SCHNELLGERICHT

Bußgeldstellen machen in letzter Zeit immer häufiger kurzen Prozess. Bei Verkehrsverstößen (insbesondere Radarmessungen) wird überhaupt nicht mehr ermittelt, wer wirklich der Fahrer gewesen ist. Stattdessen kriegt einfach der Halter einen Anhörungsbogen. Wenn er von seinem Recht Gebrauch macht, nichts zu sagen, kommt dann der Bußgeldbescheid.

Das ist klar rechtswidrig. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1993 nämlich entschieden, dass aus der Halter- nicht einfach auf die Fahrereigenschaft geschlossen werden darf:

Auch bei privat genutzten Fahrzeugen ist die Möglichkeit, daß sie von Familienangehörigen, Angestellten, Freunden oder Bekannten des Halters geführt wurden, im allgemeinen zu naheliegend, als daß das Gericht sie ohne weiteres außer acht lassen könnte, ohne seine aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) herzuleitende Aufgabe zu verletzen, alle Beweise erschöpfend zu würdigen (2 BvR 843/93).

Wer das weiß, kann sich die Faulheit der Ordnungsämter zu Nutze machen. Nach drei Monaten ist die Sache gegen den wahren Sünder verjährt. Und der Bußgeldbescheid gegen den Halter muss – sofern Einspruch eingelegt wurde – aufgehoben werden. Die gesamten Kosten trägt die Bußgeldbehörde.

PORTOKASSE

Schwitzen statt Sitzen sollen Straftäter künftig nach dem Willen der Bundesregierung. Der jetzt verabschiedete Gesetzentwurf soll „kreative Strafen“ erlauben, insbesondere die gemeinnützige Arbeit. Bisher gibt es bei Erwachsenen nur Geld- und Freiheitsstrafen. Das Problem bei den Geldstrafen ist, dass diese viele Straftäter einfach nicht bezahlen können – und beim Abbrummen der Ersatzfreiheitsstrafe (1 Tagessatz = 1 Tag Gefängnis) die Haftanstalten verstopfen.

Auch interessant: Das Fahrverbot wird zur Hauptstrafe aufgewertet. Das trifft dann vor allem Leute, die eine Geldstrafe aus der Portokasse zahlen würden.

(beck-aktuell)

DINO

Vergleichsverhandlungen. Kein einfacher Fall. Aber auch nichts, was unmöglich wäre. Einer der Teilnehmer reist aus Kanada an. Ein weiterer aus Norwegen. Dazu kommen noch Anwälte und weitere Teilnehmer aus der Region.

Die Gespräche nehmen einen vielversprechenden Anfang, auch wenn man uns erst einmal eine halbe Stunde warten lässt. Ein wesentlicher Teilbereich der Problematik kann sogar gelöst werden. Es sieht gut aus.

Dann wenden wir uns der 2. Hälfte zu. Kaum hat einer der Teilnehmer seine Vorstellungen genannt, erklärt unser Verhandlungspartner: „Das war es. Das Gespräch ist hiermit beendet. Ich wünsche noch einen schönen Tag.“ Keine Begründung. Kein weiterer Kommentar. Nichts als – ein Rausschmiss.

Auf dem Weg zum Flughafen meinte mein Mandant: „This guy has the negotiating skills of a dinosaur.“

Dem ist nichts hinzuzufügen.

2. KLASSE

2. KLASSE

Kinder sind nicht gleich Kinder. Zumindest nicht bei sexuellem Missbrauch. So äußert sich das Oberlandesgericht München über die strafbaren Taten eines 64-jährigen wie folgt:

Vielmehr waren die Kinder aufgrund bestehender Verwahrlosungstendenzen infolge fehlender erzieherischer Wirkung ihrer Eltern erkennbar selbst an den vorgenommenen sexuellen Handlungen interessiert. Dies hat der Angeklagte lediglich ausgenutzt, ohne hierbei irgendwelchen körperlichen oder psychischen Druck auszuüben.

Der Satz als solcher steckt voller Ungeheuerlichkeiten. Für das Gesetz macht es zunächst einmal überhaupt keinen Unterschied, ob Kinder an sexuellen Handlungen „interessiert“ sind, sofern ein solches Interesse überhaupt auf freier Willensbildung beruhen kann – was ich bezweifle. Sexueller Missbrauch von Kindern ist strafbar, egal, ob das Kind „einwilligt“ oder sogar eine aktive Rolle spielt.

Dass Kindern aus sozialen Brennpunkten zu Menschen zweiter Klasse abgestempelt werden, scheint das Oberlandesgericht München auch nicht zu sehen. Glücklicherweise gibt es auch in der Münchner Justiz heftige Kritik an der Entscheidung.

Einzelheiten in der Süddeutschen Zeitung und bei Telepolis sowie bei Vertretbar.de.

GEKNIFFEN

Wann liegt ein schwerer Betrug vor? Bei der Frage nach dem erforderlichen Vermögensschaden geisterten immer verschiedenste Zahlen durch die Gerichtssäle der Republik. Mal waren schon 10.000 Euro ein „Vermögensverlust großen Ausmaßes“, dann wieder reichten 100.000 Euro doch noch nicht.

Die Grenze liegt bei 50.000 Euro, hat der Bundesgerichtshof jetzt entschieden.

