Wie kann es sein, dass ein mehrfach verurteilter Straftäter die elektronische Fußfessel einfach verweigert – und trotzdem frei herumläuft? Das ist eine Frage, die sich aus dem aktuellen Missbrauchsfall in Edenkoben ergibt. Versuch einer Antwort.
Wenn Straftäter ihre Haft verbüßt haben, kommen sie raus. Bei schweren Straftaten oder hartnäckigen Wiederholungstätern gibt das Gesetz dem Strafgericht die Möglichkeit, den Verurteilten weiterhin zu kontrollieren. Das nennt sich Führungsaufsicht. Das Gericht kann aus einem bunten Strauß von Auflagen wählen. Typisch für Sexualstraftäter sind der Besuch von Präventionsprogrammen, Aufenthaltsverbote an Kindergärten und Schulen, Kontakt- und Fahrverbote.
Auch die elektronische Fußfessel kann angeordnet werden. Die Betonung liegt auf „kann“. Denn obwohl die elektronische Fußfessel vor 12 Jahren ihren Weg ins Strafgesetz gefunden hat, ist sie alles andere als eine Standardmaßnahme. Tatsächlich mussten im Jahr 2020 ganze 122 Verurteilte eine elektronische Fußfessel tragen – bundesweit! Bayerische Gerichte hatten 30 Fußfesseln angeordnet, im bevölkerungsreichsten Land NRW waren es gerade mal sieben.
Aktuellere Zahlen kann ich nicht finden, weil Justiz ist ja Ländersache. Nach meinem Eindruck steigen die Zahlen, aber sicher nicht sprunghaft. Im Verhältnis zur Zahl der Personen, die sich nach ihrer Haftentlassung für eine Fußfessel qualifizieren, ist die Zahl der tatsächlichen Fußfesselträger sicherlich auch heute noch vernachlässigenswert gering.
Im Fall Edenkoben muss man den Behörden somit anrechnen, dass sie den Verdächtigen zu einer Fußfessel verdonnert haben. Das ist weder vorgeschrieben noch die Regel. Anders gesagt: Die Behörden haben erst mal nichts falsch gemacht.
Auf Unverständnis stößt natürlich, dass der Verdächtige die gerichtlich verordnete Fußfessel schlicht verweigert hat und er trotzdem nicht einkassiert wurde. Die Ohnmacht der Behörden in diesem Fall hat seine Ursache in der Art und Weise, wie der Gesetzgeber Verstöße gegen Auflagen bei der Führungsaufsicht sanktioniert.
Wer die Fußfessel verweigert, kann nicht zum Anlegen gezwungen werden. Vielmehr macht sich der Betreffende erneut strafbar (§ 145a StGB). Den Behörden bleibt in diesem Fall nur, ein neues Ermittlungsverfahren einzuleiten. Das alles kostet bekanntlich Zeit.
Natürlich könnte man bei einer beharrlichen Verweigerung der Fußfessel auch mal an Wiederholungsgefahr denken. Aber die Voraussetzungen für einen Haftbefehl auf dieser Grundlage sind kompliziert, auch weil ein Gericht die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten muss. Die Höchststrafe für einen Verstoß gegen Auflagen im Rahmen der Führungsaufsicht beträgt drei Jahre Gefängnis. Das ist halt normalerweise keine Maximalstrafe, die automatisch einen Haftbefehl rechtfertigt.
Die Ereignisse in Edenkoben zeigen auf jeden Fall die greifbare Ohnmacht der Behörden, wenn sich ein Verurteilter der Fußfessel kategorisch verweigert. Aber man muss auch sehen, dass die Fußfessel auch bei entlassenen Sexualstraftätern heute nicht die Regel ist. Ohne entsprechende Auflage hätte wahrscheinlich kaum jemand danach gefragt, wieso der Verurteilte keine Fußfesselauflage hat. Das Resultat bleibt aber so oder so schrecklich genug.