Streitiges Verfahren

Gerade eine Uraltakte auf dem Tisch gehabt. Ein Gastwirt hatte im Jahr 2002 gegen meine Mandantin einen Mahnbescheid beantragt. „Teilforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung August 1999“, so die schwammige Begründung. Soweit ich mich erinnere, hatte die Mandantin bei dem Mann als Kellnerin gearbeitet. Wie weiteren Kollegen wurde ihr vorgeworfen, nicht ordnungsgemäß abgerechnet zu haben.

Viel kann an den Vorwürfen nicht dran gewesen sein. Der Wirt hat den Anspruch aus dem Mahnbescheid nämlich nie begründet. Er hat auch keine Strafanzeige erstattet. Wegen unseres Widerspruchs schlummert die Sache seitdem beim Mahngericht.

Ich denke, jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, die Durchführung des streitigen Verfahrens zu beantragen. Die Forderung ist mittlerweile verjährt. Aber immerhin muss ja noch die Kostenfrage geklärt werden. Dass der Mann noch an seiner alten Adresse wohnt und außerdem weiter das Lokal betreibt, habe ich überprüft. Wäre ja peinlich, das Gericht zu behelligen, wenn der Kläger gar nicht mehr greifbar ist.

Nicht unwahrscheinlich

Ich finde es grundsätzlich nett, wenn ein Gericht die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage anbietet. Aber was sollen solche Anmerkungen:

Der Verschuldensumfang könnte nur im Rahmen einer Hauptverhandlung festgestellt werden. Dabei ist es nicht unwahrscheinlich, dass das Maß der Rufschädigung für die Angeschuldigten das Maß ihres Verschuldens deutlich übersteigt.

Ebenso wahrscheinlich ist nämlich, dass dem Gericht und allen Beteiligten die absehbare Endlos-Beweisaufnahme so über den Kopf wächst, dass man früher oder später ohnehin die Notbremse ziehen muss. Aber die Wahrheit klingt natürlich viel süßer, wenn sie im Gewand höchster Fürsorglichkeit daherkommt.

Scheint bei ihnen auch die Sonne?

Den halben Tag mit Leuten telefoniert, deren Telefone sicher abgehört werden. Dann vorhin ein Gespräch in einer ganz „normalen“ Sache. Die Mandantin wird jetzt wahrscheinlich denken, wieso kommt der nicht einfach mal auf den Punkt.

Das geht schwer runter

Der rechtspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion Norbert Geis hat sich im Deutschlandfunk zur Inhaftierung sogenannter „Gefährder“ geäußert. Nach seiner Vorstellung sollen diese ohne Gerichtsverfahren dauerhaft inhaftiert werden:

Geis: … Aber ich glaube, dass dann, wenn der Gefährder wirklich erkannt ist, ich halte es für unverantwortlich, diesen Gefährder weiter unter uns ganz zwanglos leben zu lassen. Also da bin ich schon eher für die Sicherheit und würde sagen oder sage, dann muss der Gefährder auch hinter Schloss und Riegel, er muss also in Sicherungsverwahrung gebracht werden.

Heckmann: Ohne Prozess?

Geis: Bitte?

Heckmann: Ohne Prozess?

Geis: In diesem Fall ohne Prozess. Das geht schwer runter, das sage ich Ihnen, das fällt einem nicht leicht vor allen Dingen dann, wenn man, so wie ich auch, immer wieder sagt, dass wir die freiheitlichste Grundordnung haben, die wir je hatten. Aber es geht ja uns darum, diese freiheitliche Grundordnung zu schützen. Und deswegen wehren wir uns gegen die Gefährder. Und wir können nicht warten, bis die Gefährder zuschlagen.

Heckmann: Und der Unterschied zu Guantanamo ist?

Geis: Der Unterschied zu Guantanamo ist jedenfalls, natürlich so, wie ich das kenne, ist ein vernünftiges Verhalten, und dann muss man immer wieder auch prüfen, ist das noch ein Gefährder? Und da müssen schon rechtliche Möglichkeiten gegeben sein, diesen Staatsakt, der durch die Festnahme ja geschieht, rechtsstaatlich überprüfen zu lassen. Aber dazu brauchen wir zunächst einmal eine Änderung unserer Gesetzeslage.

