„Die werden weggeschlossen“

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Der qualvolle Tod des 20-jährigen Häftlings in der Jugendhaftanstalt Siegburg hat den Landeschef des Bundes deutscher Strafvollzugsbediensteten (BSBD) „erschüttert, aber nicht so richtig verwundert“. Obwohl niemand vom Plan der drei mutmaßlichen Mörder wissen konnte, sagt Klaus Jäkel, „gibt es seit Jahren klare Hinweise darauf, dass die Gewaltkriminalität in den Justivollzugsanstalten immer größer wird“.

Jäkel überrascht zudem mit der Aussage, dass es in Siegburg 60 bis 70 Bedienstete zuwenig gab und gibt. Auch dieser Personalnotstand, das deutet Jäkel vernehmlich an, habe die Aufsichtsmöglichkeiten verringert und damit die Tötung des 20-Jährigen durch drei Mithäftlinge erleichtert.

Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) indes berichtete gestern in einer Sondersitzung dem Rechtsausschuss: „Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dieser Fall auf Personalnot zurückzuführen ist, sagte die Ministerin. „Das ist eine Schutzbehauptung“, hält BSBD-Chef Jäkel scharf dagegen. Noch Ende Oktober sei die Ministerin von der Gewaltspirale und dem Personalbedarf informiert worden. Sie habe sich sehr aufgeschlossen gezeigt und zugesichert, sich die Stellenberechnung persönlich anzuschauen, aber sei nun wohl von der Entwicklung in Siegburg „überholt“ worden: „Landesweit fehlen 300 bis 400 Vollzugsbeamte zur Erfüllung unserer gesetzlichen Aufgabe!“

Dazu gehöre, gerade wie in der Jugendhaftanstalt Siegburg, die Erziehung. Die sei nicht gewährleistet. Just an den Wochenenden müsse mit den jungen Häftlingen gesprochen und gearbeitet werden, weil die sonst ins Leere laufen: „Aber die werden weggeschlossen!“ Dazu nennt Jäkel einen anderen Hintergrund: „Wir haben noch immer kein Jugendstrafvollzugsgesetz – die Länder sparen damit Geld“. Vorgaben zur Einteilung des Tages etwa fehlen. So komme es durchaus auch in Siegburg oft vor, dass Abendessen schon morgens in die Zellen gebracht werden: „Es gibt eben kein Personal!“

Schon die rot-grüne Landesregierung habe alle Warnsignale nicht zur Kenntnis genommen. Finanzminister Helmut Linssen (CDU) habe sich zwar bemüht, falle aber „in den Trott der SPD zurück“. Die Folge: Vor drei oder vier Monaten, schildert Jäkel, sei einer seiner Kollegen in der ostwestfälischen Anstalt Hövelhof „fast ermordet“ worden: „Er wurde von Gefangenen mit einem Brett zusammengeschlagen, gewürgt und konnte mit letzter Kraft den Alarm auslösen“. Die Häftlinge flohen.

Im August sei in Aachen ein Kollege „halb tot geschlagen“ worden. Jäkel, der 38 Jahre Berufserfahrung hat, hält die Unterbringung von mehreren Häftlingen in einer Zelle generell für sinnvoll. Grundsätzlich komme es untereinander zu einer Selbsterziehung: „Die passen normalerweise gegenseitig auf sich auf“.

Gegen die drei mutmaßlichen Mörder, die ihren Mithäftling nach eigenen Geständnissen grausam töteten, sind mittlerweile Haftbefehle ergangen. Sie sind, strikt getrennt, in unterschiedlichen Gefängnissen untergebracht worden. Unterdessen dementierte Oberstaatsanwalt Friedrich Apostel Meldungen, wonach nicht gegen die drei Justizbediensteten ermittelt wird: „Selbstverständlich prüfen wir, ob die sich strafbar gemacht haben“, sagte Apostel gestern auf Anfrage. Er könne nicht nachvollziehen, warum dem Opfer nicht geholfen wurde, obwohl der junge Häftling Alarm ausgelöst hatte. (pbd)