Als Strafverteidiger habe ich unter meinen Auftraggebern auch Menschen, denen der Besitz, Verbreitung oder gar die Herstellung von Kinderpornografie vorgeworfen wird. Die Betroffenen haben wie jeder andere das Recht, sich gegen den Tatvorwurf zu verteidigen. Das ist aber nur möglich, wenn sie wissen, was ihnen im Detail vorgeworfen wird. Da sich der Vorwurf aus der Ermittlungsakte ergibt, dürfen Beschuldigte diese lesen.
In der Praxis sieht das so aus, dass ich meinem Mandanten eine Kopie der Akte gebe. Das ist in der Regel auch unproblematisch möglich, stößt beim Vorwurf Kinderpornografie aber auf eine praktische Schwierigkeit. Wenn in der Akte oder im Beweismittelordner kinderpornografische Aufnahmen enthalten sind, kriegt der Beschuldigte ja möglicherweise genau die Bilder zurück, wegen deren Besitz gegen ihn ermittelt wird. Es stellt sich also im Kern die Frage, ob jemand dann doch wieder Kinderpornografie besitzen darf, weil die Aufnahmen zu den Akten eines gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahrens gehören.
Ich habe mir diese Frage schon bei meinem ersten Mandat aus diesem Deliktsbereich gestellt. Und sie für mich klar beantwortet. Meine Mandanten bekommen wie üblich alle Unterlagen aus der Ermittlungsakte – die möglicherweise strafbaren Aufnahmen aber nicht. Und zwar weder auf Papier noch in elektronischer Form.
Bislang konnte ich jedem Mandanten erklären, dass dies letztlich auch zu seinem eigenen Schutz ist. Was hat er davon, wenn – was ja durchaus vorkommt – die Polizei mal wieder bei ihm durchsucht und genau das gleiche Material wieder findet, das bei ihm beschlagnahmt wurde? Neue Ermittlungen wären unausweichlich. Und zwar auch gegen mich, denn die Überlassung der Kopien ist schon nach dem Wortlaut des Gesetzes, so wie ich ihn verstehe, auch durch einen Anwalt strafbare Verbreitung von Kinderpornografie.
Für mich völlig überraschend, sah das ein renommierter Strafverteidiger bislang offensichtlich anders. Er hat einem seiner Mandanten nicht nur die Ermittlungsakte gegeben, sondern auch einen USB-Stick mit 198 kinderpornografischen Bildern. Diese Bilder hatte der Mandant des Anwalts, so der Vorwurf, bei sich zu Hause auf der Festplatte gehabt. Nun fanden sie sich logischerweise in der Ermittlungsakte als Beweismittel wieder. Außerdem soll der Verteidiger es angeblich so gedreht haben, dass ein Sachverständiger ein Image der beschlagnahmten Festplatte anfertigen konnte – ohne dass die Staatsanwaltschaft dem zugestimmt hatte.
Zu seiner Verteidigung berief sich der Strafverteidiger darauf, er dürfe, ja müsse seinen Mandanten die Ermittlungsakte zur Verfügung stellen. Auch die Weitergabe der Daten sei erforderlich gewesen, damit sein Mandant technische Fehler oder ähnliches belegen kann.
Mich wundert es nicht, dass der Kollege mit dieser Praxis nun möglicherweise auf die Nase fällt. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main scheint nämlich auch keine Zweifel daran zu haben, dass sich der Anwalt strafbar gemacht haben kann. Es eröffnete deshalb nun das Hauptverfahren vor einer Strafkammer des Landgerichts Marburg. Der Hauptgrund:
Danach ist der Besitz und damit verbunden die vorherige Besorgung bzw. Weitergabe kinderpornografischen Materials i.S.d. § 184b Abs. 2, 4 StGB dann erlaubt, wenn dies ausschließlich der Erfüllung rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichten dient .
Der zur Besitzweitergabe/verschaffung berechtigte Personenkreis wird damit kraft Gesetzes abschließend auf Personen beschränkt, die mit dem inkriminierten Material auf Grund von dienstlichen oder beruflichen Pflichten zu tun haben müssen. Das sind in erster Linie die Gerichte, die Strafverfolgungsbehörden und die Verteidigung, aber auch sonstige Personen in Erfüllung eines rechtmäßigen beruflichen Auftrages.
Damit hat der Gesetzgeber alle sonstigen Rechtfertigungsgründe, u.a. auch das einem rechtstaatlichen Verfahren immanente Recht auf sachgerechte Verteidigung, zusammengefasst, zu einem Erlaubnistatbestand aufgewertet und sowohl, was den berechtigten Personenkreis angeht, als auch den Umfang ihrer Rechte, abschließend geregelt.
Auch das Anrecht auf eine wirksame Verteidigung gibt einem Beschuldigten also nicht das Recht, Kinderpornografie zu besitzen, bloß weil diese nun in die Aktendeckel einer amtlichen Ermittlungsakte gepresst ist und er über seinen Anwalt an dieses Material kommen kann. Folglich darf ein Anwalt seinem Mandanten auch keinen Besitz an solchem Material verschaffen, auch nicht im Wege falsch verstandener Akteneinsicht. Zu recht weist das Oberlandesgericht Frankfurt am Main darauf hin, dass sich der Beschuldigte die Beweismittel auch anders prüfen kann – bei der Staatsanwaltschaft oder unter der Aufsicht seines Verteidigers in dessen Büro.
Dem Anwalt droht jetzt eine Freiheitsstrafe. Möglicherweise kann er, je nach Schwere des möglichen Urteils, auch seine Zulassung verlieren.
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 2. November 2012, Aktenzeichen 2 Ws 114/12