Kerngeschehen

Mal wieder eine Beweisaufnahme mit unterirdischem Ergebnis. Die beiden Zeuginnen erinnern sich an so gut wie gar nichts. Sie wissen nicht mehr, wo sie standen, wie viele Personen beteiligt waren, wer wann hinzukam und wieder weg ging, ob sie selbst von Anfang etwas mitbekommen haben, wer was im einzelnen machte, wo die Autos geparkt waren, wie die Beteiligten genau aussahen und was sie anhatten.

Aber eines wissen sie genau: Mein Mandant hat sich an der Schlägerei beteiligt. Ob nun mit Tritten oder Fausthieben, das wissen sie zwar nicht. Aber er hat mitgemacht. Das steht für sie ebenso fest, wie für sie die Auferstehung Christi ein gesichertes historisches Ereignis ist (ich hätte fast danach gefragt).

Das Dilemma: Staatsanwaltschaft und Gericht werden den beiden glauben. Ich höre schon die Argumente: Es ist doch klar, dass man sich nach einigen Monaten nicht an jedes Detail erinnern kann. Gerade Erinnerungslücken zeigen doch, dass die Zeuginnen den Angeklagten nicht belasten wollen. Hauptsache ist außerdem, dass das „Kerngeschehen“ dargestellt wird.

Würden sich die Zeuginnen übrigens an die meisten Details erinnern, wäre das natürlich auch super. Denn dann bestünde ja ohnehin kein Grund, an der Richtigkeit ihrer Beobachtungen zu zweifeln.

Wenn die nötige Kritikfähigkeit fehlt, sind selbst Wackelzeugen ein No-Win für den Angeklagten. Oft bleibt dann nur die Hoffnung auf die nächste Instanz, wo etwas mehr Skepsis herrscht. Hoffentlich.