Von Eibo Richter
Das Oberlandesgericht Düsseldorf stellt mit einem Urteil (24 U 196/04) vom 8. Juni 2006 die bundesweit gängige Praxis in Frage, Zeithonorar in einem Zeittakt von 15-Minuten-Abschnitten abzurechnen. Hierbei stützt sich der 24. Zivilsenat auf das Transparenzgebot des AGBG sowie auf die technische Möglichkeit, Zeithonorar minütlich abzurechnen zu können und somit zu müssen.
Hat diese Entscheidung Bestand, könnte das Vergütungssystem vieler Anwaltskanzleien ins Wanken geraten.
Leitsätze des Urteils (vom Verfasser):
1. Eine Honorarvereinbarung mit einer Zeittaktklausel von angefangenen 15-Minuten-Abschnitten ist unzulässig, da die Zeittaktklausel zu einer unangemessenen Benachteiligung des Mandanten führt; in Folge dessen ist sie nichtig.
2. Die Honorarvereinbarung kann dann nicht mit einem zulässigen Inhalt aufrechterhalten bleiben, dass ein Rechtsanwalt seine Abrechnungen zumindest minutengenau erteilt. Wenn dies nicht von Anfang an geschehen ist, kann grundsätzlich nur der Zeitaufwand vergütet werden, dessen Erfassung mit Sicherheit nicht von der Zeittaktklausel beeinflusst ist.
In einer Honorarklage beantragte ein Rechtsanwalt die Ausurteilung eines fünfstelligen Honorarbetrages sowie die Feststellung, dass der Beklagte ihm den Schaden zu erstatten hat, welcher aus der Nichtzahlung des Honorars entstanden ist. Grundlage für den Honoraranspruch war eine Zeithonorarvereinbarung (wobei je angefangene Viertelstunde abgerechnet wurde), die hieraus entstehenden Zeithonorar-Kostennoten sowie mehrere, von dem Mandanten persönlich unterschriebene Vollmachten. Das Landgericht Düsseldorf sprach dem Kläger nach mündlicher Verhandlung nahezu antragsgemäß seine Ansprüche zu. Der Beklagte legte Berufung ein.
Nach mehr als 10 Monaten stiller „Bearbeitungszeit“ erließ der Senat einen Hinweisbeschluss, nach dem der klagende Rechtsanwalt beinahe jede einzelne aufgewandte Stunde inhaltlich genauer beschreiben sollte. Als der Kläger dieser Auflage in einem aufwändigen, umfassenden Schriftsatz erschöpfend nachgekommen war, gab der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung einen weiteren Hinweisbeschluss bekannt.
Der Senat erläuterte hier erstmals (nach ca. 16 Monaten Dauer der Instanz) seine Zweifel an der Zulässigkeit einer Zeittaktklausel in 15-Minuten-Abschnitten; eine Abrechnung nach solchen Zeittakten über die einzelne Minute hinaus sei für den Mandanten intransparent und benachteilige ihn unangemessen.
Der Kläger beantragte sodann die Einholung eines Gutachtens der Rechtsanwaltskammer zur Transparenz und Üblichkeit einer Zeittaktklausel der beanstandeten Art. Dieses Beweisangebot wurde vom Senat geflissentlich übergangen. Entsprechende Reaktionen des Klägers auf diese Ignoranz (mehrmalige Ablehnung zweier Richter des Senats) ließen die Richter unbeirrt am Wegesrand ihrer Meinung links liegen und verkündeten dann das Urteil: Dem Rechtsanwalt wurden mehr als 85 % seiner ursprünglichen Honoraransprüche mit der Begründung aberkannt, ein 15-minütiger Zeittakt führe „evident zu einer unangemessenen Benachteiligung des Mandanten“, da die Zeittaktklausel einen „erheblichen Kumulationseffekt entfalte“. So könne bei einem einminütigen Telefonat ein fünfzehnfacher Zeitaufwand berechnet werden, was unzulässig sei. Daher sei eine solche Honorarvereinbarung als Ganzes nichtig.
