Die Beschlagnahme eines Facebook-Accounts durch einen Reutlinger Richter nimmt nun doch skurrile Züge an. Zum Beispiel, wenn man etwa bei Zeit online liest, dass der Richter seinen Beschlagnahmebeschluss ins Englische übersetzen ließ, das Papier per Post an Facebooks Europa-Zentrale in Dublin schickte und sich nun darüber beklagt, dass er auch nach Monaten keine Daten, ja noch nicht mal eine Antwort erhalten hat.
Was erwartet der Richter denn? Dass es bei Facebook in der Rechtsabteilung niemanden gibt, der einen Gerichtsbeschluss in deutscher Sprache lesen kann? Dann wäre die Übersetzung ins Englische in der Tat ein toller Service. Aber ansonsten hätte der Richter eigentlich auch vorher ahnen können, dass Facebook seinen Beschluss ignorieren wird, ja sogar muss – und zwar unabhängig von der Sprache, in der das Papier verfasst ist.
Auch im geeinten Europa hat unsere Justiz keinen Arm, der über die deutsche Landesgrenze reicht. Das gilt sogar für das Amtsgericht Reutlingen. An Facebook ohne Einschaltung der irischen Behörden einen Beschlagnahmebeschluss zu senden, ist juristisch so erfolgversprechend wie ein Anruf bei Coca Cola mit der freundlichen Bitte, doch mal bitte kurz das Geheimrezept der braunen Brause zu mailen.
Für Facebook Irland ist eine direkte Aufforderung durch ein deutsches Gericht so verbindlich wie die Einladung zu einer Butterfahrt. Erst wenn das Ganze über die Rechtshilfe läuft, das heißt die irische Justiz um Vermittlung gebeten wird, entsteht auch eine rechtliche Verpflichtung für Facebook.
So kompliziert ist das in der EU übrigens nicht. Die Justiz kooperiert weitgehend reibungslos. Ich habe beispielsweise schon erlebt, wie auf Anordnung deutscher Behörden Maschinenpistolen in einer Wohnung in Bukarest beschlagnahmt wurden. Das war eine Sache von Stunden. Server in Amsterdam dauerten vier Tage, und ein E-Mail-Account bei einem Provider in Madrid war nach einer knappen Woche gesichert. Die für diese Maßnahmen Verantwortlichen haben aber auch gleich ihre Kollegen im Ausland eingeschaltet und nicht erst darauf spekuliert, dass sich im Ausland jemand von einem Einschreiben beeindrucken lässt, selbst wenn ein deutsches Gerichtssiegel darauf prangt.
Facebook würde sich sogar ins eigene Fleisch schneiden, gäbe die Firma nach Eingang ausländischer Gerichtspost eilfertig Kundendaten heraus. Das wäre mit Sicherheit ein Verstoß gegen das irische Datenschutzrecht. Und die Kunden würden sich natürlich fragen, wieso Facebook ohne Not vor ausländischen Behörden kuscht. Völlig zu Recht übrigens.
Dass da in Reutlingen momentan was schiefläuft im Kampf Amtsrichter gegen Internetgigant, ergibt sich auch aus der aktuellen Entwicklung. Nun soll der Angeklagte erklärt haben, dass er die Daten freiwillig herausgibt. Nach dem normalen Lauf der Dinge sollte man ja dann auf den Gedanken kommen, dass die Polizei zunächst im Auftrag des Gerichts den Nutzernamen und das Passwort des Angeklagten bei Facebook eingibt und schaut, welche Daten sich hier und heute aus dem Profil ziehen lassen.
Aber nein, das Amtsgericht Reutlingen möchte, dass der Angeklagte bei Facebook eine “offizielle” CD mit allen seinen Daten besorgt. Das kann dann nur so funktionieren, dass der junge Mann bei Facebook eine Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten verlangt. Facebook wird derzeit gerade mit einer Welle solcher Anfragen überrollt und gibt sich alle Mühe, die fragenden Kunden möglichst lange auf die Antwort warten zu lassen. Man kann sich also ausmalen, wie lange ausgerechnet der User Al Capone aus Reutlingen in der Warteschleife schmoren wird.
Abgesehen von dem merkwürdigen Prozedere ist das alles natürlich auch eine Einladung an den Angeklagten, sein Profil ordentlich aufzuräumen. Gut möglich also, dass auf der offiziellen Facebook-CD wenig Aufschlussreiches zu finden ist, sofern sie dann eintrudelt. Irgendwann.
Aber der Richter sagt ja selbst, er habe kein Problem damit, als Tiger zu starten und als Bettvorleger zu enden. Ich fürchte nur, dass es mit dem Tiger von Anfang von Anfang an nichts war.