Dem Streit ein Ende machen. Und mit der Versöhnung einen möglichst langen Frieden schaffen. Nach diesem Prinzip arbeitet die nordrhein-westfälische Justiz schon, will es jetzt aber noch stärker einsetzen. Das Zauberwort dazu heißt Mediation. Gemeint ist also die Vermittlung zwischen Kontrahenten durch einen Richter. Nach guten Erfahrungen auf dem Lande kommt die Art dieser Schlichtung nun auch in eine Großstadt. Das Landgericht Essen bietet ab dem 1. Mai an, was sich an Gerichten in Minden und Paderborn bewährt hat.
Nicht weit davon, in einem kleinen Dorf, leben zwei Brüder. Beide sind um die 70. Vor fünf Jahren gerieten sie in alkoholisiertem Zustand aneinander. Der eine beleidigte den anderen. Und dem fiel nun neulich ein, dass er früher beim Hausbau seines Bruder tüchtig geholfen hatte. Den verklagte er nachträglich, wollte eine Entschädigung. Richter Adalbert Heine erkannte: Ein Fall für die Mediation. Er setzte den Prozess aus und die verfeindeten Brüder an einen Tisch mit Kaffe und Plätzchen.
Er sprach mit ihnen zunächst über die Kindheit, die Jugend, das Leben. Und nach zwei, drei solcher Stunden plötzlich erkannte der Kläger: Er war ja nur verärgert gewesen, wollte tatsächlich gar kein Geld. „Die lagen sich in den Armen“, berichtet der zufriedene Richter Heine. Diesen Erfolg hätte er in einem normalen Zivilverfahren nicht erreichen können: „Da gibt es nur das übliche Hin und Her, am Schluss das Urteil“.
Die Mediation dagegen wird mit einem Protokoll abgeschlossen, in dem der Vergleich steht. Zeit und Vertrauen machen den Erfolg der Vermittlung aus. Die Dauer der Sitzungen sind nicht festgelegt; sie richten sich nach dem, was die Beteiligten zu sagen haben. So können die Hintergründe herausgearbeitet und überzeugende Lösungsmöglichkeiten entwickelt werden.
Die Gespräche werden nicht öffentlich geführt, sie bleiben sogar strikt geheim. Die Eröffnungsphase besteht darin, die Verfahrensregeln auszuhandeln. Danach werden regelungsbedürftige Punkte erarbeitet und gewichtet. Während der dann folgenden „Konfliktbearbeitung“ sollen eigene Interessen erkannt und die Interessen des anderen wahrgenommen werden. Dem folgen die Lösungsmöglichkeiten. Am Schluss steht der Abschluss einer Vereinbarung.
Der Schlichter ist bei alledem neutral, er gibt keinen rechtlichen Rat. Er hilft lediglich bei der Suche nach Übereinstimmung, er schafft eine konstruktive Gesprächsbasis und sorgt für einen fairen Umgang der Gesprächsteilnehmer miteinander. Der Richter entscheidet auch nicht. Ist die Mediation erfolgreich, endet sie mit einer verbindlichen Vereinbarung, die für alle Beteiligten gilt. Wenn die Vermittlung scheitert, hat das keinerlei nachteilige Auswirkungen: Das Verfahren wird an den gesetzlichen Richter zurückgegeben, von diesem wieder aufgenommen und weiter geführt.
„Die Geschichte der Mediation ist eine Erfolgsgeschichte“, so lobte bereits Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) vor der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf. Die Entwicklung indessen war langsam. Der amerikanische Rechtswissenschaftler Robert Fisher entwickelte vor etwa 20 Jahren das so genannte „Harvard-Konzept des sachgerechten Verhandelns“. Sein Buch wurde zum Bestseller und trug wesentlich dazu bei, die Idee der Mediation bekannt zu machen.
In Nordrhein-Westfalen gab es bislang über 1000 Mediationsverfahren, die Erfolgsquote im zivilgerichtlichen Verfahren liegt bei über 70, bei Verwaltungsgerichten sogar bei 90 Prozent. Allerdings mussten über 100 Richter erst jeweils über 11 Tage lang ausgebildet werden. Sie opferten oft ihre Wochenenden, um den normalen Betrieb in den Gerichten nicht übermäßig zu belasten.
Die Schulung an der Justizakademie in Recklinghausen lehrt effektives Verhandeln, Phänomene der Wahrnehmung (steht eine Geste einer Aussage entgegen?) und Konflikt- sowie Stressbehandlung. Das alles haben nun auch 20 von 79 Zivilrichtern des Landgerichts in Essen hinter sich. Das Pilotprojekt soll zeigen, ob sich die Mediation auf andere Großstädte – Aachen etwa ist schon im Gespräch – übertragen lässt.
„Wir wollen auch die Industrie ansprechen“, sagt Behördensprecherin Nicola Brand, „da gibt es einen großen Bedarf“. Sie denkt an Bauprozesse und an die Auflösung von Gesellschaften. „Das Verfahren eignet sich insbesondere für Menschen, die sich im Leben mehrfach treffen“. Und dem Streit ein Ende mit Aussicht auf Frieden machen wollen. (pbd)