Regeln sind schön und gut. So lange sie für andere gelten. Das denken sich auch immer mal wieder Staatsanwälte, also jene Menschen, die ganz besonders wachsam sind, ob du und ich gewisse Regeln einhalten.
Heute kriege ich beispielsweise mal wieder ein Schreiben der Staatsanwaltschaft auf den Schreibtisch, mit dem diese gegen ein Urteil des Schöffengerichts Berufung einlegt. Das ist ihr gutes Recht. Allerdings gelten für Staatsanwälte besondere Vorschriften, wenn sie mit einem Urteil nicht leben zu können meinen. Sie müssen ihr Rechtsmittel begründen, wozu der Angeklagte nicht verpflichtet ist.
Dazu heißt es in Ziff. 156 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren:
Der Staatsanwalt muss jedes von ihm eingelegte Rechtsmittel begründen, auch wenn es sich nur gegen das Strafmaß richtet.
Nun ja, schauen wir uns die Begründung an in unserem Fall. Sie umfasst einen Satz und lautet wie folgt:
Das Strafmaß wird dem Unrechtsgehalt der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht.
Das ist in dieser Form keine Begründung, sondern eine Behauptung (These). Die Begründung zum Beleg der These müsste jetzt konsequenterweise kommen, üblicherweise eingeleitet durch eine Formulierung wie „… wird nicht gerecht, weil…“. Was hier als Begründung daherkommt, ist also nicht mehr als Augenwischerei. Ein müdes Kaschieren des Umstandes, dass man keine Lust hat – und sich nicht um die Regeln schert. Man könnte auch von einer Simulation des Rechtsstaates sprechen.
Das Ganze wird nicht besser dadurch, dass es sich in unserem Fall um einen Textbaustein handeln dürfte. Die Floskel taucht nämlich epedemisch in einzelnen Bundesländern auf. In einigen Monaten werde ich dem Staatsanwalt im Gericht gegenübersitzen. Er wird dann voraussichtlich mit Blick auf meinen Mandanten, den angeklagten Sünder, darüber schwadronieren, wie wichtig es doch ist, sich an die Vorschriften zu halten.
Ich werde Mühe haben, mir ein müdes Lächeln zu verkneifen.