Wenn ein Gericht selbst von einem „Systemwechsel“ spricht, handelt es sich um keine Kleinigkeit. Der Große Senat des Bundesgerichtshofs hat sich jetzt für einen dieser Systemwechsel entschieden. War es bei rechtsstaatswidrig langen Verfahren bislang so, dass die Strafe gemildert wurde, wird jetzt ein neues Modell angewandt:
Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtsstaatswidrig derart verzögert
worden, dass dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter
näherer Bestimmung des Ausmaßes berücksichtigt werden muss, so ist anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.
Der Angeklagte wird also künftig zur vollen Strafe verurteilt, die er ohne Verfahrensverzögerung erhalten hätte. Im Anschluss daran stellt das Gericht fest, dass ein Teil dieser Strafe bereits als verbüßt gilt. Das orientiert sich offensichtlich an der bislang schon vorhandenen Möglichkeit, ausländische Untersuchungshaft mit einem Faktor X anzurechnen.
Der Vorteil des neuen Verfahrens scheint mir, dass das Gericht beim Strafabschlag wohl noch mehr Farbe bekennen muss. Die Feststellung, ob und in welcher Höhe Strafe als verbüßt gilt, wird im Urteil jedenfalls deutlicher zu erkennen sein als der bislang übliche „Rabatt“ auf die letzlich absolut verhängte Strafe.
Interessant ist überdies auch diese Feststellung des Großen Senats:
Verstöße der Strafverfolgungsorgane gegen das Gebot zügiger Verfahrenserledigung sind in zunehmendem Maße festzustellen; die Gründe hierfür hat der Große Senat an dieser Stelle nicht zu erörtern.
Das ist in der Tat ein knochentrockener Fakt.