Von EBERHARD PH. LILIENSIEK
Die Angehörigen des nordrhein-westfälische Verfassungsschutzes stehen vor einem Dilemma. Entdecken sie etwa Bestrebungen und Tätigkeiten, die gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, dann dürfen die Verfassungsschützer seit Beginn des Jahres auch heimlich die Festplatten von PC-Nutzern übers Internet ausspähen. Dabei aber stoßen sie auf das geballte Spezialwissen weltweit agierender Firmen, die für relativ wenig Geld ein Bollwerk gegen Software-Spionage bieten. Dabei geben sich beide Seiten – in hohem Respekt voreinander – sehr zuversichtlich. Schon das Gesetz war umstritten.
Die Befugnis, quasi unsichtbar mit dem Einsatz technischer Mittel auf informationstechnische System zuzugreifen, kommt dem Hacker gleich, der ohne Wissen seines Opfers die Daten auf dessen PC oder Notebook liest. Und womöglich unredlich benutzt. Bettina Sokol, die Datenschutzbeauftragte des Landes, appellierte an das Gewissen der Politiker in der CDU-FDP-Koalition: „Das Grundgesetz sichert das Recht, in seiner Wohnung als räumliche Sphäre und als Mittelpunkt der menschlichen Existenz in Ruhe gelassen zu werden!“ Denn auf Computern im privaten Bereich, so mahnte Sokol, seien ja auch wohl E-Mails, Texte und Bilder gespeichert, die zum absolut geschützten Kernbereich der Menschen gehören.
Das war vergebliches Rufen: Mit ihrer Landtagsmehrheit beschloss die Koalition am 20. Dezember 2006 in dritter Lesung die neuen Befugnisse. Seit Jahresbeginn sieht NRW- Innenminister Ingo Wolf (FDP) den Verfassungsschutz denn auch auf „technischer Augenhöhe mit den Verfassungsfeinden“. Aber zugleich mit den Mächtigen des Sicherheitsmarktes? „Wir werden Trojanische Pferde setzen“, versichert Behördensprecherin Dagmar Pelzer, elektronische Spionage-Programme also, die als nützliche Anwendung getarnt sind.
„Wie soll das denn funktionieren?“, fragt ungläubig Klaus Wehrle, der im Informatik-Zentrum der Universität Aachen unter seinen Professoren-Kollegen als „Hacker-Genie“ gilt: „Auf gesicherte Personal-Computer mit aktuellen Schutz-Programmen kommt der Verfassungschutz nicht!“ „Das ist nicht möglich und überhaupt nicht vorstellbar“, sagt vertraulich die Spezialistin eines Softwareherstellers.
Symantec zum Beispiel, das Unternehmen mit der bekannten Marke „Norton“, freilich mag sich offiziell nicht äußern. In Tettnang am Bodensee sitzt die Avira GmbH, bekannt auch durch ihr kostenloses Schutz-Programm „Antivir“. Sprecherin Adela Kohl meint, mit Hilfe eines gut programmierten „Trojaners“ sind nahezu alle Daten eines Rechners zugänglich. Das größere Problem für den NRW-Verfassungschutz werde aber es sein, diese Art von Software mit den gängigen Methoden auf dem betreffenden Rechner zu installieren. Denn: „Sollte es sich technisch um Software mit trojaner-typischen Komponenten handeln, wird es schwierig für den NRW-Verfassungsschutz, gängige Sicherheitsprogramme zu umgehen, wenn diese auf dem aktuellsten Stand sind.“
Dagmar Pelzer vom Innenministerium aber hebt hervor: „Unsere Techniker sind auf einem extrem hohen Niveau!“. Isabel Unseld schmunzelt geradezu: „Das ist technisch nur möglich bei arglosen Menschen“, meint die Sprecherin des Herstellers „mcafee“ in Unterföhring bei München (Slogan: „Wir bieten grundlegenden Schutz gegen Viren, Hacker, Spyware, Spam, Phishing.und Identitätsdiebstahl“).
Aufgabe des weltweit agierenden Unternehmens jedenfalls sei es, „PCs zu schützen. Ohne wenn und aber!“ Das heiße auch, mögliche Trojanische Pferde „ohne Ausnahmen“ zu filtern. Auf Nachfrage räumt Unsel ein, dass solche Programm „durchs Netz schlüpfen“. Dann müsse der Ausspionierte aber aktiv werden, indem er eine verdächtige E-Mail öffnet. Mit Abwehrmaßnahmen rechnet auch der Verfassungsschutz: „Es kann sein“, gesteht denn doch noch Dagmar Pelzer vom Innenministerium ein, „dass die Methode in einigen Fällen nicht funktioniert“. Man wisse aber, „dass viele Extremisten leichtsinnig mit ihren Daten umgehen.“
Die Verfassungsschützer setzen offenbar auf Erkenntnisse aus der Aids-Diskussion – infiziert wird demnach, wer ungeschützt verkehrt. Und letzlich räumt auch Universätsprofesser Klaus Wehrle ein: „Es gibt illegale Möglichkeiten, in Systeme zu kommen“. Dazu bräuchte es allerdings, fügt er empört hinzu, kriminellen Vorsatz. Die Situation ist also paradox: Was Spezialist Wehrle für eine Verletzung geltenden Rechts hält, das ist für den Verfassungschutz seit Anfang des Monats gesetzlicher Auftrag. (pbd)