Der Kläger hätte seine Abrechnungen „zumindest minutengenau“ erteilen müssen. Ein Rechtsanwalt könne „durch diese Zeittaktklausel kalkulatorisch…“ gewünschten Umsatz „über die Stundensätze erwirtschaften“ und berechtige ihn darüber hinaus, jede Tätigkeit, nicht nur „die nur wenige Minuten oder gar Sekunden in Anspruch nimmt (…), zu einem Zeittakt von jeweils 15 Minuten… , sondern auch jede länger andauernde Tätigkeit, die den Zeitabschnitt … auch nur um Sekunden überschreitet“ entsprechend zu vergüten.
Der Zeitaufwand für das Erstellen von minutengenauen Abrechnungen sei als Gegenargument unerheblich, es gäbe technische Mittel, die dies bewerkstelligen würden. Im Übrigen wurde die Revision nicht zugelassen, die Sache habe ja keine grundsätzliche Bedeutung.
Welche Auswirkungen wird dieses Urteil haben?
Es steht außer Frage, dass diese Entscheidung, sollte sie denn Modellcharakter bekommen, die Abrechungspraxis in Rechtsanwaltskanzleien bundesweit, insbesondere im reinen Beratungssektor beeinträchtigen wird. Von dem zweiten Hinweisbeschluss des Senats informierte Gebührenexperten kommentierten, dass hierdurch der Rechtsanwalt im Allgemeinen dazu gezwungen wird, „aber auch wirklich jede Tätigkeit in Rechnung zu stellen, also etwa auch die eine halbe Minute andauernde Anfrage eines Mandanten, ob es etwas neues gibt“.
Man könne nur hoffen, dass dieser Hinweisbeschluss „eine einmalige Entgleisung bleibt und nicht in höchstrichterliche Rechtsprechung Eingang findet“ (Schons in Madert/Schons, Die Vergütungsvereinbarung des Rechtsanwalts, 3. Auflage 2006, S. 59 Rn 199, 200).
Schon das OLG Frankfurt hatte sich 2003 mit der Frage der Zulässigkeit einer Zeithonorarabrede befasst und war der Auffassung, ein Zeithonorar sei nur dann zulässig, wenn im Vorhinein klar ist, wie hoch die Gebühren werden können.
Der BGH schloss sich dieser Auffassung jedoch ausdrücklich nicht an. Es wurde nur festgestellt, dass ein Zeithonorar unzulässig ist, wenn es 17-mal höher ist, als das gesetzliche Honorar. Ein weiteres Urteil des BGH trägt die Auffassung vor, ein fünf Mal höher als gesetzliche Gebühren vereinbartes Honorar für die Vertretung in Strafsachen wäre unter der Voraussetzung bedenklich, wenn der Rechtsanwalt nicht darlegt, dass es beträchtliche Erschwernisse oder extreme einzelfallbezogene Umstände erforderlich machen, ein so hohes Honorar zu vereinbaren.
Sollte der BGH der Auffassung des OLG-Senates zustimmen, würden bundesweit viele – wenn nicht sogar die Mehrzahl – der Zeithonorarvereinbarungen nichtig. Alle Welt wird dann zum Kadi rennen, um die bestehende Vergütungsvereinbarung anzufechten und der Rechtsanwalt damit einen Großteil seines Honoraranspruch verlieren. Im Idealfall könnten dann – nach entsprechender Korrektur – Honorarvereinbarungen neu abgeschlossen werden. Dies wird schwierig umzusetzen sein, da man den Mandanten während des laufenden Mandates nicht unbedingt zwingen kann, eine Honorarvereinbarung abzuschließen, da eine Zwangslage womöglich sittenwidrig ist (LG Karlsruhe MDR 91, 548).