Das Interview

Rüde Töne am Amtsgericht Dortmund

Die mehrfach beschriebene Überlastung in der nordrhein-westfälischen Justiz hat zu einem Eklat im Amtsgericht Dortmund geführt. Dort gilt der Familienrichter Walter S. allgemein als beliebt und fleißig. Als er sich vor drei Monaten in der steigenden Flut seiner Arbeit überfordert sah und deswegen den damaligen Amtsgerichtspräsidenten hilfesuchend schriftlich informierte, reagierte der bösartig.

In verächtlichem Ton warf Präsident Heinz-Jürgen Held seinem Kollegen blanke Faulheit vor und riet ihm letztlich zur Kündigung. Zunächst hatte Held dem Richter S. attestiert, der sei „wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen überlastet“. Dann aber griff der Amtsgerichtspräsident zu süffisanten Unterstellungen. S. habe seine Situation wohl selber verschärft. Durch etwa „die intensive zeitliche und mentale Belastung“ eines Aufsatzes in einem wohl eher fremden Fachbereich.

Außerdem habe S. sich „angestrengte Gedanken“ zur Gestaltung des Eil- und Bereitschaftsdienstes beim Amtsgericht gemacht. Der Präsident berief sich dann stichelnd auf seine Fürsorgepflicht und gab Ratschläge, die dem Grundgesetz zuwider laufen. Die deutschen Richter sind wohlweislich unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. Das gilt auch für ihre Arbeitszeit.

Doch Präsident Held riet seinem Kollegen zur Nutzung des Systems 40: „Es besteht darin, dass man am Montag um 7.30 Uhr das Gerichtsgebäude betritt, hier acht Stunden lang arbeitet und dies an den folgenden vier Tagen wiederholt“. Die Anwendung sei einfach, die Wirkung verblüffend.

Diese Haltung brachte den Richterrat auf die Barrikaden. „Mit ungläubigem Staunen und Befremden“ sah er das Schreiben des Amtsgerichtspräsidenten „von Häme und Polemik durchsetzt“. Der Ratsvorsitzende Bernd Schulte Eversum kritisierte, der Hilferuf des Richters S. (der regelmäßig über den Dienstschluss hinaus arbeite und sich dem Nachwuchs seit Jahren widme) sei weder auf Ernsthaftigkeit noch sachliche Reaktion gestoßen.

Doch der Herr Präsident setzte noch eins darauf. Weil der Richterrat zur Überlastungssituation keine Lösungsvorschläge gemacht habe, sei der nun gefordert: „Ich bitte um Meldungen von Damen und Herren, die bereit sind, einen Teil des Dezernats S. zu übernehmen“. Dabei ist Eile geboten, denn nur die ersten Meldungen können berücksichtigt werden“. Mit diesen beiden Sätzen und „kollegialem Gruß“ verabschiedete sich Amtsgerichtspräsident Heinz-Jürgen Held – in die Pension.

Einen „neuen Umgangston in der NRW-Justiz“, nennt das Andrea Fuchs, die Vorsitzende des Amtsrichterverbandes. Den habe sie noch nirgendwo in Deutschland gehört. Bei der herrschenden Überlastung habe der Amtsgerichtspräsident sich im Ton vergriffen und seine Fürsorge verletzt. Auch Jens Gnisa, der NRW-Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, vermisst die sachliche Auseinandersetzung. Auch die Ursache des Dortmunder Rosenkrieges sei traurig: „In Nordrhein-Westfalen fehlen 500 Richter und 200 Staatsanwälte“. (pbd)

Früher im law blog: System 40

Wer ist ein Gefährder?

Wer ist für die Sicherheitsbehörden eigentlich ein „Gefährder“?

Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.

So antwortete Staatssekretär Dr. August Hannig im November 2006 auf eine Anfrage im Bundestag.

Wie unschwer feststellbar, ist in § 100a Strafprozessordnung ein erheblicher Teil des Strafgesetzbuchs zitiert, ab einer mittleren Deliktschwere aufwärts. Aus dem Wort „insbesondere“ in der Antwort des Staatssekretärs ergibt sich allerdings, dass der Katalog für die Sicherheitsbehörden nicht abschließend ist. Man behält sich also vor, auch das eine oder andere Delikt heranzuziehen. Welches natürlich auch etwas harmloser sein kann…

Es genügt also grundsätzlich die Annahme, dass jemand was Böses im Schilde führt. Außerdem muss der Gefährder „politisch motiviert“ sein. Welch beruhigendes Korrektiv. Jedenfalls ist kaum zu vermuten, dass das staatliche Kaffeesatzlesen gerade hieran scheitert.

