gebeten, uns eventuelle Belege in Kopie zu übersenden. Die Antwort war vielsagend: Grund für das Schreiben seien „Informationen durch einen Mitarbeiter“. Beigefügt war nichts – also dürfte es sich um einen anonymen Brief handeln. Vielleicht auch nur um eine E-Mail. Oder einen Anruf auf der Antipiraterie-Hotline. Wahrscheinlich von einem der Herren, die in letzter Zeit das Unternehmen verlassen haben.

Wir haben jetzt so geantwortet:

Sehr geehrte Frau Kollegin, …

wir vermissen nach wie vor nachvollziehbare Angaben darüber, wer Ihnen welche Information gegeben haben soll. Die Formulierung, wonach die Informationen von einem Mitarbeiter unserer Mandantin stammen, deuten auf einen anonymen Brief hin. Ansonsten hätten Sie uns sicher mitgeteilt, von wem die Nachricht stammt und, wie verlangt, eine Kopie übersandt.

Anonyme Denunziationen sind nicht geeignet, die von Ihnen geltend gemachten Ansprüche nach dem Urheberrechtsgesetz zu begründen. Jedenfalls dann nicht, wenn die Angaben nicht so detailliert sind, dass sie als glaubhaft angesehen werden können. Ansonsten könnte sich Ihre Mandantin solche Briefe ja auch selber schreiben, was wir natürlich nicht unterstellen.

Wir geben Ihnen nochmals Gelegenheit, uns die Ihnen zur Verfügung stehenden Unterlagen zur Kenntnis zu geben. Wir werden dann hierzu Stellung nehmen, aber auch Strafanzeige erstatten und Strafantrag stellen. Denn es handelt sich hier um üble Nachrede. Auf der Grundlage von Straftaten sieht unsere Mandantin keinen Anlass zu weiteren Stellungnahmen.

Wir weisen außerdem darauf hin, dass unsere Mandantin alle rechtlichen Schritte ausschöpfen wird, sofern Ihre Partei tatsächlich meint, auf einem derartigen Niveau vorgehen zu müssen. Hierzu gehört auch der Schadensersatz für den Aufwand, der mit einem eventuellen Prozess nach § 101a UrhG und seinen Folgen verbunden wäre.

Nur äußerst vorsorglich weisen wir nochmals darauf hin, dass unsere Mandantin nicht „unterlizenziert“ ist. So weit Produkte Ihrere Auftraggeberin verwendet werden, geschieht dies auf Grundlage gültiger Lizenzen.

Unsere Mandantin ist darüber entsetzt, wie Ihre Auftraggeberin auf der Grundlage von Denunziationen gegen die eigene Kundschaft vorgeht. Auch wenn hier noch keine Entscheidungen gefallen sind, wird unsere Mandantin bei künftigen Anschaffungen einmal mehr nachdenken, ob zu Produkten Ihrer Auftraggeberin gegriffen wird. Es gibt ja, gerade im Officebereich, mittlerweile auch genug Alternativen, sogar kostenfreie.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Rechtsanwalt

Toter NPD-Anwalt hinterlässt besorgte Mandanten

Der Tod des NPD-Anwaltes Jürgen Rieger löst unter seiner Mandanten offenbar Besorgnis aus. Wie hier in einer Rundmail zu lesen ist, soll die zuständige Rechtsanwaltskammer einen Anwalt mit der Abwicklung der Kanzlei beauftragt haben.

Problem aus Sicht der Rieger-Mandanten: Der Abwickler soll „nicht-national“ sein; die Anwaltskammer habe auf entsprechende Vorschläge nicht gehört. Der Ratschlag an die Betroffenen geht nun dahin, dass sich die bisherigen Mandanten „nationale“ und damit „vertrauenswürdige“ Anwälte suchen sollen.

Das ist zunächst ihr gutes Recht. Der Abwickler wird ohnehin nur für ein Jahr bestellt. Seine vorrangige Aufgabe: Er sorgt dafür, dass die laufenden Mandate ordentlich beendet werden. Aber nur, wenn die derzeitigen Mandanten dies auch wünschen. Ihnen steht es ebenso frei, dem Abwickler das Mandat zu kündigen und sich einen anderen Anwalt zu suchen.

Für den Abwickler gilt die anwaltliche Schweigepflicht allerdings ebenso wie für den verstorbenen Rechtsanwalt. Das heißt: Er darf jetzt nicht mit den Handakten zur Staatsanwaltschaft oder sonstigen Behörden rennen und seine neuen Mandaten wegen irgendwelcher Dinge verpfeifen.

Insofern hat die angeordnete Abwicklung sogar aus Sicht von Riegers Mandanten einen Vorteil. Die Anwaltskammer muss nämlich nicht unbedingt einen Abwickler benennen. Dann kommt es aber schon mal vor, dass plötzlich Ehefrauen, Kinder oder sogar der Kanzleivermieter plötzlich „Besitzer“ der Mandantenakten sind – da sollte einem der bestellte Abwickler mit entsprechenden Berufspflichten doch lieber sein.

Wie auch immer, um den Job dürften sich Anwälte, die so was machen, nicht gedrängt haben.

