Die mehrfach beschriebene Überlastung in der nordrhein-westfälischen Justiz hat zu einem Eklat im Amtsgericht Dortmund geführt. Dort gilt der Familienrichter Walter S. allgemein als beliebt und fleißig. Als er sich vor drei Monaten in der steigenden Flut seiner Arbeit überfordert sah und deswegen den damaligen Amtsgerichtspräsidenten hilfesuchend schriftlich informierte, reagierte der bösartig.
In verächtlichem Ton warf Präsident Heinz-Jürgen Held seinem Kollegen blanke Faulheit vor und riet ihm letztlich zur Kündigung. Zunächst hatte Held dem Richter S. attestiert, der sei „wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen überlastet“. Dann aber griff der Amtsgerichtspräsident zu süffisanten Unterstellungen. S. habe seine Situation wohl selber verschärft. Durch etwa „die intensive zeitliche und mentale Belastung“ eines Aufsatzes in einem wohl eher fremden Fachbereich.
Außerdem habe S. sich „angestrengte Gedanken“ zur Gestaltung des Eil- und Bereitschaftsdienstes beim Amtsgericht gemacht. Der Präsident berief sich dann stichelnd auf seine Fürsorgepflicht und gab Ratschläge, die dem Grundgesetz zuwider laufen. Die deutschen Richter sind wohlweislich unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen. Das gilt auch für ihre Arbeitszeit.
Doch Präsident Held riet seinem Kollegen zur Nutzung des Systems 40: „Es besteht darin, dass man am Montag um 7.30 Uhr das Gerichtsgebäude betritt, hier acht Stunden lang arbeitet und dies an den folgenden vier Tagen wiederholt“. Die Anwendung sei einfach, die Wirkung verblüffend.
Diese Haltung brachte den Richterrat auf die Barrikaden. „Mit ungläubigem Staunen und Befremden“ sah er das Schreiben des Amtsgerichtspräsidenten „von Häme und Polemik durchsetzt“. Der Ratsvorsitzende Bernd Schulte Eversum kritisierte, der Hilferuf des Richters S. (der regelmäßig über den Dienstschluss hinaus arbeite und sich dem Nachwuchs seit Jahren widme) sei weder auf Ernsthaftigkeit noch sachliche Reaktion gestoßen.
Doch der Herr Präsident setzte noch eins darauf. Weil der Richterrat zur Überlastungssituation keine Lösungsvorschläge gemacht habe, sei der nun gefordert: „Ich bitte um Meldungen von Damen und Herren, die bereit sind, einen Teil des Dezernats S. zu übernehmen“. Dabei ist Eile geboten, denn nur die ersten Meldungen können berücksichtigt werden“. Mit diesen beiden Sätzen und „kollegialem Gruß“ verabschiedete sich Amtsgerichtspräsident Heinz-Jürgen Held – in die Pension.
Einen „neuen Umgangston in der NRW-Justiz“, nennt das Andrea Fuchs, die Vorsitzende des Amtsrichterverbandes. Den habe sie noch nirgendwo in Deutschland gehört. Bei der herrschenden Überlastung habe der Amtsgerichtspräsident sich im Ton vergriffen und seine Fürsorge verletzt. Auch Jens Gnisa, der NRW-Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, vermisst die sachliche Auseinandersetzung. Auch die Ursache des Dortmunder Rosenkrieges sei traurig: „In Nordrhein-Westfalen fehlen 500 Richter und 200 Staatsanwälte“. (pbd)
Früher im law blog: System 40