Von EBERHARD PH. LILIENSIEK
Der Appell geht an alle Internet-Surfer, deren Aufmerksamkeit und „Hilfsbereitschaft“ ist künftig gefragt. Sieben Wochen nach dem Amoklauf in Emsdetten hat die nordrhein-westfälische Polizei ihre Empfänglichkeit für Anzeichen solcher Taten erweitert: Über die Internetseite www.polizei.nrw.de gelangen jetzt Hinweise aus der Bevölkerung rund um die Uhr direkt an den Dauerdienst des Landeskriminalamtes.
Damit können, hoffte gestern Innenminister Ingo Wolf (FDP), schon erste Ankündigungen „online“ gemeldet und direkt von Kriminalisten bewertet werden. Die Menschen seien eher bereit über das Internet eine Anzeige zu erstatten oder Hinweise zu geben. Gewöhnliche Spitzeldienste möchte Wolf damit nicht fördern, sagte er. Es entfalle zwar die Hemmschwelle, zu einer Polizeiwache zu gehen oder zum Telefonhörer zu greifen. Aber: „Der Amoklauf hat deutlich gemacht, dass wir eine Kultur des Hinsehens brauchen“. Und dazu gehöre die Bereitschaft der Polizei, notwendige Informationen „abzuschöpfen“.
Aus Internet-Foren etwa oder aus „chatrooms“, den Klatsch- und Tratschseiten im Internet. Die Erstattung von elektronischen Strafanzeigen ist schon seit drei Jahren möglich, rund 61.000 gingen bislang ein. Die wurden und werden den örtlich zuständigen Behörden weitergeleitet. Das wird die mit vier Beamten besetzte Internetwache auch tun, schneller als bislang. Neu ist die rasche Bewertung durch die Spezialisten. Die können angeblich sofort klären, ob eine Gewaltandrohung ernst gemeint ist. Und in einer psychischen Ausnahmesituation des Täters für professionelle Hilfe sorgen.
Der Amoktäter von Emsdetten wurde nicht erkannt, obwohl seine Texte und Bilder im Internet von Gewalt geprägt waren. Deswegen mahnt Wolf: „Wer Anzeichen für einen möglichen Amoklauf bemerkt, darf sich nicht scheuen, sofort die Polizei zu verständigen – zum Schutz aller“. Die Beamten des Landeskriminalamtes (LKA) sind dabei zur Reaktion verurteilt. Denn sie fahnden nicht von sich aus, räumte LKA-Chef Wolfgang Gatzke gestern auf Anfrage ein.
Kritik kommt von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Landesvorsitzender Frank Richter begrüßt grundsätzlich das Projekt, vermisst aber Konsequenzen. Die Interwache werde dem LKA-Dauerdienst quasi draufgesattelt, es fehle an Spezialisten mit Sprachkenntnissen und überhaupt an mehr Personal. Zudem könne der Dauerdienst nur Informationen sammeln – bei Gefahr müsse sofort ein Zugriff möglich sein. Richter wirft dem Innenminister vor, der sei „zu kurz gesprungen!“ (pbd)