Um 8.34 Uhr gehe ich aus dem Haus. Der erste Mann, den ich sehe, hat eine Bierflasche in der Hand. Er ist auf dem Weg in die wenige Meter weiter gelegene Säuferstube, die sich als Kiosk tarnt. In der Straßenbahn sitzen nicht wenige Fahrgäste, die von Alkoholekzessen der Nacht – und unzähligen zuvor – gezeichnet sind.
Vor und im Amtsgericht die übliche Alkiparade. Unschwer zu erkennen und im übrigen branchenbekannt, wer vom Personal, den Anwälten oder den Besuchern sich gerne mal die Kante gibt. Vielleicht nicht um diese Uhrzeit, aber spätestens ab Mittag darf gezwitschert werden; urige Altstadtkneipen sind nur wenige Meter entfernt. Oder das Carschhaus, wo man zum Snack in der Delikatessa wie selbstverständlich ein, zwei, drei Weinchen schlürft.
In den Kiosken läuft ohnehin Schnaps schon morgens besser als der Express. Ich sitze nach dem Gerichtstermin im Kaffeehaus und überlege, wie viele Angehörige, Freunde, Bekannte, aber auch Mandanten Alkoholprobleme hatten oder haben. Die Zahl ist beträchtlich, erschreckend.
Sie alle haben durchweg einen Vorteil. Wenn es nicht mehr weiter geht, können sie sich eine Auszeit nehmen. Krankschreibung, Therapie, Reha. Sofern nicht alles unwiederbringlich in Scherben liegt, warten Job und Familie auf einen Neuanfang. Alkoholismus ist eine Krankheit. Man hat Verständnis, das soziale Netz ist gespannt für jene, die sich hineinfallen und wieder aufbauen lassen möchten.
Aber, und das ist viel wichtiger: Kein Polizist, Staatsanwalt oder Richter interessiert sich dafür, ob und wie viel du säufst.
Mein Mandant dagegen kann auf Letzteres nicht hoffen. Er hat sich nämlich nicht gesellschaftstauglich berauscht, sondern mit Heroin. Er hat in diesem Fall niemanden bestohlen und keinen verletzt, außer vielleicht sich selbst mit der Droge. Aber stolze 0,6 Gramm Heroin zum Eigengebrauch bringen die Staatsgewalt unerbittlich gegen ihn auf. Das Ergebnis: sechs Monate Gefängnis. Ohne Bewährung.
Zum Glück bin ich nicht Strafrichter. Die Schizophrenie des Betäubungsmittelsrechts würde mich früher oder später wohl nach Trost suchen lassen, durch welche chemische Substanz auch immer.