Wenn die Polizei bei einer Straftat gar nicht oder nur schlampig ermittelt, darf dies nicht zu Lasten des Opfers gehen. Mit dieser Begründung verpflichtet das Sozialgericht Düsseldorf das Land NRW, dem mutmaßlichen Opfer eines tätlichen Angriffs eine Rente zu zahlen.
Der Mann hatte angegeben, er sei morgens in einem Kölner Bordell mit einem Baseballschläger attackiert worden, vermutlich von einem Türsteher. Tatsächlich musste er auf die Intensivstation, dort wurden schwere Schädelverletzungen festgestellt, unter anderem ein Basisbruch. Ein Zeuge bestätigte den Vorfall und beschrieb auch den möglichen Täter.
Die Polizei blieb aber merkwürdig untätig. Zwar besuchte ein Kriminalkommissar das Opfer im Krankenhaus, dann tat sich aber erst mal gar nichts. Grund dafür soll eine Anweisung des zuständigen Kriminalkommissariats gewesen sein, den Fall “nicht sofort zu bearbeiten”.
Ungefähr drei Tage später rief dann immerhin mal ein Polizist in dem Bordell an. Dort bestätigte man ihm, einen “Vorfall” habe es nicht gegeben. Tagelang tat sich nichts, und auch danach blockte die Polizei jede Ermittlung ab – obwohl ein Staatsanwalt mehr Aktivität verlangt hatte.
Die Beamten bemühten sich nicht, mögliche Videoaufnahmen des Vorfalls zu bekommen. Sie suchten auch nicht nach dem Taxifahrer, der das Opfer ins Krankenhaus gebracht haben soll. Ebenso wenig kamen sie auf den Gedanken oder setzten ihn jedenfalls nicht um, die Türsteher des Etablissements zu befragen oder nach anderen Zeugen zu forschen.
Für das Sozialgericht ist das Verhalten der Polizei schlicht nicht nachvollziehbar. Es habe konkrete Hinweise auf eine schwere Gewalttat, möglicherweise sogar auf eine versuchte Tötung gegeben. Dennoch sei der Vorfall als nicht dringend eingestuft worden – obwohl die Polizei zu der fraglichen Zeit noch nicht mal durch andere Einsätze gebunden gewesen sei. Bei so einem Verdacht müsse die Polizei sofort an den Tatort fahren und ermitteln.
Tatsächlich hat die Polizei sogar in der Folgezeit schlicht nicht weiter ermittelt. So kritisiert das Sozialgericht, selbst die Handlungsaufforderungen durch die Staatsanwaltschaft seien ignoriert worden; konkret ist nach Auffassung des Sozialgerichts rein gar nichts passiert.
Für den Betroffenen hat das alles nicht nur die unangenehme Folge, dass der mögliche Täter bis heute unbekannt ist. Die Rentenbehörde verweigerte ihm auch eine Opferentschädigung in Form einer Rente. Und zwar mit der lapidaren Begründung, er habe den Angriff ja nicht nachweisen können.
Das geht nach Auffassung des Sozialgerichts jedoch nicht. Wenn die Polizei – aus welchen Gründen auch immer – so krass versage, verbleibe die Beweislast für eine Straftat nicht beim Opfer. Vielmehr müsse bei so schlampigen Ermittlungen dem Betroffenen geglaubt werden. Er habe wegen seiner Verletzung ja auch selbst kaum eine Möglichkeit gehabt, eventuelle Beweise zu sichern (Urteil vom 13. Juni 2013, Aktenzeichen S 35 VG 21/10).