Manche Zeugen haben echt Talent. Sie zermürben Richter und Staatsanwälte. Indem sie Ladungen beharrlich ignorieren. Zwangsgelder schrecken nicht. Ist sowieso häufig nichts zu holen. Und die Androhnung von Gefängnis für den Fall, dass das Zwangsgeld nicht eingetrieben werden kann, ist meist eine leere Drohung. Kümmert sich ja doch keiner um die Vollstreckung. Und, by the way, sind die Haftanstalten nicht ohnehin überfüllt?
Aus der schlechten Zeugenmoral kann man als Verteidiger Kapital schlagen. Gestern zum Beispiel war die entscheidende Augenzeugin nicht gekommen. Zum zweiten Mal. Es hätte zwar nahe gelegen, einfach wieder einzupacken – bis zum nächsten Termin. Aber warum nicht mal den Vorschlag machen, dass der Angeklagte seine Sicht der Dinge darstellt? Dass er definitiv nicht in der Tankstelle mit einer fremden Kreditkarte gezahlt hat. Und dass die Fotos der Überwachungskamera bullshit sind, weil die Uhren von Kasse und Überwachungssystem gar nicht synchron laufen.
Es war deutlich zu sehen, dass weder Richterin noch Staatsanwältin auch nur ein Wort von dem glaubten, was mein Mandant erzählte. Nach 20 Minuten Aussage allerdings war klar, dass die Zeugin ganz schön in die Mangel genommen werden würde, wenn sie denn mal zum Gericht kommt.
Lag es da nicht nahe, auch über andere Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung nachzudenken? Zum Beispiel eine Einstellung wegen geringer Schuld, bei der die Staatskasse sogar die Gerichtskosten übernimmt? Der Vorschlag kommt dann wie erhofft, wenn auch „schweren Herzens und mit großen Bauchschmerzen“.
Wir nehmen natürlich an. Und bedanken uns hiermit recht herzlich bei der Zeugin. Unbekannterweise, zum Glück.