In einem Gerichtstermin geht es morgen um die Frage, ob eine ältere Dame geistig noch da war, als sie im Januar 2003 vor einem Notar ein Testament errichtete. Zu dieser Frage gibt es das Gutachten eines Psychiaters. Der hat 23 nicht sonderlich eng bedruckte Seiten fabriziert. Sein Fazit: Die Verstorbene war dement und somit nicht testierfähig.
Bei der Lektüre dieses Gutachtens kommt einem, sorry, das kalte Grausen. Der Gutachter ist zum Beispiel nicht auf die Idee gekommen, mit dem Notar zu sprechen. Oder mit den beiden Ärzten, welche die Frau jahrelang behandelt haben. Und zwar vor und nach Errichtung ihres Testamentes.
Gut, könnte man sagen, mit einem Juristen oder einem Hausarzt zu sprechen, ist vielleicht unter der Würde eines Nervenarztes. Dann hätte er aber doch wenigstens mal mit seinem Psychiater-Kollegen Kontakt aufnehmen können, der die Frau ständig betreute – und noch Monate nach dem Notartermin ausdrücklich der Meinung war, die Frau sei bewusstseinsklar, habe ihren eigenen Willen und könnte noch gut für sich alleine sorgen.
Nicht mal die Krankenakten hat der Gutachter eingesehen. Vielmehr beschränkt er sich auf die Angaben der Betreuerin und einige Unterlagen, die zufällig ihren Weg in eine Betreuungsakte gefunden haben. Außerdem zieht er viel Gewinn aus einer „persönlichen Untersuchung“ der Betroffenen. Die Untersuchung fand allerdings Ende August 2003 statt. Das war mehr als ein halbes Jahr nach dem Zeitpunkt, um den es geht.
Nicht zu fein war sich der Gutachter allerdings, auf Vorschlag der Betreuerin eine Nachbarin der Betroffenen anzurufen. Diese überrascht mit fundierten Aussagen: „In den letzten 2 Jahren habe sich der psychische Zustand deutlich verschlimmert. … erhebliche Störungen des Kurzzeitgedächtnisses … Seit 1,5 Jahren sei der psychische Zustand wie zum jetzigen Zeitpunkt.“
Abgesehen von den Widersprüchen innerhalb von drei Sätzen, möchte man ausrufen: Welch Glück, dass die Betroffene eine Medizinerin neben sich wohnen hatte, die so gewählte Worte findet und bei Anruf Diagnosen stellen kann. Ach was, die Nachbarin geht putzen? Das hätte man jetzt aber eher nicht vermutet…
Frohgemut und autoritär zieht der Gutachter den Schluss, die Dame sei schon „lange“ vorher dement gewesen, ganz bestimmt aber im Januar 2003. Wie er darauf jetzt genau kommt, verrät er wohlweislich nicht.
In dem Gerichtsverfahren geht es nur um Geld. Was mir aber wirklich Sorgen macht ist der Gedanke, dass so jemand ja wahrscheinlich auch bei Zwangseinweisungen ein Wörtchen mitzureden hat.