In der letzten Woche wurden rund 600 Wohnungen durchsucht. Gemeinsam war den Betroffenen nur, dass ihre Namen in der Kundendatei zweier Chemikalienhändler auftauchen und dort auch Bestellungen verzeichnet sind.
Es geht unter anderem um die Industriechemikalie GBL, aber auch um andere Substanzen. Das Amtsgericht Verden (Aller) hat eine Vielzahl der Durchsuchungsbeschlüsse erlassen. Soweit sich Betroffene an mich gewandt haben, ist festzustellen: Die Beschlüsse sind wortgleich, kurz und nach meiner Meinung schon deshalb rechtswidrig.
Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts an Durchsuchungsbeschlüsse sind eindeutig:
1. Die Tathandlung muss, wenn auch nur kurz, konkret dargestellt werden.
Die Durchsuchungsbeschlüsse enthalten lediglich nur die Feststellung, der Beschuldigte habe an einem genannten Datum online Stoffe bezogen, die zur Herstellung von Betäbungsmitteln in nicht geringer Menge geeignet und bestimmt seien.
Der Beschluss nennt keinerlei Einzelheiten zum Bestellvorgang, zur Art und Menge der bestellten Chemikalien und zu den Modalitäten der Lieferung. Diese Angaben wären aber notwendig. Ebenso notwendig wäre eine Darlegung, warum und unter welchen Umständen die Stoffe zur Herstellung von Betäubungsmitteln geeignet sind.
2. Es muss dargelegt werden, warum sich der Beschuldigte mit der Tathandlung strafbar gemacht haben könnte.
Das Amtsgericht sagt lediglich, die Stoffe seien zur Herstellung von Betäubungsmitteln bestimmt. Hierdurch wird wohl ausgedrückt, der Beschuldigte habe den notwendigen Tatvorsatz gehabt. Aus welchen tatsächlichen Anhaltspunkten sich dieser Vorsatz aber ergeben soll, wird mit keinem Wort erklärt und schon gar nicht individuell ausgeführt.
Das ist in den vorliegenden Fällen aber unbedingt nötig. Der Kauf der Chemikalien als solcher war – soweit absehbar – legal, da diese Stoffe keiner Verkaufsbeschränkung unterliegen. Es gibt lediglich das sogenannte „Monitoring“, in dessen Rahmen die Personalien der Kunden überprüft und die Bestellmengen festgehalten werden. Den Betroffenen war also bekannt, dass ihre Bestellungen festgehalten werden.
Woraus sich aus einer legalen Handlung und dem Wissen, dass man erfasst ist, nun herleiten lässt, der Kunde wolle mit den Chemikalien Drogen herstellen – hierüber findet sich im Durchsuchungsbeschluss kein Wort.
3. Der Durchsuchungsbeschluss muss erkennen lassen, dass sich das Gericht mit dem konkreten Fall auseinandergesetzt hat.
Hiervon ist nichts zu bemerken. Außer dem Bestelldatum, dem Lieferort und dem Namen des Verkäufers finden sich keine individuellen Angaben im Durchsuchungsbeschluss, der insgesamt noch nicht einmal eine Textseite ausmacht. Es sind offensichtlich Textbausteine verwendet worden.
4. Letztlich muss der Beschluss erkennen lassen, dass die Verhältnismäßigkeit geprüft wurde.
In dem Beschluss findet sich noch nicht einmal die sattsam bekannte, aber ebenfalls ungenügende Floskel, die Verhältnismäßigkeit sei gewahrt.
Dabei hätte es hier besonderen Anlass für eine Prüfung gegeben. Immerhin wird aus einer legalen Handlung der Verdacht einer Straftat, noch dazu eines Verbrechens (!) hergeleitet. Wie das gehen soll, müsste dem Betroffenen schon erklärt werden.
Es spricht vieles dafür, dass die Durchsuchungsbeschlüsse schon aus den dargelegten Gründen angreifbar sind. Das kann insbesondere für Betroffene wichtig sein, bei denen „Zufallsfunde“ gemacht wurden, die mit dem eigentlichen Vorwurf gar nichts zu tun haben.
Möglicherweise führen die Mängel der Beschlüsse zu Verwertungsverboten. Aufgefundene Beweismittel, insbesondere Zufallsfunde, könnten dann nicht gegen den Beschuldigten ins Feld geführt werden.
Wir haben bereits in mehreren Fällen Beschwerden gegen die Durchsuchungsbeschlüsse eingelegt und gleichzeitig bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Akteneinsicht beantragt. Über die Beschwerden muss das Landgtericht entscheiden. Möglich sind dann letztlich auch Verfassungsbeschwerden.
Die Akteneinsicht wird zeigen, ob es neben den mangelhaften Durchsuchungsbeschlüssen noch weitere Kritikpunkte gibt.