Sich in Deutschland einen Pass und gar ein Visum zu verschaffen, bedeutet eine persönliche Erniedrigung. Kurt Tucholsky
Seit 2007 erhalten Bundesbürger nur noch dann einen Reisepass, wenn sie in dem Dokument ihre Fingerabdrücke auf einem RFID-Chip speichern lassen. Möglicherweise ist die Fingerabdruckpflicht rechtswidrig. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hat jedenfalls erhebliche Zweifel, ob dem Bürger so eine Prozedur zugemutet werden darf. Die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts fordert deshalb nun eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs an.
Geklagt hat der Bochumer Rechtsanwalt Michael Schwarz. Er wendet sich gegen das Überwachungspotenzial, welches mit einer faktischen Fingerabdruckpflicht für jeden Bürger geschaffen werde. Die offizielle Begründung, die Zuwanderung illegaler Flüchtlinge soll erschwert werden, nimmt der Jurist den Behörden nicht ab. Vielmehr erkennt er ein allgemeines Bestreben, den Menschen nur noch zum Objekt staatlicher Verwaltung (und Verfolgung) zu machen.
Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen nimmt die Argumente gegen die Fingerabdruckpflicht ernst. Sie hält es für möglich, dass bereits die europäische Richtlinie, auf der die deutschen Regeln beruhen, rechtswidrig ist. Deshalb soll nun der Europäische Gerichtshof vorab entscheiden.
In ihrer Begründung zitieren die Gelsenkirchener Richter gravierende Bedenken gegen die Fingerabdruckpflicht. Damit sei ein erheblicher Grundrechtseingriff verbunden, der möglicherweise in keinem Verhältnis zum Nutzen stehe. So bestünden große Zweifel, ob mit den RFID-Chips überhaupt illegale Einreise in nennenswertem Umfang vermieden werden könne. Es gebe vielfältige Möglichkeiten, die Kontrolleure zu täuschen. Als wichtigste nennen die Richter die Verwendung echter Pässe mit einer erschlichenen Identität. Hier sei eine Fingerabdruckkontrolle völlig wirkungslos.
Ausdrücklich weist der Beschluss auch auf die Gefahren des Datenmissbrauchs hin. Ebenso auf das Risiko, dass staatliche Stellen ohne Kenntnis des Inhabers auf die sensiblen Daten zugreifen, diese zentral speichern und zweckentfremden können.
Außerdem sehen die Richter auch formale Probleme. So sei das Europäische Parlament möglicherweise nicht richtig an der EU-Verordnung beteiligt worden. In der Vorlage, über die das Parlement entschieden habe, sei lediglich eine freiwillige Aufnahme der Fingerabdrücke vorgesehen gewesen. Die Fingerabdruckpflicht sei erst nachträglich eingefügt worden.
Insgesamt, so die Verwaltungsrichter, sei keinesfalls eindeutig, dass die EU-Vorgaben rechtmäßig sind. Damit seien die Voraussetzungen für eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs gegeben.
Für den Kläger sowie alle Betroffenen heißt es nun weiter warten, bis eine Entscheidung auf europäischer Ebene ergeht. Kläger Michael Schwarz ist das Geduldsspiel bereits gewohnt. Er hat bereits im Jahr 2007 geklagt. Die Gelsenkirchener Richter haben rund fünf Jahre gebraucht, um ihren Vorlagebeschluss zu fassen.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Beschluss vom 15. Mai 2012, Aktenzeichen 17 K 3382/07