Bericht über den Auftritt eines Staranwalts.
Archiv für den Monat: Februar 2006
TEURE FREIHEIT
107,20 € berechnete das Auswärtige Amt für die Übersendung eines vierseitigen Erlasses. Es handelte sich um eine Anfrage, die auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützt war. Wie heise online berichtet, war man im Auswärtigen Amt wohl nachträglich nicht mehr so glücklich über die Höhe der Rechnung. Auf den Widerspruch hin wurde sie auf 15,40 € reduziert.
SÜNDENBABEL
Sündenbabel Friseursalon. Ohne Verdi hätten wir es nie gewusst.
(Danke an den Kollegen Ingo Scheide für den Link)
BEISPIELLOS
Kann es sein, dass BMW (plötzlich) Defizite im PR-Bereich hat? Nach dem Google-Gau flattert zumindest mir jetzt dieser Brief auf den Schreibtisch. Tut mir Leid, aber an pathetischem Geschwurbel besteht echt kein Bedarf. Das empfinde ich als Zeitdiebstahl.
Und falls jemand fragt, welches nette Werbegeschenk denn beilag – keines.
GROSSE EHRE
„Um der Angelegenheit keine allzu große Ehre angedeihen zu lassen, schlagen wir vor, dass sich die Parteien den Schaden teilen.“
Höre ich da einen leisen Widerwillen, Herr Kollege? Der Streitwert beträgt doch immerhin 296,78 €.
NÄCHTLICHE AUFRECHNUNG
Ein Apotheker, den ich schon lange vertrete, hatte Notdienst. Um vier Uhr morgens wurde er rausgeklingelt. Der junge Mann vor dem Schalter kaufte Kopfschmerztabletten. Während mein Mandant den 50-Euro-Schein wechselte, fiel ihm ein, woher er den Kunden kennt. Der hatte sich vor drei Jahren Medikamente liefern lassen. Und nicht bezahlt.
Der Vollstreckungsbescheid liegt bei uns im Aktenschrank. Der Mann hat die Finger gehoben. Er ist unpfändbar eingerichtet. Mein Mandant wollte sich aber die Gelegenheit doch nicht entgehen lassen. Er schlug dem Kunden vor, das Wechselgeld als Teilzahlung zu verrechnen.
Damit war der Mann gar nicht einverstanden. Nachdem er einen ziemlichen Aufstand veranstaltet hatte, kriegte er sein Wechselgeld. Bleibt nur die Frage, ob der Apotheker auch im Rahmen des Nachtdienstes zur Aufrechnung berechtigt war. Kopfschmerztabletten deuten ja nicht unbedingt auf einen „Notfall“ hin.
Mein Mandant will es aber nicht genau überprüft haben. Er hält es für unwahrscheinlich, dass der Kunde noch mal auftaucht. Jedenfalls nicht mit einem relativ großen Schein.
JEDER PUNKT EINE MAIL
Nach einem Gespräch mit einem Mandanten, der hier in der Kanzlei auch von anderen betreut wird, sollte ich den Kollegen einige Dinge ausrichten und eine Sachstandsanfrage übermitteln. Zuerst habe ich die Punkte in eine Mail geschrieben. Dann habe ich drei Mails mit aussagekräftigen Betreffzeilen draus gemacht. Sieht zwar seltsam aus, käme aber zumindest mir entgegen, weil sich die Sachen besser abarbeiten lassen.
BESETZT KLINGT JETZT ANDERS
„Die gewählte Rufnummer ist besetzt. Wenn Sie eine Rückrufbitte per SMS senden wollen, drücken Sie bitte die 1. Wenn nicht, legen Sie einfach auf.“
Und das bei einem ganz normalen Festnetzanschluss. Demnächst auch mit vorgeschalteter Werbung?
ERBOST
heute.de berichtet über den Klägeranwalt im Verfahren Trons Eltern gegen Wikipedia:
Kurz hatte unmittelbar vor der Verkündung durch das Gericht den Saal erbost verlassen, nachdem ihm der Richter seine Entscheidung mitgeteilt hatte.
Nun ja.
Außerdem soll der Anwalt gesagt haben, das Urteil sei „willkürlich und greifbar gesetzeswidrig.“ Ich habe bislang schon mit einigen Juristen über die Sache gesprochen. Seltsamerweise hat keiner mit einem anderen Ausgang gerechnet.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird sich übrigens nicht sonderlich über eine Eingabe freuen. Jedenfalls nicht zum jetzigen Zeitpunkt:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann allerdings erst angerufen werden, wenn der innerstaatliche Instanzenzug durchlaufen ist und keine Rechtsbehelfe mehr verbleiben. Dabei gilt eine Frist von sechs Monaten nach dem endgültigen innerstaatlichen Urteil.
Kann man übrigens ganz einfach nachlesen – in der Wikipedia.
KEIN GESCHENK
Aus dem Polizeibericht:
Am 08.02.2006 um 18.15 Uhr beobachtete ein Detektiv in einem Kaufhaus an der Bahnhofstraße einen 27-jährigen Mann aus Bremen beim Diebstahl. Der Tatverdächtige hatte 25 Mascara-Stifte im Wert von 260 Euro in seine Jackentasche gesteckt. Er wollte das Kaufhaus ohne zu zahlen verlassen. Als der Detektiv ihn ansprach, kam es zu einer kurzen Rangelei. Anschließend übergab er den Tatverdächtigen der Polizei. Die Beamten nahmen ihn fest und brachten ihn ins Polizeigewahrsam. Heute hat er in seiner Vernehmung die Tat gestanden. Auf Antrag der StA Essen führte das AG Gelsenkirchen heute ein beschleunigtes Verfahren durch. Der zuständige Richter verurteilte den 27-Jährigen zu 8 Monaten Haft ohne Bewährung. Das Urteil ist rechtskräftig. Anschließend kam der Tatverdächtige in die Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen.
