Hamm. Die Vorschriften sind schräg. Auf der einen Seite zeigen sie sich streng grundsätzlich, lassen aber ganz klar auch Ausnahmen mit vielen Lücken zu. Die schlichte Frage heißt: Wer darf wann, warum und wie die Grundrechte anderer Menschen verletzten?
Da ist etwa kleiner Verkehrsunfall zur Abendzeit passiert. Dabei ist nur Blechschaden entstanden, nichts Schlimmes also. Dann aber meint ein Polizeibeamter, bei einem der Autofahrer eine Alkholfahne zu riechen. Der Fahrer verweigert den Atemtest, der Beamte will möglichst schnell Beweise sichern und setzt nun – notfalls auch mit Gewalt – die Entnahme einer Blutprobe durch. Das aber ist ein schwerwiegender Eingriff, den grundsätzlich nur ein Richter anordnen darf. Was nun? Der 3. Senat des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) hat ein Urteil nun veröffentlicht, das Pflöcke setzt und die Justiz in die Bredouille bringt (AZ 3 Ss 293/08). Eigenmächtige Entscheidungen von Schutzpolizisten und Kriminalbeamten darf es nicht geben. Deswegen muss nun immer ein Richter erreichbar sein. Selbstverständlich auch nachts.
Das war bislang nicht so. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts war seit 5 Jahren bei den meisten nordrhein-westfälischen Amtsgerichten ein Eildienst für Richter geschaffen worden. An den konnten und mussten sich die Ermittler der Polizei aber nur zwischen 6 Uhr in der Früh und abends bis 21 Uhr wenden. Danach herrschte Stille. So war es auch der tiefen Nacht am 13. April 2007 in der Nähe von Minden. Nicht weit von einem Asylbewerberheim kontrollierte ein Polizeibeamter einen Mann. Der roch wohl stark nach Cannabis. Im Rucksack wurde denn auch Marihuana gefunden. Damit war der Verdacht auf eine Straftat mit illegalen Betäubungsmitteln deutlich geworden. Der Beamte dachte weiter. Er meinte, wenn der Mann schon Cannabis bei sich habe, könnte in dessen Wohnung noch mehr sein.
Also telefonierte der Beamte mit der Leitstelle seiner Behörde und die mit dem Eildienst der Staatsanwaltschaft. Danach ordnete der Beamte die Hausdurchsuchung an, wurde auch fündig. Eine Platte Haschisch, mehrere einzeln verpackte Haschischbrocken lagen da, drei Tüten mit Marihuana, Verpackungen und eine Feinwaage. Deshalb verurteilte das Amtsgericht Minden den Täter zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung. Dieses Urteil aber hat der 3. Senat des OLG Hamm nun aufgehoben. Und auch gleich verboten, die in der Wohnung gefundenen Beweise gerichtlich zu verwerten. „Eine Durchsuchung greift schwerwiegend in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre ein“, mahnt der Senat und bemängelt die fehlende richterliche Entscheidung – die Durchsuchung war also rechtswidrig. Der Senat beruft sich vehement auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und fordert den richterlichen Eildienst auch nachts. Doch woher soll das Personal kommen? Der Landesverband des Deutschen Richterbundes sieht ein „unlösbares Problem“, 500 Richter fehlen eh schon. „Wir arbeiten in enger Absprache an einem Konzept“, ließ gestern Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) wissen. Das Ziel sei es, mit personellen und organisatorischen Maßnahmen „binnen weniger Wochen“ eine Eildienstregelung für Richter und Staatsanwälte sicher zu stellen. Die Ministerin ist – nach einem Mord im Siegburger Gefängnis und Skandalen bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach – mal wieder in Not. (pbd)
Stichwort Richtervorbehalt
Schutzpolizisten, Kriminalbeamte, Zöllner und Steuerfahnder sind zwar Staatsbeamte, gehören aber zu vollstreckenden Behörden. Bestimmte Maßnahmen jedoch – beispielsweise das Abhören von Telefonaten, die Hausdurchsuchung und wie die Blutprobenentnahme auch andere Eingriffe in die Grundrechte – müssen von einem Richter angeordnet werden, der zur Justiz gehört („Richtervorbehalt“). Nur in seltenen Fällen, etwa „bei Gefahr im Verzuge“ erlauben Gesetze und Ordnungen den Vollstreckungsbeamten auch Maßnahmen, die sie mit Gewalt durchsetzen können. Aber auch diese Handlungen können von einem Richter überprüft werden. (pbd)