Muss das Grundgesetz geändert werden, damit Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner die CSD-Parade eröffnen und auf einem Mottowagen mitfahren darf? Gar nicht so abwegig wie es klingt, denn laut Berliner Tagesspiegel verlangen die CSD-Organisatoren ultimativ, dass die „sexuelle Identität“ als Schutzgut im Artikel 3 des Grundgesetzes ausdrücklich aufgeführt wird. Als Druckmittel wird tatsächlich eine mögliche Ausladung bzw. Nichteinladung des Bürgermeisters zur Parade genannt.
Angesichts eines solch brutalen Ultimatums, welches jedem Berliner natürlich unter die Haut geht, kündigt der Antidiskrimierungsbeauftragte des Senats sogleich eine entsprechende Bundesratsiniative an. „In Zeiten zunehmender queerfeindlicher Hetze und eines erstarkten Rechtspopulismus brauchen wir einen verfassungsmäßigen Schutz der queeren Community nötiger als je zuvor“, heißt es von der Behörde. Künftig soll in Artikel 3 des Grundgesetzes demnach auch die „sexuelle Identität“ geschützt werden.
An der Idee ist einiges merkwürdig. Zunächst mal erwähnt Art. 3 GG bereits, dass niemand „wegen seines Geschlechts“ benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Es steht also offensichtlich schon in der Verfassung, was nun als zusätzlicher Schutz gefordert wird. Überdies ist die „geschlechtliche Identität“ auch bereits durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Art. 2 GG geschützt. Dies hat das Bundesverfassungsgericht unter anderem in seiner Entscheidung zum Personenstandregister ausdrücklich festgestellt (1 BvR 2019/16). Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts haben Gesetzescharakter (§ 31 BVerfGG). Somit kann keiner – ernsthaft – behaupten, der Schutz der „geschlechtlichen Identität“ sei derzeit nicht gewährleistet.
Der Hinweis auf queerfeindliche Aktivitäten und „Rechtspopulismus“ übersieht außerdem einen wichtigen Punkt. Das Grundgesetz regelt nicht das Verhältnis der Bürger untereinander. Das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte von Artikel 1 bis 19, sind Schutzrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat. Man spricht auch von Abwehrrechten. Auf das Verhältnis der Menschen untereinander wirken die Grundrechte allenfalls mittelbar. Kein queerer Mann, keine queere Frau und auch keine queere Person, die sich diesen Kategorien nicht zugehörig fühlt, kann nach einem körperlichen oder verbalen Angriff erfolgreich vor Gericht rügen, dass ihn der Täter in seinen Grundrechten aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 3 GG verletzt hat. Wohl aber, dass er Opfer eines strafbaren Angriffs geworden ist und deshalb vom Staat (zu Recht) erwarten kann, dass die Täter bestraft werden.
Eine Grundgesetzänderung wäre reine, überflüssige Kosmetik. Interessant ist übrigens auch, dass die Forderung nach einer Grundgesetzänderung längst nicht alles ist, was dem Regierenden Bürgermeister in der CSD-Community salonfähig machen soll. Von fünf weiteren Forderungen spricht der Tagesspiegel. Wie man beim CSD abseits dieser fragwürdigen Anspruchshaltung tickt, erklärt der zitierte Funktionär selbst: „Die Zeit drängt, denn wir wissen nicht, ob wir nach der Bundestagswahl noch mit der erforderlichen progressiven Mehrheit rechnen können.“ Wird sicher interessant, ob der CSD mit dieser albernen Pistole-auf-die-Brust-Taktik tatsächlich durchkommt.