Nach § 418 Abs. 4 Strafprozessordnung muss dem Beschuldigten im beschleunigten Verfahren ein Verteidiger beigeordnet werden, wenn eine Freiheitsstrafe von über sechs Monaten zu erwarten ist. Stellt sich erst in der Verhandlung raus, dass so eine hohe Freiheitsstrafe verhängt werden könnte, muss der Verteidiger nachträglich bestellt werden. Die bisherigen Teile der Verhandlung sind in seiner Anwesenheit nachzuholen (Meyer-Goßner, StPO, § 418 Rdnr. 12).
Wenn ich den Polizeibericht lese, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass an der Verhandlung ein Verteidiger mitgewirkt hat. Jedenfalls keiner, der nüchtern war. Vor allem kann ich mir nicht erklären, wieso das Urteil rechtskräftig geworden ist. Acht Monate ohne Bewährung sind bei dem Tatvorwurf ja nicht gerade ein Geschenk.
DIE KEULE
Jetzt noch eine Haftprüfung. Zentrales Thema dürfte die Frage sein, ob man bei einem Heranwachsenden etwas sensibler mit dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr umgehen muss als bei einem Erwachsenen.
Jedenfalls scheint es mir gewagt, angesichts eines vor zwei Jahren begangenen Raubes und einer, im einzelnen noch nicht geklärten, Wiederholung vor wenigen Wochen gleich die Keule rauszuholen. Präventiv wegsperren, das ist schon ein extremes Vorgehen. Insbesondere im Jugendstrafrecht, wo der Erziehungsgedanke dominieren soll.
Zum Glück hat die Wiederholungsgefahr ein anderer Haftrichter angenommen. Da jetzt das Wohnsitzgericht des Heranwachsenden zuständig ist, besteht zumindest eine gewisse Hoffnung, dass sich mit guten Argumenten was erreichen lässt. Zum Beispiel könnte der Haftbefehl auf „Fluchtgefahr“ umgeschrieben und dann außer Vollzug gesetzt werden.
WIKIPEDIA SETZT SICH DURCH
Im Streit zwischen den Eltern des Hackers Tron und dem deutschen Wikipedia-Verein hat sich Wikipedia zunächst durchgesetzt. Das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg hob die einstweilige Verfügung auf, berichtet heise online.
SÜSSE TRÄUME
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat sich etwas Besonderes ausgedacht: Sitzungsprotokolle von Strafgerichten sollen auch nachträglich noch geändert werden, selbst wenn damit der begründeten Revision des Angeklagten die Grundlage entzogen wird.
Ein Angeklagter hatte gerügt, dass der Anklagesatz in der Hauptverhandlung nicht verlesen wurde. Ein entsprechender Vermerk fand sich nämlich nicht im Sitzungsprotokoll. Sowohl der Richter als auch der Vertreter der Anklage erinnerten sich aber daran, dass der Anklagesatz verlesen wurde. Deshalb berichtigte der Richter das Protokoll.
Nach derzeit gültiger Rechtsprechung ändert diese Protokollberichtigung aber nichts daran, dass die Revision des Angeklagten Erfolg hätte. Denn es gilt bislang der Grundsatz, dass Protokollberichtigungen spätestens dann nicht mehr zulässig sind, wenn sie einen vom Angeklagten aufgedeckten Verfahrensfehler nachträglich „heilen“.
Diese Rechtsprechung möchte der 1. Strafsenat jetzt kippen.
GO SEAHAWKS
Wir schalten um in die USA. TheDenverChannel.com:
TACOMA, Wash. — A judge overseeing a manslaughter case embarrassed prosecutors and upset the victim’s family when she called for a Super Bowl cheer for the Seattle Seahawks before the start of the sentencing hearing.
Angeblich wollte die Richterin die Atmosphäre im Gerichtssaal nur etwas auflockern – bevor sie den Angeklagten für 13,5 Jahre ins Gefängnis schickte.
(Danke an Mathias Schindler für den Link)
GVU: WIR DÜRFEN DAS
Die GVU nimmt gegenüber der Süddeutschen Zeitung Stellung zum Vorwurf, „Raub“kopien zur Verfügung gestellt bzw. Mittelsmänner hierfür bezahlt und die Infrastruktur (z.B. Server) finanziert zu haben. Ich habe den Artikel zweimal gelesen und finde kein nachvollziehbares Dementi. Im Gegenteil, die Aktionen werden als notwendig dargestellt. Außerdem habe es Absprachen mit den Staatsanwaltschaften gegeben.
Interessant ist auch dieses Zitat des GVU-Geschäftsführers:
Sicher, staatliche Behörden dürften so nicht agieren. Insofern habe man die Nicht-Staatlichkeit der GVU für diese besondere Form der Ermittlungen genutzt. Doch lediglich in der Funktion eines „Katalysators“.
Aha, die GVU darf also mehr als staatliche Behörden. Wenn sich das mal nicht als riesengroßer Irrtum erweist.
Auch zum Thema bei heise online: Französisches Gericht erlaubt Privatkopien aus Tauschbörsen