Von Eberhard Ph. Liliensiek (pbd)
Der Tatort ist – ob in Kleve, Duisburg oder Oberhausen – immer der Gerichtssaal. Zu den Tätern gehören Richter, Staatsanwälte und Verteidiger. Zuschauer sind mitunter gar die Zeugen dafür, wie solch ein Trio um das Strafmaß für den Angeklagten kungelt. Dieser Juristen-Deal war vor 20 Jahren noch anrüchig bis verpönt. Heute ist er, wie Chef-Ankläger Hans-Reinhard Henke in Düsseldorf sagt, „unser täglich Brot“ und vom Bundesgerichtshof (BGH) abgesegnet.
Fast alle profitieren davon. Straftäter erreichen milde Urteile, Verteidiger sparen Zeit nebst Mühe und: Die Justiz, eh zunehmend durch Personalnot und Geldmangel gebeutelt, sie macht erleichtert mit. Die Absprachen, wie sie korrekt heißen, werden derzeit meistens nur in den dicken und schwierigen Verfahren getroffen. Das um den Flughafen-Brand in Düsseldorf war so eins. Nach dem Tod von 17 mussten sich elf Angeklagte verantworten. Alle mit Verteidigern. Es wurde zäh verhandelt, zwei Staatsanwälte waren gebunden – und nach einer Absprache schließlich mit der Einstellung einverstanden.
Die Strafe darf nur nicht „unangemessen niedrig“ sein, hat der BGH festgehalten und andere Hürden geschaffen. Das Gericht darf seine Aufklärungspflicht nicht vernachlässigen, also sich nicht nur mit einem Geständnis begnügen. Obwohl gerade das oft zur Absprache gehört. Ein Angeklagter, der minderwertige Diamanten als sichere Geldanlage verkaufte, bekannte sich nach drei Sitzungstagen. Er schrammte an möglichen fünf Jahren Haft vorbei, bekam drei Jahre und drei Monate. Und akzeptierte das Urteil, obwohl eine Berufung möglich gewesen wäre.
Denn eine andere BGH-Bedingung schließt den Verzicht auf Rechtsmittel ausdrücklich aus. Wenn auch das Versprechen einer bestimmten Strafe nicht erlaubt ist – die meisten Richter halten sich an das Abkommen. Das ist rundum die Erfahrung der Staatsanwaltschaften. Die sind vor ihrem Handel selbstverständlich um einen Vorteil bemüht und klagen erstmal an.
Hat ein Gericht erstmal die Anklage zugelassen, müssen Verteidiger kämpfen. Einem Mandanten von Rechtsanwalt Udo Vetter wurde ein Delikt vorgeworfen, obwohl die Beweise äußerst dürftig waren: „Es half nichts!“ Sein Mandant musste die Kröte schlucken und nach der Absprache eine Geldstrafe zahlen. Der Ankläger rückte dafür mit seiner Forderung nach einer achtmonatigen Haftstrafe ab.
In einem anderen Fall ging es die Einfuhr von etwa sieben Tonnen Haschisch und die theoretische Höchststrafe von 15 Jahren Haft. Einerseits hätte der Staatsanwaltschaft dem Angeklagten „jede einzelne Lieferung“ nachweisen müssen (und vielleicht nicht immer können). Andererseits stand der vor der Frage: Stelle ich mich einer zweieinhalbjährigen Hauptverhandlung und kassiere 13 Jahre? Er nahm die angebotenen elf an. Die Beteiligten nennen so was „eine Annäherung der Standpunkte“. Ohne die wäre die Strafjustiz nicht mehr funktionsfähig.
In einem internen Brief an alle Mitarbeiter im Lande hat Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) kürzlich eingeräumt, dass Gerichte, Staatsanwaltschaften und der Justizvollzug „hoch belastet“ sind. Zudem werde es, bedingt durch die Sparpolitik der CDU/FDP-Landesregierung, zu „teilweise sehr harten Einschnitten“ kommen.
Vor gerade drei Tagen hat die Ministerin noch einmal gegen die Sparpolitik um Hilfe gerufen: „Aus einer geordneten Rechtsprechung darf keine Justiz nach Kassenlage werden“, mahnte die Christdemokratin. In Richtung des Finanzministers sagte sie: „Die besten Gesetze nützen nichts, wenn die Justizbehörden derart überlastet sind, dass sie die Verfahren nicht mehr oder nicht mehr in angemessener Zeit bearbeiten können!“ In genau dieser Situation nehme das Staatswesen „insgesamt Schaden“. Denn der Schutz und die Sicherheit der Bürger dürfe nicht zur „Disposition des Haushaltsgesetzgebers stehen“.
Müller-Piepenkötter befürchtet, die Justiz werde „kaputtgespart“. Sven Gnisa, der Landes-Vorsitzende des Deutschen Richterbundes kritisiert: „Bei den Richtern und Staatsanwälten sollen 383 Stellen gestrichen werden. Das können wir nicht verkraften.“ Die CDU habe vor der Wahl versprochen, die Stellen zu erhalten. Das Justizministerium nannte auf Auftrage eine aktuelle Zahl: 342 Richter- und Staatsanwaltschaftsstellen werden künftig wegfallen.
Straftäter können demnach hoffen: Die Absprache um geringe Strafen hat Hochkonjunktur. Tatort: Gerichtsaal. Abgebrühte Juristen nennen ihn schon einen Basar.