Dazu auch RA J. Melchior.

Kommentar des Tages

„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.“

– Bundesverfassungsgericht Entscheidungen, Band 2, Seite 12

Die hier skizzierte FDGO ist das Fundament des deutschen Staates, und mit jeder einzelnen der aktuellen Forderungen von Schäuble wird dieses massiv untergraben.

Sinnfrei im Beitrag Geschichtsstunde über „die Menschen“

Geschichtsstunde über „die Menschen“

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble hat in den letzten Tagen erkannt und sogleich verkündet, weder die deutsche noch die internationale Rechtsordnung seien den Gefahren durch den Terrorismus gewachsen. Eine bahnbrechende wenngleich unbelegte Behauptung. Nun wendet sich der Politiker der Geschichte zu. Im ZDF erklärt er uns, wie es zum Dritten Reich gekommen ist:

Im vergangenen Jahrhundert ist die Freiheit einmal verloren gegangen, weil die Menschen den freiheitlichen Verfassungsstaat diffamiert haben, es sei eine Schwatzbude und er könne die Menschen nicht schützen.

So was haben weniger die Menschen behauptet. Sondern eher die Nationalsozialisten und ihre Steigbügelhalter. Aber haben die Nationalsozialisten damit gemeint, die Weimarer Republik sei für die Bevölkerung gefährlich? Gefährlich im Sinne eines islamistischen Terrorkommandos? Bislang gab es eigentlich einen anderen Konsens über die Ursachen. Zum Beispiel die schlechte Wirtschaftslage, verbunden mit dem kollektiven Gefühl, in Folge des Ersten Weltkriegs als Nation außenpolitisch geknechtet zu sein, dies wiederum kombiniert mit einem weitverbreiteten, seit der Dolchstoßlegende gut geschürten Widerwillen gegen die junge Demokratie.

Schäubles Aussage ist Geschichtsklitterung. Aber gutgemeinte, natürlich. Womöglich hat der Datenroboter im Ministeriumsarchiv auch nur die Geschichtsbücher gefressen. So was kommt vor, erleichtert die Irreführung aber enorm.

Jedenfalls werden es „die Menschen“, die heute den freiheitlichen Verfassungsstaat diffamieren, viel leichter haben als die Nazis. Sie können sich nämlich der Schäubleschen Innovationen – Überwachung, Internierung, Isolierung, Polizeiwillkür – bedienen, sollten sie an die Macht kommen. Mit den dann vorhandenen Instrumenten lässt sich der freiheitliche Staat wegfegen wie die Krümel eines Frühstücksbrötchens.

Vorausgesetzt natürlich, Schäuble und seine Adepten haben überhaupt noch Krümel übrig gelassen.

Laaaaaaaangsam

Die Rheinbahn und der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr haben ihre Online-Fahrplanauskunft aufgepeppt. Die Start- und Zielzeiten in der Zusammenfassung beinhalten jetzt den jeweiligen Fußweg zur bzw. von der Haltestelle.

Von meinem Büro Lützowstraße 2 bis zur U-Bahn-Haltestelle Kennedydamm braucht man demnach fünf Minuten. Also, ich muss sagen, solche Angaben geben mir doch das Gefühl, noch einigermaßen jung und gesund zu sein. 35 Meter und einmal über die Straße schaffe ich jedenfalls geringfügig unter der angegebenen Zeit.

Der Schlüssel zum Schlüssel

Wer ein Auto gemietet hat, muss sorgfältig auf die Wagenschlüssel aufpassen. Allerdings treffen den Mieter keine übertriebenen Sorgfaltspflichten. So ist er nicht verpflichtet, vor dem Einschlafen auf dem Wohnzimmersofa den Schlüssel wegzuschließen, bloß weil noch andere Personen in der Wohnung sind. Dies hat das Landgericht Düsseldorf entschieden.

Ein Autovermieter hatte seinen Kunden verklagt, weil dieser nach einer gemeinsamen Fahrt mit einem Bekannten und anschließendem Abendessen – es gab Pizza – in der Wohnung auf dem Sofa eingeschlafen war. Dabei hatte der Mieter den Schlüssel in seiner Hosentasche. Das Schlüsselband hing etwas heraus.

