Es tut immer mal wieder gut, eine Nebenklage zu vertreten. Plötzlich sitzt du neben dem Staatsanwalt. Dein Interesse ist, dass die Angeklagten bestraft werden und dein Mandant, das Opfer, zu einem vernünftigen Schmerzensgeld kommt. Sonst sind die Prozesse in deinem Hirn, verkürzt gesagt, auf das gegenteilige Ergebnis programmiert.
Normalerweise sitzt du dort drüben, auf der anderen Seite des Raums. Dort versuchen jetzt die Angeklagten mit Hilfe der Verteidiger, ihre Haut zu retten. Einer der Anwälte bemüht sich, deinen Mandanten zu verunsichern. Die Wiederholung von Fragen (in der Hoffnung, dass die Antworten mit der Zeit aufweichen) weckt in dir den Beschützerinstinkt. Unerhört, so eine Fragetechnik. Die Richterin sieht es genauso, glücklicherweise.
Dann der Versuch der Diskreditierung. „Sind Sie wegen Körperverletzung vorbestraft?“ Aus deiner Warte an sich Anlass, HB-Männchen zu spielen. Glücklicherweise kann der Mandant auf die Frage aber guten Gewissens mit „Nein“ antworten. Richterin und Staatsanwalt machen entschlossen Notizen. Ein schönes Eigentor.
Abschweifen, der Notanker. Was hat sich lange nach der Tat auf einem Schulhof abgespielt? Gab es später noch Gespräche zwischen den Beteiligten? Allerdings ist die Luft schon lange raus, als du dir die Frage erlaubst, ob man tatsächlich beabsichtigt, 25 Lebensjahre des Opfers in Echzeit durchzugehen.
Dann ist der Spuk zu Ende. Die Resignation kommt überraschend. Schon keine Fragen mehr? War’s das für heute? Ehrlich? Na ja, so viel Pseudo-„Bissigkeit“ macht den Job für die Anklageseite eigentlich recht komfortabel.
Du drückst dem Staatsanwalt die Hand und hoffst inständig, dass er über dich nicht häufiger das denkt, was du über die Performance deiner Kollegen denkst. Der Händedruck ist eigentlich offen und freundlich. Fragt sich nur, wie man das jetzt interpretieren darf.