Revisionsgrund, ade

Mit einem Staatsanwalt gesprochen. Der muss überlegen, was er mit „neuen“ Vorwürfen gegen meinen Mandanten macht. Es handelt sich um kleinere mutmaßliche Delikte aus älterer Zeit, die im Rahmen eines Großverfahrens hochgekocht sind.

Mein Mandant sitzt derzeit eine Freiheitsstrafe ab. Sollten die neuen, alten Sachen nicht eingestellt werden, müsste im Falle einer Verurteilung eine Gesamtstrafe gebildet werden. Meinte ich jedenfalls. Der Staatsanwalt belehrte mich aber, das sei nicht möglich. Die Freiheitsstrafe sei ja schon rechtskräftig und werde vollstreckt.

Ich nahm diese Auffassung eher beiläufig zur Kenntnis. Wir wandten uns anderen Themen zu und fanden auch eine Lösung, wenn auch eine vorläufige.

Heute kriege ich das Urteil für einen neuen Mandanten, für den ich die Revision begründen soll. Schwierige Sache, zumal der Auftraggeber vor Gericht alles gestanden hat. Aber einen Lichtblick gibt es. Das Gericht hat eine Gesamtstrafe mit einer älteren Freiheitsstrafe gebildet, wegen der mein Mandant derzeit im Gefängnis sitzt.

Laut Staatsanwalt wäre das unzulässig. Voller Vorfreude auf einen Revisionsgrund schaue ich ins Strafgesetzbuch:

§ 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe

Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat.

„Vollstreckt“ bedeutet vollständig vollstreckt. Die Gesamtstrafenbildung ist also erst ausgeschlossen, wenn der Betroffene die Freiheitsstrafe abgesessen hat.

Jetzt überlege ich, ob mich der Staatsanwalt aufs Glatteis führen wollte. Muss wohl so sein, denn jede andere Erklärung scheidet ja wohl aus.