Von EBERHARD PH. LILIENSIEK
Diese Pokale da geben zu denken. Sie stehen am falschen Platz. Sie sind ein Indiz für das einstige Klima hier. Bedienstete der Justizvollzugsanstalt Siegburg (JVA) haben sie durch ihre sportlichen Leistungen gewonnen. Aber der ehemalige Leiter hat sie wie seine Trophäen behandelt, er hat sie gesammelt und sein Zimmer damit geschmückt. Zwei Blöcke weiter, in der Zelle A 104, wurde vor vier Monaten der 20-jährige Häftling Hermann H. von zwei Mitgefangenen grausam getötet.
„Das Haus war schon vorher voller Angst!“, sagt der unverdächtige Zeuge Albert Thüssing. Er ist der langjährige Vorsitzende des Gefangenenbeirats und berichtet von einem früheren „Horror-Szenario“. In der Anstaltsleitung habe ein „Sadist“ gewirkt. Horst Becker, Landtagsabgeordneter und Fraktionsvorsitzender der Grünen im Kreistag, bestätigt es: „Die alte Führungsspitze hat mit Strukturen die Missstände in der JVA Siegburg begünstigt.“
Wolfgang Klein sind solche „Gerüchte“ zu Ohren gekommen, er mag darüber nicht sprechen. Der 48-jährige Ministerialrat ist der neue Leiter des Gefängnisses, er will handeln. Seine Philosophie: Der Gewalt keine Chance! Die Erfahrung dazu weist er vor: Der gelernte Jurist hospitierte bereits 1991 in Siegburg, war zwei Jahre später Abteilungsleiter der JVA Willich, danach in Wuppertal, wurde 1999 stellvertretender Anstaltsleiter in Aachen: „Ich habe alle Stationen durchlaufen.“
Das genügt nicht. Klein braucht mehr Personal, mehr Geld. In den 606 mal mehr (10 bis 12 Quadratmeter), mal weniger (acht Quadratmeter) großen Hafträumen gibt es hier momentan 720 männliche Gefangene, 340 davon sind Jugendliche.
Klein unterscheidet: „Ich habe bei Jugendlichen den Erziehungsauftrag, bei Erwachsenen die Sicherung der Allgemeinheit vor Kriminalität und die Resozialisierung.“ Das klingt selbstverständlich, doch Klein steht vor gleich mehreren Problemen. Der erste Wunsch könnte demnächst erfüllt werden. Derzeit arbeiten 208 Beamte im uniformierten Bereich: „Das reicht nicht für ein neues Programm!“. Klein will künftig auch an den Wochenenden Besuchsmöglichkeiten anbieten, die Betreuung in den Abendzeiten verstärken, und den Vollzug mehr in Wohngruppen verlegen: Kontakte sollen die Knast-Einsamkeit erleichtern.
Zur Beaufsichtigung fehlen im mittleren Justizvollzugsdienst 30 Stellen, die bis 2008 aus anderen Anstalten besetzt werden sollen. Sein zweiter Wunsch, meint Wolfgang Klein, ist der Öffentlichkeit mitunter schwer zu vermitteln. In Siegburg betreut ein Sozialarbeiter 60-70 Jugendliche, doppelt so viele wie in anderen Anstalten: „Es wird sich was ändern“, hofft Klein, „wir brauchen Verstärkung und damit vier bis fünf Sozialarbeiter und zwei Psychologen mehr“.
Diese immerhin „alte Forderung“ sei auch dem Landesjustizvollzugsamt bekannt. Einher damit geht, dritter Wunsch, eine bessere Trennung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen. Die Jungen sind womöglich noch lernfähig, sollen aber nicht bei erfahrenen Gefangenen in die Lehre gehen. Wolfgang Klein denkt daran, im Haus 1 der Anstalt die Jugendlichen auf zwei Abteilungen räumlich von den Erwachsenen getrennt unterzubringen, das Haus 2 nur für Jugendliche zu nutzen.
Das Haus 1 aber wurde 1896 errichtet. Es ist gerade noch so funktionsfähig. Wolfgang Klein wagt es bereits, vierter Wunsch, an eine Kernsanierung zu denken. Die alte Fassade bliebe bestehen, drinnen sollte ein „neuzeitlicher Standard“ entstehen. Mit dezentralen Duschen, Gemeinschaftsräumen, Küchen. Die Finanzierung steht in den Sternen.
So also könnte Wunsch fünf vorgezogen werden, der sollte erfüllbar sein. Bis zum vorigen Jahr gab es für die Arbeit gegen die Sucht zwei Vollzeitstellen. 150 Erwachsene sind abhängig, rund 95 Jugendliche. Jetzt leistet die Drogenhilfe Siegburg mit ihrer finanziellen Unterstützung externe Beratung für allerdings nur 16 Stunden in der Woche.
Auf dem Gelände der JVA Siegburg, so groß wie etwa 15 Fußballfelder, sind in der vergangenen Jahren Mängel en masse entstanden. Der Muff ist inzwischen gewichen, in den Gängen zwischen den Zellen riecht es nun nach frischem Bohnerwachs. Aber die strafrechtlichen Folgen sind noch nicht aufgearbeitet. Die Zelle A 104 ist seit dem 21. Dezember vorigen Jahres noch immer mit dem Stempel Nr. 5 des Polizeipräsidiums Bonn „amtlich versiegelt“.
Wegen der grausamen Tötung des Häftlings ermittelt die Staatsanwaltschaft Bonn gegen drei mutmaßliche Täter, aber auch gegen vier Bedienstete: „Vermutlich wird das Verfahren“, sagt Behördensprecher Fred Apostel, „ Mitte des Monats abgeschlossen sein“. Wer die politische Verantwortung trägt, das will die SPD in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss klären lassen. Landtagsfraktionssprecher Thomas Breustedt rechnet mit dem Beginn „ab Ende des Monats“.
Unterdessen hat Wolfgang Klein in der JVA Siegburg wenigstens eins hinter sich gebracht. Die Pokale kommen in eine gläserne Vitrine. Und die in die Nähe der Kantine. Dort können sie auch von denen angeschaut werden, die sie errungen haben. (pbd)