Der Zweck heiligt die Mittel – mitunter auch aus Sicht von Richtern. Man könnte auch von taktischem Schweigen spreche, was eine Gerichtsvorsitzende vor einigen Tagen in einem Strafprozess praktizierte. Ob das so in Ordnung geht, ist eine andere Frage.
Die Richterin sollte über eine Berufung entscheiden. Gleich zu Anfang machte sie deutlich, dass sie kaum Erfolgsaussichten für die Angeklagten sieht. Jedenfalls nach Aktenlage, denn die vier Zeugen waren ja bisher nur in erster Instanz vernommen worden. Die Zeugen befanden sich sozusagen in Wartestellung. Sie waren auf anderthalb Stunden nach Verhandlungsbeginn geladen. So zumindest unser Kenntnisstand.
Meine Mitverteidiger und ich diskutierten länger mit der Richterin und den Schöffen. Dann mit der Staatsanwältin. Und schließlich noch mal alle zusammen im Beratungszimmer. Am Ende war ein Kompromiss gezimmert, der sich durchaus sehen lassen kann. Ein Deal also, eine Verständigung – und diese wurde auch sauber im Gerichtsprotokoll festgehalten.
Kaum war die Verständigung unter Dach und Fach, teilte uns die Vorsitzende mit, sie habe kurz vor der Verhandlung telefonisch erfahren, dass eine Zeugin nicht kommen kann. Die Frau sei stationär im Krankenhaus, was mit den Nieren. Nun handelte es sich bei der Dame um die Hauptbelastungszeugin. Die Frau hätte unbedingt befragt werden müssen. Was letztlich darauf hinauslief, dass wir an dem Verhandlungstag gar kein Ergebnis hätten erzielen können.
Dass nicht verhandelt werden kann oder der Prozess sich verzögert, ist natürlich immer ein Pfund der Verteidigung. Ich weiß nicht, wie wir uns verhalten hätten, wäre uns dieser Umstand bekannt gewesen wäre. Runtergeschraubt hätten wir Anwälte unsere „Forderungen“ jedenfalls nicht.
Im Ergebnis waren es dann die Mandanten, die keinen weiteren Stress wollten. Wir haben also den Deal bis zum Ende mitgetragen. Ich werde aber eine Lehre aus der Sache ziehen. Und zumindest bei dieser Richterin künftig immer gezielt nachfragen, ob sie vielleicht was Verfahrensrelevantes erfahren hat, das noch nicht in Papierform Gegenstand der Gerichtsakte geworden ist.