Erinnerungsunwillig

Juristen wird ja gern eine Neigung zu Rabulistik angelastet. Mit folgendem Text, einer Verteidigungsschrift, möchte ich dieses Vorurteil widerlegen. Es geht um den Vorwurf, eine Zeugin habe falsch ausgesagt, weil sie sich nicht mehr erinnern konnte (oder wollte), dass der Angeklagte sein Opfer nicht nur geschlagen, sondern auch getreten hat:

Gegen meine Mandantin ergibt sich kein hinreichender Tatverdacht.

Das Amtsgericht weist im Urteil selbst darauf hin, es sei offen, ob sich meine Mandantin nicht konkret an das damalige Geschehen erinnern konnte oder ob sie „erinnerungsunwillig“ war. Wenn sich der Richter in der Hauptverhandlung keine entsprechende Überzeugung bilden konnte, steht auch nicht zur erwarten, dass dies nachträglich möglich sein wird.

Überdies weist das Amtsgericht ausdrücklich daraufhin, seit der Tat seien immerhin neun Monate vergangen. Somit könne eine fehlende bzw. getrübte Erinnerung durchaus auf den Zeitablauf zurückzuführen sein.

Die damalige Sitzungsvertreterin, Amtsanwältin W., gibt in ihrem Einleitungsvermerk ( = Anzeige wegen Falschaussage) an, die Zeugen hätten zunächst gesagt, sie hätten die Tritte weder bemerkt noch gesehen. Allerdings, und dies ist entscheidend, hätten sie sich „nach intensiver Befragung und unter Vorhaltung ihrer polizeilichen Aussage“ doch an die Tritte erinnert.

Hieraus ergibt sich, dass auch meine Mandantin letztlich, entsprechend der polizeilichen Aussage, sehr wohl doch noch an die Tritte erinnert und entsprechend ausgesagt hat. Somit hätte meine Mandantin ihre Aussage noch innerhalb der laufenden Aussage korrigiert.

Eine Strafbarkeit wegen falscher uneidlicher Aussage kommt jedoch erst in Betracht, wenn die betreffende Aussage beendet ist. Bis zum Ende der Aussage kann diese jederzeit korrigiert werden, ohne dass sich der Aussagende strafbar macht.

Somit entfällt schon nach dem Einleitungsvermerk der Amtsanwältin der Anfangsverdacht gegen meine Mandantin, da diese die Tritte letztlich in ihrer Aussage angegeben hat – wenn auch erst zum Schluss.

Jedenfalls kann aber, so wie es das Amtsgericht festgestellt hat, letztlich nicht positiv festgestellt werden, dass meine Mandantin sich noch konkret an den immerhin neun Monate zurückliegenden Sachverhalt erinnerte und entgegen diesen Erinnerungen falsche Angaben machte. Vielmehr besteht auch die Möglichkeit, dass meine Mandantin tatsächlich keine hinreichende Erinnerung mehr an den Vorfall hatte. Hierfür spricht insbesondere auch der Umstand, dass meine Mandantin allenfalls eine „Randfigur“ der Ereignisse ist.

Das Verfahren wurde wegen fehlenden Tatverdachts eingestellt.