Weitere Folge wäre auch, dass die Rechtsanwälte nun verpflichtet wären, die minütlich abzurechnenden Einheiten entsprechend nachzuweisen, was zur Folge hätte, dass mehr Zeit auf das Verfassen einer Zeithonorarabrechnung aufgewandt werden müsste, gegebenenfalls im Einzelfall mehr, als es für die erfolgte, kurze Beratung, die zu dokumentieren und sodann – ja zusätzlich – kostenmäßig zu erfassen ist. Der BGH müsste sich dann dahingehend äußern, wer diesen Zeitaufwand dann zu bezahlen hat.
Ferner wären alle Rechtsanwaltskanzleien dazu gezwungen, soweit sie denn nach Zeithonorar abrechnen, sich entsprechende Kanzleisoftware zuzulegen, die mindestens eine minutengenaue Zeiterfassung / Abrechnung ermöglichen. Der hierbei entstehende Kostenapparat wird sicherlich nur durch die Erhöhung der Stundensätze zu kompensieren sein.
Der Rechtsanwalt wird aber auch dazu gezwungen sein, seine Honorarvereinbarung zu überarbeiten und seinen Stundensatz entsprechend anzupassen, ihn wirtschaftlicher gestalten (Hilfe bietet hier etwa RVG professionell 3/2006, S. 37-41). Unter Berücksichtigung, dass der Rechtsanwalt minutengenau abrechnet und für jede Abrechnungseinheit einen Grund angeben muss, werden – so denn diese Entscheidung höchstrichterliche Rechtsprechung wird – die Stundensätze ansteigen, um eventuell durch Anfechtung der Honorarvereinbarung und / oder der geleisteten Stunden und deren Begründung entstehende Honorarausfälle entsprechend einen Puffer zu haben.
Sicherlich werden in dem oben genannten Fall alle Register gezogen, um die jahrelang bewährte Praxis der Stundenabrechnung beibehalten zu können. Dem Vernehmen nach ist eine Nichtzulassungsbeschwerde anhängig, um diesem Rechtsschwenk Einhalt zu gebieten.
Der Autor ist Rechtsanwaltsfachangestellter in Düsseldorf.
Weitere Entscheidungen zu Honorarvereinbarungen:
OLG Frankfurt NJW-RR 2000, 1367:
Die Vereinbarung eines Stundensatzes in der von einem Rechtsanwalt gestellten Honorarvereinbarung kann gegen das Transparenzverbot des § 91 AGBG verstoßen, wenn sich aus ihr nicht ergibt, mit welchem Gesamtstundenaufwand bis zur Erledigung des Mandats zu rechnen ist (revidiert in nachfolgender Entscheidung).
BGH in BRAK-Mitt. 2003, 282:
1. Eine anwaltliche Stundensatzvereinbarung, die die gesetzlichen Gebühren um mehr als das 17fache übersteigt, ist sittenwidrig.
2. Ein RA handelt auch sittenwidrig, wenn er bei der Wahl ausländischen Rechts und der Vereinbarung eines Stundensatzes seinen Aufwand in grober Weise eigensüchtig aufbläht und bei den berechneten Einzeltätigkeiten und ihrer Dauer die objektiv gebotene Konzentration und Beschleunigung der Mandatswahrnehmung wissentlich außer Acht lässt.
BGH, Urteil vom 27.01.2005 – IX ZR 273/02:
1. Vereinbart ein Rechtsanwalt bei Strafverteidigungen eine Vergütung, die mehr als das Fünffache über den gesetzlichen Höchstgebühren liegt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass sie unangemessen hoch und das Mäßigungsgebot des § 3 Abs. 3 BRAGO verletzt ist.
2. Die Vermutung einer unangemessen hohen Vergütung kann durch den Rechtsanwalt entkräftet werden, wenn er ganz ungewöhnliche, geradezu extreme einzelfallbezogene Umstände darlegt, die es möglich erscheinen lassen, bei Abwägung aller für die Herabsetzungsentscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte die Vergütung nicht als unangemessen hoch anzusehen.