NICHTS GEWUSST

Von EBERHARD PH. LILIENSIEK

Die Last des Beweises liegt in Strafprozessen immer bei der Staatsanwaltschaft. Sie muss das Gericht von der Schuld des Angeklagten überzeugen. Mit dem aktuellen Urteil des Landgerichts Dortmund sind die Ankläger des ehemaligen Wuppertaler Oberbürgermeister zum zweiten Mal gescheitert: Hans Kremendahl ist vom Vorwurf der strafbaren Vorteilsannahme – wie schon Ende 2002 vom Landgericht Wuppertal – freigesprochen worden.

Und der angebliche Vorteilsgewährer auch: Dem Bauunternehmer Uwe Clees, der im Kommunalwahlkampf 1999 der SPD rund 500 000 Mark für die Kampagne zur Wiederwahl von Kremendahl zur Verfügung gestellt hatte, ist nach Meinung der V. großen Strafkammer das Delikt nicht nachzuweisen.

Zum Hintergrund ihrer Entscheidung hat die Kammer eine Gesetzesauslegung des Bundesgerichtshofs (BHG) bemüht: Eine Spende an einen Amtsträger ist nur dann verwerflich, wenn der sich im Gegenzug bereit zeigt, sich bei konkreten Einzelentscheidungen beeinflussen zu lassen – volkstümlich: erst das Geld, dann dafür eine dienstliche Gefälligkeit.

Dafür aber sah das Gericht bei Kremendahl „keine greifbaren Anhaltspunkte“. Der Bauunternehmer Clees wollte sich zwar durch seine Zahlung eine spätere Genehmigung von Kremendahl für ein „Factory Outlet Center“ sichern. Und leistete damit eine rechtswidrige Einflussspende, meint das Gericht. Und macht dann eine Gratwanderung: Clees hat gewusst, dass Kremendahl davon nichts wusste. Denn beide haben immer bekräftigt, über das Projekt sei nie konkret gesprochen worden. Und wenn also Kremendahl, der unwissende Empfänger, keine Schuld auf sich geladen hat, dann kann der Geber Clees (der nur in seinen Gedanken eine spätere Bau-Genehmigung wollte) auch keine auf sich laden.

Mit dieser Logik will die Staatsanwaltschaft Wuppertal nicht leben. Behördensprecher Alfons Grevener attestiert dem Gericht zwar „eine erschöpfende Auseinandersetzung der Sach- und Rechtsfragen“ in der mündlichen Urteilsbegründung. Das schließe allerdings eine andere Sicht der Dinge nicht aus: „Kremendahl wusste sehr wohl, dass Clees bauen wollte!“ So jedenfalls würdigen die Ankläger die Kette der Indizien noch immer – im Gegenteil zum Dortmunder Gericht – und haben bereits die Revision eingelegt.

Ob die auch durchgezogen wird, hänge von den schriftlichen Urteilsgründen ab. Dem BGH ist der Fall nicht neu. Im Oktober 2004 hatte er den Freispruch des Landgerichts Wuppertal kassiert. Und bezweifelt, ob Kremendahl wirklich so ahnungslos war. Die Staatsanwaltschaft glaubt eher an Raffinesse. Und trägt dafür noch immer die Last, ihr Credo zu beweisen. (pbd)