Das ist wieder eines der Urteile, bei deren Lektüre sich etliche Straftäter in den Hintern beißen, weil ihre Verurteilung vor dieser Entscheidung rechtskräftig geworden ist. Nachträglich ändert sich nämlich nichts.

Ich habe noch ein paar Sachen im Aktenschrank, bei denen diese Klarstellung sehr hilfreich sein wird…

(Quelle: beck-aktuell)

GRENZEN

Spiegel online:

Es mehren sich die Polizeieinsätze gegen streikende Studenten. In Göttingen trugen Beamte Dutzende Streikposten aus Unigebäuden. In Berlin müssen Kriminalisten nach dem Täter fahnden, der den Weihnachtsbaum vor dem Roten Rathaus kürzte. Und in Leipzig sollen Studenten mit gefälschten Dokumenten die Stimmung angeheizt haben.

Die Lust an der Revolte sollte einem nicht den Blick für mögliche Konsequenzen verstellen. Ansonsten erspare ich mir den erhobenen Zeigefinger.

DIE SEGNUNGEN DER EU

Das Landessozialgericht Essen beglückt unsere Nachbarn:

Eine in ihrem Heimatland beschäftigte und mit ihrer Familie dort wohnende Niederländerin kann einen Anspruch auf deutsches Erziehungsgeld haben, wenn ihr Ehemann in Deutschland Arbeitnehmer ist.

Die Begründung versteht man nicht.

Die Welt auch nicht.

HAUSBESUCHE

Rechtsanwälte müssen ihr Honorar am Wohnort bzw. Sitz ihres Kunden einklagen. Damit hat der Bundesgerichtshof laut beck-aktuell jetzt mit einem letzten Anwaltsprivileg gebrochen. Nach der bisher „herrschenden Meinung“ wurden die Dienste des Anwaltes stets am Kanzleisitz erbracht. In Zeiten von Mobilfunk, Laptop und Internet wohl kaum noch haltbar…

Überdies habe ich gehört, dass sich der eine oder andere Anwalt mittlerweile sogar zu Hausbesuchen erniedrigt.

VOLKES STIMME

In Sachen Tom & Sonja begründet der Vorsitzende Richter sein Urteil laut Spiegel online wie folgt:

Ich gehe davon aus, dass das, was sie in den folgenden Jahren erwartet, schlimmer sein wird als der Tod. Sie werden im Gefängnis als Kindermörder und Kinderschänder auf der untersten Stufe stehen und werden sich für lange Zeit im Gefängnis gefahrlos nicht bewegen können.

Dazu fällt mir spontan § 111 Strafgesetzbuch ein:

Wer öffentlich … zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter … bestraft. … Bleibt die Anstiftung ohne Erfolg, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. …

Die Verteidiger werden es bedauert haben, dass es für einen Befangenheitsantrag eine klare zeitliche Grenze gibt. Der Antrag kann nur gestellt werden, bis der Angeklagte sein letztes Wort gesprochen hat (§ 25 Abs. 2 S. 2 Strafprozessordnung).

UNVERLANGT (UND OHNE RÜCKPORTO)

UNVERLANGT (UND OHNE RÜCKPORTO)

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Schreiben vom 09.10.03 habe ich mich bei Ihnen als Rechtsanwalt beworben. Bitte teilen Sie mir mit, ob Sie Interesse an meiner Mitarbeit haben.

Mit freundlichem Gruß
T., Rechtsanwalt

Sehr geehrter Kollege T.,

auch keine Antwort ist manchmal eine Antwort.

Mit freundlichen kollegialen Grüßen
Vetter, RA und Fachanwalt für Strafrecht

BLUFF

Aus dem Wohnungsmietvertrag einer großen Düsseldorfer Firma:

Bei Abschluss des Mietvertrages zahlt der Mieter eine Kaution in Höhe von 2 Kaltmieten. Sie ist unverzinslich.

Dazu § 551 Bürgerliches Gesetzbuch:

(1) Der Vermieter hat eine ihm als Sicherheit überlassene Geldsumme bei einem Kreditinstitut zu dem für Spareinlagen … üblichen Zinssatz anzulegen. Die Vertragsparteien können eine andere Anlageform vereinbaren. …

(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.

Aber wie mir mein Mandant erzählt, behauptet die Firma gegenüber allen ausziehenden Mietern: „Wir haben noch nie eine Kaution verzinst. Sie können uns ruhig verklagen. Wir haben bisher jeden Prozess gewonnen.“

Gut geblufft. Aber offenbar scheut ein großer Prozentsatz der Mieter den Streit, so dass sich diese dreiste Behauptung wahrscheinlich am Ende sogar lohnt…

HH MACHT SCHLAU

Wer sich die Notenverteilung im Zweiten Juristischen Staatsexamen ansieht, entdeckt wundersame Zahlen: In Hamburg schaffen 39 % der Absolventen ein Prädikat, in Sachsen-Anhalt nur 4,4 %. Auch in Bayern gelingt nur 12,35 % die Note vollbefriedigend oder besser.

Der Kollege Alexander Hartmann spricht leicht resigniert von „Segnungen des Föderalismus“. Ich glaube, er hat noch Prüfungen vor sich – ausgerechnet im ebenfalls nicht laschen Berlin (13,15 %).