Der Bekannte zog den Schlüssel unbemerkt aus der Hosentasche und machte mit dem Mietwagen eine Spritztour. Er hatte nicht nur keinen Führerschein, sondern fuhr auch noch den Wagen kaputt. Der Autovermieter warf seinem Kunden Fahrlässigkeit vor und verlangte 8.000 Euro Schadensersatz.

Das Landgericht Düsseldorf wies die Klage ab. Den Schlüssel hätte der Beklagte nur bei konkreten Anhaltspunkten „in einem Behältnis“ wegschließen müssen. Dies hatte der Autovermieter verlangt. Da keine Verdachtsmomente gegen den Freund vorlagen, musste sich das Gericht nicht mit der Frage beschäftigen, wo der Beklagte den Schlüssel für das Behältnis, in dem er den Autoschlüssel dann hätte einschließen müssen, aufzubewahren gehabt hätte.

(Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 5. Juni 2007, 10 O 216/06)

Nur ein Versehen

„Das muss ein Versehen sein.“ Sagt der Inhaber eines Gartenbaubetriebs. Das Versehen besteht darin, dass sei Lkw nicht mehr haftpflichtsversichert ist. Seit Juni 2005. „Die Police ist gekündigt“, sagt die Versicherung. „Wegen Zahlungsverzuges.“ Eine Nachricht ans Straßenverkehrsamt sei auch rausgegangen. „Nach unseren Informationen wurde der Lkw zwangsabgemeldet.“

Der Unfallgegner erzählt mir dagegen, dass er schon mit seinem Versicherungsvertreter gesprochen hat. „Der ist ganz verwundert, da muss was falsch gelaufen sein.“ Nur leider ist der Vertreter zwei Wochen im Urlaub. „Ich melde mich, wenn wir das geklärt haben.“ An die angeblichen Zahlungsbelege für die Versicherung kommt er auch nicht ran. Sein Steuerberater ist auch im Urlaub. Hatte ich jetzt auch nicht anders erwartet.

Meine Mandantin springt im Dreieck. Fast viertausend Euro Schaden, keine Versicherung, und dann spielt der Gegner noch auf Zeit. Würde mir auch nicht gefallen. Bin mal gespannt, was er sagt, wenn ich ihm erkläre, dass ihm die Sache bis zu ein Jahr Gefängnis bringen kann. Und dass es vor Gericht immer besser aussieht, wenn man seinen Unfallgegner nicht auch noch für dumm verkauft hat.

Hans Mustermann, Kripo Bamberg

Wie haben sich die Gebrüder Schmidtlein gefreut. Sogar die Polizei meldet sich jetzt schon auf ihren kostenpflichtigen Seiten an. Weil Hans Mustermann von der Kripo Bamberg aber nicht zahlte, schickte Schmidtlein-Anwalt Olaf Tank seine übliche Mahnung. Und erhielt eine denkwürdige Auskunft.

Die Polizisten hätten sich im Rahmen einer Internetschulung angemeldet, schreibt ein Kriminalhauptkommissar. Sein Name ist zwar geschwärzt, aber wir können davon ausgehen, dass er nicht Hans Mustermann heißt. Auch das Ergebnis der Schulung teilt er mit. Die Beamten hätten festgestellt, „dass Straftaten hier generell nicht vorliegen“. Schließlich müssten die Nutzer ja die AGBs akzeptieren.

Nur zur Info an die Zivilrechtscracks in der Schildstraße 81, 96050 Bamberg: Nachts ist es manchmal kälter als draußen.

Auf der Seite habe sich der Kollege Mustermann im Übrigen nur angemeldet, um Kollegen zu sensibilisieren, damit sie „anzeigewilligen Bürgern i.S. Schmidtlein mit Argumenten entgegen treten können“.

Die Bamberger Polizei reiht sich damit nicht nur in die Reihe der bekennenden Anzeigenverhinderer ein. Sie leistet den Schmidtleins auch noch Schützenhilfe. Schmidtlein-Anwalt Olaf Tank hat den Brief natürlich sofort auf seine Seite gestellt. Die Bamberger Polizei kommt ganz oben.

Zahlen, da dürfen wir sicher sein, muss Hans Mustermann nicht.

Ebenfalls zum Thema: Augs.blog

(Danke an Dr. H. für den Hinweis)