Von EBERHARD PH. LILIENSIEK
Ein fast normaler Diebstahl: Der Kunde eines Supermarkts hat am frühen Vormittag ein teures Stück Rinderfilet über die Fleischtheke gereicht bekommen. Er legt es aber nicht in den Einkaufswagen, sondern bringt es versteckt an der Kasse vorbei. Der Filialleiter hat samt einer neutralen Zeugin alles gesehen, hält den Mann fest und ruft die Polizei. Warum, so fragt aktuell Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) händeringend in die Runde, kann solch ein Fall nicht ruckzuck vor dem Amtsgericht verhandelt werden? „Gerade mit dem beschleunigten Verfahren lassen sich nachhaltige präventive Effekte erzielen“.
Die Möglichkeit, Straftätern vor Gericht einen kurzen Prozess zu mache, gibt es schon seit etwa 120 Jahren, sie wird nur extrem unterschiedlich genutzt. Die Stichprobe zeigt klaffende Unterschiede. Von insgesamt 2 637 beantragten beschleunigten Verfahren im vorigen Jahr gab es in Köln beim Amtsgericht 680, in Düsseldorf nur eins. In Essen wurden auf diese Art und Weise 294 Verfahren verhandelt, in Wuppertal just sechs.
Die Ursachen sind mitunter zu ergründen, bleiben aber auch oft verschleiert. Immer muss die Staatsanwaltschaft das beschleunigte Verfahren schriftlich oder mündlich beantragen. Weil in Köln ziemlich regelmäßig ein großes Bordell durchsucht wird, urteilt eine fleißige Richterin noch in der Nacht oder am frühen Morgen über die Vorwürfe eines illegalen Aufenthalts oder einer Paßfälschung – der Sachverhalt muss einfach sein oder die Beweislage klar.
„Ich verspreche mir von einer sofortigen Ahndung der Tat besonderen kriminalpädagogischen Nutzen. Dies gilt ebenso für den einzelnen Beschuldigten wie – über die abschreckende Wirkung – für potenzielle Täter“, betont die Justizministerin. Doch bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf, sagt deren Vize-Chef Josef Wassen, werden lieber Strafbefehle beantragt, also (ohne eine Hauptverhandlung) schriftliche festgesetzte Ahndungen: „Die schonen die Ressourcen“, mithin das Personal. Die Strafverfolger in Essen und Wuppertal wissen nicht einmal, warum hier die Zahl so hoch und dort so niedrig ist.
Die Justizministerin hat, wenn sie ihre Forderung nach beschleunigten Verfahren durchsetzen will, noch enorm viel Arbeit vor sich. Sie muss an alle Staatsanwälte und Richter appellieren, sie letztlich auf Linie bringen. Und selbst dann werden die Diskussionen neu entfacht: Die Strafe muss auf dem Fuß folgen, sagen die Befürworter. Die Gegner halten ihr Argument hoch: Es trifft meist nur die Armen.
Ähnliche Kritik zieht die Ministerin auf sich, weil sie das Beweisantragsrecht von Verteidigern beschneiden lassen will – damit will sie die Verschleppung von Prozessen verhindern. In Düsseldorf begann solch ein Verfahren am 17. September 2001. Es ging um den Vorwurf des Anlagebetruges. Der Angeklagte ließ über seine Verteidiger 1 230 Beweisanträge stellen. Etwa dazu, dass er in jungem Alter sportlich erfolgreich war und entsprechende Pokale das der Strafkammer glaubhaft machen könnten. Das Urteil am 8. März 2004 lautete auf 5 Jahre und zehn Monate Haft. Der Staatsanwalt erinnert sich nur noch mit Gruseln an die Fülle der Anträge.
Rüdiger Deckers freilich, der Strafrechtsexperte der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, hält von der Forderung der Justizministerin „überhaupt nichts“. Er versteht sie auch nicht. Müller-Piepenkötter, so mahnt Verteidiger Deckers, möge sich nicht an Einzelfällen orientieren. Zu modernen Verteidigerstrategien gehöre es längst, Beweisanträge schon möglicht früh zu stellen. Und schließlich gebiete das Grundgesetz „rechtliches Gehör zu jeder Zeit“.
Deckers Kollege Georg Strittmatter nennt den Anspruch der Ministerin gar „Augenwischerei der Justiz“. Denn die sei es, die sich überfrachte und verschleppe. Das Beispiel: Ein Mandant, zu neun Jahren Haft verurteilt, hatte bei einem Freigang 14 Gramm Heroin (eine Vier-Tages-Dosis) bei sich. Statt die Ermittlungen einzustellen, verfolge die Staatsanwaltschaft den Mann seit Herbst 2004. Den frühesten Prozesstermin beim Landgericht Düsseldorf gebe es vielleicht im Frühjahr 2008. (pbd)