Der Angeklagte weigerte sich, bei der Urteilsverkündung aufzustehen. Dafür brummte ihm der Strafrichter fünf (!) Tage Ordnungshaft auf, die der Betroffene absitzen musste. So weit so gut. Bei Amtsgerichten muss man auf schräge Zeitgenossen eingestellt sein – auch auf der Richterbank. Was mich aber nachdenklich macht, ist die Haltung des Oberlandesgerichts Celle zu der Inhaftierung des Angeklagten. Die Richter von der höheren Instanz haben an fünf Tagen Gefängnis für einmal Sitzenbleiben nämlich rein gar nichts zu beanstanden.
Wer wann im Gerichtssaal aufzustehen hat, ist gesetzlich nicht geregelt. Richter, die aber Wert auf so was legen, können also gar nicht auf juristische Dos und Dont’s pochen. Vielmehr greifen sie bei renitenten Zeitgenossen auf die sogenannte “Ungebühr” zurück, einen reichlich schwammigen Begriff im Gerichtsverfassungsgesetz. Die Ungebühr kann mit Ordnungsgeld bis zu 1.000 Euro geahndet werden. Oder eben mit Haft von bis zu einer Woche.
Ungebühr ist aber nicht jedes widerspenstige Verhalten. Das schreiben die Richter vom Oberlandesgericht Celle selbst:
Eine Ungebühr … ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts. Zu einem geordneten Ablauf in diesem Sinne gehört auch das Beachten eines Mindestmaßes von äußeren Formen und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsführung.
Die Ordnungsmittel … können insbesondere als Antwort auf grobe Verletzungen oder bewusste Provokationen eingesetzt werden.
Wieso ausgerechnet bloßes Sitzenbleiben das Mindestmaß von äußeren Formen unterschreitet, begründen die Richter nicht. Ebenso wenig erklären sie, wieso ein sitzender Angeklagter ein erheblicher Angriff auf die Sitzungsordnung oder den Gerichtsfrieden sein soll oder gar die Würde des Gerichts verletzt.
Das tun sie nicht, weil es nicht geht. Das Sitzenbleiben ist sozusagen fast noch die mildeste Form des Protests, die sich ein Angeklagter im Gerichtssaal leisten kann. Nicht aufstehen macht keinen Krach, es hindert die anderen Beteiligten nicht bei der Arbeit und gefährdet schon mal gar nicht Leib oder Leben. Ekelig ist es auch nicht, ganz im Gegensatz zu anderen Aktivitäten beispielsweise mit Spucke, Urin und Kot, die Menschen auch noch entfalten können.
Das war anscheinend auch den Celler Richtern klar. Deshalb schweifen sie ab und zählen auf, was sich der Angeklagte beziehungsweise Zuschauer im Gerichtssaal noch geleistet haben. Da ist von weiteren Störungen die Rede, gar von Zuständen, die eher an ein Happening erinnerten.
Für sonstige Sperenzchen oder Aktivitäten Dritter hat der Angeklagte die Ordnungshaft aber gerade nicht kassiert. Mit dieser Methode könnte das Oberlandesgericht Celle demnächst auch ein Urteil wegen Diebstahls aufrechterhalten, obwohl der Angeklagte gar nichts geklaut hat, er aber vielleicht schwarzgefahren ist. Hauptsache, am Ende kriegt er eins übergebraten. So eine Argumentation unterschreitet auch Mindestmaße, nämlich die seriöser juristischer Arbeit.
Einer Justiz, die einen Sitzenbleiber fünf Tage ins Gefängnis steckt, scheint es am gesunden Selbstvertrauen zu fehlen. Auch wenn sie dies nach außen hin als Hochmut tarnt.
Passend zum Thema: Münchner Richter besteht auf Krawatte
Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 17. Februar 2012, Aktenzeichen 1 Ws 504/11 / Das Heymanns Strafrecht Online Blog zum selben Thema