Sehr geehrte Frau K.

Die FAZ schreibt einen Brief an Natascha Kampusch, im Namen der Medien:

Es ist unsere Aufgabe, über die Mißstände in der Welt zu informieren – und wir können in Ihrem Fall nicht einfach eine Ausnahme machen. Natürlich gibt es noch eine andere Antwort, denn wenn wir ehrlich sind, wissen wir längst nicht mehr, was das ist: die Wahrheit. Aber wir wissen, was die Leute lesen wollen, hören wollen, sehen wollen. Das reicht uns. Die Leute wollen das Neue, das Dramatische, das Ungewöhnliche, sie wollen den Eklat und den Skandal. Wir wissen nicht, warum, aber wir können nichts dagegen tun. Das Gesetz unseres Berufs heißt nicht: „Du sollst nicht lügen!“ Es heißt: „Du sollst nicht langweilen!“ …

Sie hatten gehofft, daß außerhalb Ihres Gefängnisses die Wirklichkeit wartet; jetzt stehen dort Kameras und Reporter. Die Flucht vor ihnen führt Sie erneut in die Isolation. Sie wollen nicht an die Öffentlichkeit, aber Sie haben keine Wahl: Ihre Freiheit heißt Öffentlichkeit. Ihre Geschichte ist unsere Geschichte.

Das ist wohl die treffende Schlussfolgerung. Wenn Natascha Kampusch nicht ewig Verfolgte bleiben will, bleibt ihr nur eins, so lange sie es noch in der Hand hat: das große Interview im TV, die Serie im Print, das Buch, der Film. Oder waren ihre mittlerweile zahlreichen „Berater“ wirklich so selbstlos, sich uneingeschränkt zur Verschwiegenheit zu verpflichten?

(Link gefunden in der Handakte)

Auf dem Boden

Zolllbeamte dürfen bei Schwarzarbeitskontrollen angetroffene Personen nicht auf Waffen durchsuchen, auch nicht zur Eigensicherung. Diese Anweisung aus dem Finanzministerium sorgt für Unmut bei den Beamten, berichtet Spiegel online. Vielmehr müssten die Kontrolleure halt die Polizei holen, wenn es Ärger gibt.

Wer schon mal erlebt hat, wie martialisch und aufgeblasen solche Aktionen mitunter ablaufen, kann diese Anweisung nur begrüßen. Beispiel: Ich war zu einer Razzia in einem kreuzbiederen, wenn auch italienischen Familienbetrieb gerufen worden. Von der Schwiegertochter aus dem Trockenboden; die anderen durften – rechtswidrig – nicht telefonieren. Mein Glück, dass der Einsatzleiter wohl den größten Adrenalinstoß hinter sich hatte; nach einiger Schreierei musste ich mich nicht zu meinem Mandanten und seinen Angestellten auf den Fußboden legen. Nach langen Monaten, in denen stolze zwei Kartons Firmenpapiere gesichtet wurden, die man auch ganz zivil beim Steuerberater hätte abholen können, stellte sich nur eins heraus: In dem Unternehmen gab es keinen einzigen Schwarzarbeiter.

Wenn man jetzt den Menschen an ihrem Arbeitsplatz künftig nicht mehr an die Wäsche darf und aberwitzige GSG-9-Spiele verboten sind, macht der Außendienst wahrscheinlich deutlich weniger Spaß. Mein Mitleid hält sich nach den bisherigen Erfahrungen allerdings in Grenzen.

Links 31

Eine Zusammenstellung interessanter Links. Jeweils mit Dank an die Einsender:

Tchibo uniformiert das Land;

Libanon liefert Terrorverdächtige nicht aus;

Die fetten Ratten leben am Standesamt;

Pascal-Prozess: Wichtigstes Geständnis widerrufen;

Pilot sperrt sich aus dem Cockpit aus;

Anwaltskanzlei darf nicht mit Pauschalpreisen werben (Andreas Klein);

Jurastudenten: Fürs Warten auch noch zahlen;

Gesundheitsfonds lässt Beiträge steigen.

Nachwuchssadist

Manche Kollegen kann ich nicht leiden. Sie mich wahrscheinlich auch nicht. Einer geht mir zum Beispiel auf den Geist, weil er überheblich ist und auch vor fiesen Tricks nicht zurückschreckt. Insbesondere kommt bei ihm grundsätzlich keine Post an, sofern sie für seinen Mandanten nachteilig ist.

Aber wenn ich bei ihm anrufe, gönne ich mir meine kleine Rache. Er geht nämlich immer persönlich ran. Ich nehme an, weil er keine Mitarbeiter hat. Wahrscheinlich kennt er inzwischen meine Rufnummer. Er meldet sich jedenfalls stets mit einem gepressten „Winkowski“ (Symbolname).

Guten, Rechtsanwalt Vetter, kann ich bitte den Kollegen Winkowski sprechen?

„Am Apparat.“

Wieso sind Sie denn direkt in der Leitung? Ist das Ihre Durchwahl auf dem Briefbogen?

Oder:

Oh, Sie Armer, ist Ihr Sekretariat schon wieder nicht besetzt?

Beziehungsweise:

Wer geht eigentlich an Ihr Telefon, wenn Sie Gerichtstermine haben?

Er schnaubt immer nur: „Um was geht’s?“ Trotzdem ist es immer wieder ein Vergnügen.

Noch in der Pipeline:

– Ach, Sie tun mir leid, schon wieder Telefondienst? War da neulich nicht Ihre Mutter am Apparat?

– Lohnt sich das, alles selbst zu machen? Putzen Sie auch?

– Guten Tag, Herr Am, verbinden Sie mich doch mal mit dem Kollegen Winkowski.

Ehrbar

Mit dem Rechtsvertreter eines sehr großen Konzerns telefoniert. Seine Mandantin ist zwar der Meinung, eine bestimmte Forderung sei verjährt. Trotzdem wolle man sich nicht darauf berufen, da man mit dem Betreffenden immer gut zusammengearbeitet habe. Man sei also bereit, zu zahlen.

Der ehrbare Kaufmann scheint noch nicht ganz ausgestorben zu sein.

Gabriel gibt keine Ruhe

Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ist der Meinung, die von Marcel Bartels abgegebene Unterlassungserklärung sei unzureichend. Deshalb lässt er Marcel über seine Anwälte auffordern, eine auflösende Bedingung aus der Erklärung zu nehmen. Ich weiß nicht, was den Minister da motiviert: Über die Formulierung kann man streiten, sie ist eigentlich überflüssig, aber im Zweifel scheitert die Wirksamkeit der Erklärung daran eher nicht. Das Thema wurde hier in den Kommentaren schon diskutiert.

Letztlich zeigt das Nachkarten, was für entspannte, lockere Typen in unserem Land das Sagen haben. Ich rate Herrn Gabriel dringend, sich Linderung zu verschaffen, indem er Marcel Bartels in Grund und Boden verklagt. Es bestehen dann beste Aussichten auf weitere Heiterkeit, aber auch gute Chancen, dass wir ein interessantes Urteil zu der Frage erhalten, wie weit die Meinungs-, Satire- und ggf. Kunstfreiheit in unserem Land tatsächlich noch reichen.

Ob das Urteil dem Minister dann gefallen wird, ist eine andere Frage.