Die Richterin wirkte schon überzeugt. „So, wir können das Verfahren also einstellen. Die Staatsanwaltschaft stellt den Antrag?“ Wäre schön gewesen. Aber leider hatte der Herr Staatsanwalt einen Referendar dabei. Hinten im Saal saßen Gerichtspraktikanten. Und manchmal möchte man nicht nur wichtig erscheinen. Sondern auch cool. Statt des Antrages kam jedenfalls nicht mehr als ein lässiges Kopfschütteln und ein saloppes: „Nein.“
Dabei war die Sache eigentlich nicht kompliziert. Mein jugendlicher Mandant verbüßt seit Mitte letzten Jahres seine erste Freiheitsstrafe. 26 Monate hatten sich angesammelt, durch eine Latte von Verurteilungen wegen Raub, Diebstahl, Körperverletzung. Halt das ganze Programm, wie man es aus unterprivilegierten Zonen des Düsseldorfer Südens kennt.
Wenige Tage bevor er – freiwillig – ins Gefängnis eingezogen ist, hat mein Mandant in einer Tankstelle eine Stange Zigaretten mitgehen lassen. Nach dem Gesetz eine geringwertige Sache. Seitdem er in Haft ist, hat sich der Junge tadellos geführt. Er macht den Hauptschulabschluss und kriegt allseits Lob, insbesondere von seinem Sozialarbeiter.
Erstmals zeigt ihm also der Staat die Krallen. Und langt gleich richtig zu. Vor dem Widerruf der Bewährung gab es nur den Hätschelmodus. Gerichtstermine mit Ermahnungen. Bewährungsbeschlüsse. Arbeitsstunden, deren Ableistung niemand richtig kontrolliert. Aber jetzt, seit knapp 7 Monaten, sitzt er gleich im Knast.
Und es wirkt.
Da hätte es nahe gelegen, ihm wegen eine Stange Zigaretten nicht noch mehr aufs Auge zu drücken. Immerhin reicht die Haftzeit locker aus, dass er sogar seinen Schulabschluss nachholen kann. § 154 Strafprozessordnung gibt hierfür eine wunderbare Möglichkeit. Fällt die Tat im Vergleich zu anderen Verurteilungen nicht ins Gewicht, kann das Gericht die Verfolgung einstellen. Das wird jeden Tag tausendfach praktiziert. Es gibt hunderte Anlässe, in denen es passiert und trotzdem weit fragwürdiger ist als in diesem Fall. Seltsamerweise gab es im Dezember noch ein anderes, ähnlich gelagertes Verfahren. Die Staatsanwältin dort hat der Einstellung zugestimmt.
Aber der Staatsanwalt will halt nicht. Für eine Stange Zigaretten fordert er zwei Monate Knast. Wenn man die Gerichtspraxis kennt, ist das nicht nur happig, sondern brutal. Da dem Gericht die Hände gebunden sind, weil der Staatsanwalt den Antrag nicht stellt, muss ein Urteil gesprochen werden.
Ein Monat. Das gesetzliche Mindestmaß. Wir stimmen dem zu, weil damit die letzte Akte geschlossen wird. Mein Mandant erhält damit die Chance auf offenen Vollzug und das ist wichtiger als die statistisch begründete Erwartung, dass in der Berufungsverhandlung in einigen Monaten ein besonnerer Anklagevertreter Platz nimmt.
Habe ich schon erwähnt, dass der betreffende Staatsanwalt Verteidiger nicht grüßt, wenn er mit seiner Entourage den Saal betritt?