Baustein für ein straffreies Leben

Er ist nur einer von immerhin tausend Auserwählten landesweit. Aber er wirkt so, als freue er sich für alle. Und deswegen spricht er schon ziemlich vertraut von seiner INA. Die soll ihm eine Stelle im Landschafts- und Gartenbau besorgen. „Da ist es schön, da kann ich Kaputtes heil machen“, schwärmt der 43-Jährige Christoph S.

Ihm war nicht immer so nach Harmonie. Die Lehre beim Kfz-Mechaniker nicht bestanden, ruschte er ins Alkoholmilieu, nahm Kokain und Heroin, handelte damit gewerbsmäßig, bekam Bewährung, werkelte in Gärten. Und schlug danach jemanden so brutal zusammen, dass er über sieben Jahre lang hinter Gitter musste.

Jetzt hofft er auf INA.

Die Integrationsplanung, Netzwerkbildung, Arbeitsmarktintegration ist ein Modellprojekt des Arbeits- mit dem Justizministerium in Nordrhein-Westfalen. Die Rückfallquote der Gefangenen soll deutlich gesenkt werden. Der Plan: Gefangene sollen in den Justizvollzugsanstalten Düsseldorf, Moers und Wuppertal vom ersten Tag begleitet werden – von je drei Praktikern, die von der Gesellschaft für Qualifizierung im Handwerk dazu ausgebildet wurden.

Die INA-Mitarbeiter dürfen in die Gefängisse und lernen erst einmal, was sie nicht mitbringen dürfen. Alle Art von Drogen nämlich, nicht einmal ein Handy. Sie müssen die komplizierten Zuständigkeiten im Knast kennen, die Sprache dort. „Der Vollzug ist für die zunächst einmal eine fremde Welt voller Sicherheit und Ordnung“, beschreibt es Gerhard Lorenz, Chef der Düsseldorfer JVA.

Aber dann erkunden sie und prüfen. Welche Neigung hat welcher Gefangener, welche Erfahrung, welche Fähigkeiten gar? Und die werden dann zwei Jahre lang intensiv gefördert. Das alles geht nicht ruckzuck. Soll aber den Drehtüreffekt unterbrechen, erklärt Gerhard Lorenz. Mit anderen Worten: Unterforderte Häftlinge landen nach ihrer Entlassung schnell wieder im Gefängnis. Angelernte und motivierte nicht.

Mehr noch: Nach einer Haftentlassung schlossen sich die Gefängnistüren bisher fast immer ohne weitere Betreuung. Das wird sich ändern. Die Gefangenen werden weiter von den Praktikern begleitet, die sie aus dem Gefägnis kennen. Und beim neuen Arbeitgeber schlichten, wenn es einmal ein Problem gibt. Gerhard Lorenz nennt so was „die neue Brücke nach draußen“. Sie soll Rückfälle vermeiden.

Das könnte sehr gut funktionieren, hofft Wolfgang Wirth, Leiter des Landeskriminologischen Dienstes. Aus 80 Prozent, die bisherige Rückfallrate für arbeitslose Gefangene, könnten 30 Prozent werden – wenn sie im Gefängnis und nach ihrer Entlassung gezielt gefördert werden.

„Die berufliche Wiedereingliederung“, attestiert Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU), „ ist ein wesentlicher Baustein für ein straffreies Leben. Darum arbeitet ein Experte mit dem Gefangenen praktisch vom ersten Tag der Inhaftierung kontinuierlich bis zu einem halben Jahr nach der Entlassung am Erfolg einer nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt.“

Arbeitsminister Kar-Josef Laumann (CDU) pflichtet bei: „“Diese Personengruppe hat es besonders schwer auf dem Arbeitsmarkt und braucht dringend unsere Unterstützung bei der Integration.“

Ist ein plötzlicher Geldsegen über die Landesregierung niedergegangen? Jein. Das nordrhein-westfälische Modellprojekt INA wird mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds in Höhe von 1,3 Millionen Euro gefördert.

Davon sieht Bernhard Lorenz in Düsseldorf allerdings keinen Cent. Er muss vier Helfer freistellen, Räume für die Schulungen schaffen, neue Belastungen ertragen. Die größte Mühe momentan hat Stella Ridder, die Koordinatorin für berufliche Bildung. Von den rund 330 Männern kommen die rund 50 fürs Projekt nicht in Betracht, die sich in einer Drogentherapie oder in Abschiebehaft befinden. Den großen Rest, fragt sie nach dessen Interesse, erkundigt sich diskret, ob noch andere Ermittlungsverfahren offen sind oder Drogen genommen werden. Wer dann geeignet ist, bildet mit anderen Häftlingen eine Veirer-Gruppe.

Haben alle eine Wohnung, sind sie sozialversichert? Jetzt greift INA kräftig unter die Arme. Der 43jährige Christop S. jedenfalls („Ich will Hilfe!“) schreibt demnächst seine erste Bewerbung. „Behörden lassen einen nur immer hin und her laufen, das ist ein Scheißgefühl“. Er ist überzeugt: „Mit INA läuft das besser!“

Wenn das stimmt, läuft das Ergebnis auf eine Erkenntnis des Landeschefs des Bundes der Strafvollzugsbediensteten hinaus. Klaus Jäkel sagt den umständliche Satz immer wieder gern: „Jede gelungene Wiedereingliederung ist ein Zugewinn an innerer Sicherheit“. (pbd)