Von EBERHARD PH. LILIENSIEK
Die Empörung nach der Einstellung des Mannesmann-Strafverfahrens schlägt noch immer hoch – doch vor derselben Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf stehen inzwischen viele Menschen auch Schlange. Sie alle wollen einen Anteil von den 2.320.000 Euro, die die sechs Angeklagten an gemeinnützige Organisationen zahlen sollen.
„So etwas“, sagt Ulrich Thole, „habe ich in meinen 15 Richterjahren noch nie erlebt“. Auch der Pressesprecher der Behörde wird von flehentlichen Bitten, barschen Forderungen und anspruchsvollen Appellen geradezu überrollt. Gestern rief er öffentlich um Hilfe: Gemeinnützige Einrichtungen sollen Anfragen nur noch schriftlich einreichen. Schon einen Tag nach der Verkündung des Beschlusses, in der Nacht vom vorigen Donnerstag auf Freitag, quollen aus dem Faxgerät des Landgerichts 700 Blatt Papier.
Die Bewerber legten den E-Mail-Server lahm: Sie schickten elektronische Briefe und hängten zu viele dicke Begründungen an, die das Computer-Postfach schlicht verstopften. „Täglich erreichen uns allein bis zu 120 E-Mails“, berichtet Thole, zu dem erstmal keine Telefonate mehr durchgestellt werden. Weil die „Aufrechterhaltung des allgemeinen Gerichtsbetriebes“ gefährdet ist, werden Anrufer mit dem Hinweis auf das Internet (www.lg-duesseldorf.nrw.de) und die Pressemitteilung „10/2006“ dort verwiesen.
In den vergangenen Tagen blieben Zeugen, Anwälte und die normale Justiz-Kundschaft „auf der Strecke“, sagt Thole: „Unsere Telefonzentrale hatte mitunter 30 Anrufe gleichzeitig in der Warteschleife“. Der Appetit auf das Geld ist beträchtlich und kennt keine Hemmschwellen. Weil sie fürchten, nur ihre Zentrale bekommt einen Batzen ab, melden sich selbst Orts- und Kreisverbände bundesweiter gemeinnütziger Organisationen.
Die 10. große Strafkammer lernt plötzlich massenweise ihr bislang völlig unbekannte Fördervereine von Schulen und Kindergärten kennen. Auch einzelne Menschen strecken ihre Hände aus. Die Begründungen, so wertet das Landgerichtssprecher Ulrich Thole, seien forsch bis rührend. Ein Mann, dem die Deutsche Bank ein Haus weggenommen und angeblich zu günstig verkauft hatte, will nun auf diesem Umweg vom angeklagten Vorstandschef Josef Ackermann eine „Wiedergutmachung“.
Eine Frau möchte „ein paar hunderttausend Euro“ haben. Sie pflegt wohl ihre Mutter und will „wunderbare Ideen“ umsetzen, wie das generell besser zu machen ist. Und ein Mann schreibt, er sei allein erziehender Pflegevater eines afghanischen Kindes, das an einer Lichtkrankheit leide. Eine „einmalige Spende“ könne das Kind mit Kleidern versorgen.
Die Bittwelle um Almosen macht auch vor der Justiz nicht halt. Wir könnten mit einem Teil des Geldes etwas mehr Personal einstellen, heißt es beim Landgericht. Die sarkastische Begründung: Dann schüfe Josef Ackermann endlich einmal ein paar Stellen, anstatt sie bei der Deutschen Bank immer wieder abzubauen.
So kommt man ans Geld:
Bewerbungen von Einzelpersonen, die darum bitten, selbst bedacht zu werden, betont das Landgericht Düsseldorf, „sind aussichtslos“. Die Zuwendungen können ausschließlich an gemeinnützige Organisationen fließen. Diese sollen sich sollen schriftlich an das Landgericht Düsseldorf, 10. große Strafkammer, Postfach 103461, 40025 Düsseldorf (zum Aktenzeichen 10 KLs 2/06) wenden.
Den Anfragen, in denen eine Bankverbindung genannt werden muss, muss ein Nachweis über die Gemeinnützigkeit beiliegen. Außerdem muss angegeben sein, ob und auch bei welchem Gericht der Anfragende in die Liste der gemeinnützigen Organisationen eingetragen ist. Alle Anfragen möchte das Landgericht nur einfach haben: „Mehrfache Anschreiben verbessern die Chancen nicht“. Die Strafkammer ist nicht an Anträge und Anfragen gebunden. Sie wird auch ihren Beschluss nicht begründen. Mit einer Entscheidung wird frühestens zum Jahresende gerechnet. (pbd)