Auch Richter sind nicht allmächtig. Das erlebe ich gerade in einem Strafverfahren. Es geht um eine Schlägerei. Nicht viel passiert. Gegen einen der Beteiligten wurde das Verfahren von einer anderen Abteilung des Amtsgerichts eingestellt. Der Mann war bereit, seinem Kontrahenten, den ich verteidige, ein Schmerzensgeld zahlen.
Nun schloß der Richter in meiner Sache hieraus, dass sich ja auch gegenüber meinem Mandanten eine Einstellung anböte. Vielleicht sogar ganz ohne Auflage? Die Akte ging zur Staatsanwaltschaft. Der dortige Strafverfolger, ein Oberamtsanwalt, sah allerdings keinen Grund für eine Einstellung, weder mit noch ohne Geldbuße. Er sandte die Akte zurück mit dem Hinweis, dass er einer Einstellung nicht zustimmt.
Der Richter versuchte es erneut. Er wies darauf hin, dass sich der andere Beteiligte „sonderbar“ benommen habe. Jedenfalls wolle er meinen Mandanten nicht schlechter behandeln. Hierauf bemerkte der Oberamtsanwalt dünnlippig und aus offensichtlich reicher Berufserfahrung, Beschuldigte verhielten sich nun mal nicht selten sonderbar. Er jedenfalls bestehe er auf einer Hauptverhandlung, um die Sache einem gerechten und vernünftigen Ausgang zuzuführen.
Was wird also passieren? Wir werden uns bei Gericht treffen und Justizressourcen verballern, die für wichtigere Fälle dringend gebraucht werden. Der Richter und ich setzen auf das Gesetz der Wahrscheinlichkeit. Danach hat der betreffende Oberamtsanwalt an diesem Tag nicht gerade bei uns Sitzungsdienst. Mit jedem anderen Vertreter werden wir es nämlich schon richten und uns still fragen: Wer verhält sich hier eigentlich sonderbar?