Wer für seine Arbeit zu lange braucht, kriegt Ärger. Dieser Grundsatz sollte vor einigen Jahren auch mal in der Justiz eingeführt werden. In Form einer Regelung, welche einem zu lange hingehaltenen Kläger oder einem mit seinem offenen Verfahren in der Luft hängenden Angeklagten einen Anspruch auf Entschädigung gibt.
Das Gesetz (§ 198 GVG, § 199 GVG) kam schließlich zu Stande. Aber eigentlich auch nur, weil für die deutsche Justiz der Druck von den europäischen Institutionen zu groß wurde, namentlich vom Europäischen Gerichtshof sowie dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Schon die vielen Wenns und Abers in den Paragrafen und die absurd niedrige Entschädigungssumme (1.200 Euro für jedes verlorene Jahr) verraten recht deutlich die wahre Intention: Schlupflöcher soll es genug geben, denn Geld fließen soll am Ende höchstens im homöopathischen Bereich.
Mein Kollege Detlef Burhoff veröffentlicht in seinem Blog jetzt einen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt, der die Praxis beleuchtet. Da meint das Oberlandesgericht Frankfurt, ein Jahr Inaktivität sei grundsätzlich erst mal völlig unschädlich – und zwar ab dem Zeitpunkt, in dem das Verfahren entscheidungsreif ist. Entscheidungsreif bedeutet: Das Gericht hat – möglicherweise nach eine langen Schriftwechsel der Parteien und einer Beweisaufnahme – alle Informationen zusammen, die es braucht, und es bestehen auch keine sonstigen Hürden, um der einen oder der anderen Seite recht zu geben. Trotzdem lässt das Gericht die Sache bis zu einem Jahr liegen, und das soll dann noch eine „angemessene Verfahrensdauer“ sein?
Immerhin kriegte der Kläger in dem Fall wenigstens noch teilweise recht. Das Gericht bejahte zumindest ein gewisses Eilbedürfnis und billigte eine Entscheidungsfrist von höchstens sechs Monaten zu. Aber das ändert nichts daran, dass Maßstab eben erst mal ein Jahr Inaktivität (nach Entscheidungsreife) ist. Zu allem Überfluss schreibt das Oberlandesgericht noch, es könne auch Verfahren geben, die gerne noch länger dauern dürfen. Nämlich dann, wenn sie für den Kläger „ohne besondere Bedeutung“ sind. Was man sich unter solchen Verfahren vorstellen darf, dafür bedarf es schon einiger Fantasie.