Killer-Becher

Schon des öfteren (Beitrag 1, Beitrag 2) habe ich dargelegt, dass Staatsanwälte und Strafrichter in durchaus alltäglichen Fällen ein Faible dafür haben, aus einem Werkzeug ein „gefährliches Werkzeug“ zu machen. Einfach, weil das Delikt dann halt nicht mehr die einfache Körpverletzung ist, sondern eine gefährliche. Klingt spannender – und auch die Strafe ist höher. Mindestens sechs Monate Gefängnis bringt eine gefährliche Körperverletzung ein.

Obwohl die Obergerichte die Fantasie an der juristischen Basis immer wieder bremsen, ist der Elan in dieser Richtung ungebrochen. Auch im Norden Deutschlands. Dort hat das Amtsgericht Hamburg heute den Katalog gefährlicher Werkzeuge auf bemerkenswerte Art und Weise erweitert – um den Getränke-Plastikbecher.

Angeklagt war ein Mann, der als „Becherwerfer“ im Fußball-Bundesligaspiel zwischen dem FC St. Pauli und dem FC Schalke 04 für Schlagzeilen gesorgt hatte. Der Betreffende soll leicht angetrunken gewesen sein, als er am 1. April gegen Ende des Spiels mit einem jedenfalls zum Teil gefüllten Plastikbecher nach dem Linienrichter warf. Der Schiri wurde im Nacken getroffen und ging leicht benommen zu Boden. Er litt später an Kopf- und Nackenschmerzen.

Man wird gespannt sein zu erfahren, wie der Richter ausgerechnet einen Plastikbecher als gefährliches Werkzeug einsortiert. Als gefährlich gilt dem Juristen ein Werkzeug dann, wenn es nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner konkreten Benutzung geeignet ist, erhebliche Körperverletzungen herbeizuführen. Die Plastikbecher, die ich kenne, klatschen vielleicht gegen den Kopf, es tut bei entsprechender Füllung weh, das war es dann aber auch. Ich wage deshalb die Prognose, dass der Plastikbecher aus der Liste der gefährlichen Werkzeuge schamhaft wieder gestrichen werden muss, wenn der Prozess in die zweite Halbzeit geht.

Allerdings besteht natürlich auch die Möglichkeit, dass es gar nicht so weit kommt. Interessanterweise hat das Amtsgericht Hamburg zwar die gefährliche Körperverletzung bejaht, aber nicht die vom Gesetz geforderte Mindeststrafe von sechs Monaten Gefängnis verhängt. Sondern es hat – mit welchem Kniff auch immer – auf eine nicht nur vom Gesetz nicht vorgesehene, sondern auch noch recht milde Geldstrafe von 150 Tagessätzen erkannt – und diese sogar noch als Verwarnung mit Strafvorbehalt ausgestaltet. Das heißt, die Geldstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Begeht der Angeklagte innerhalb von zwei Jahren keine neue Straftat, muss er die Geldstrafe nicht zahlen.

Besondere Umstände führten zur Zurückhaltung des Gerichts. So führte der Vorsitzende in seiner mündlichen Urteilsbegründung aus, mit dem Angeklagten habe kein gewaltbereiter Hooligan, sondern ein bislang unbescholtener Familienvater vor Gericht gestanden. Es sei zwar eine feige Tat gewesen, den Linienrichter mit dem Becherwurf von hinten anzugreifen. Dennoch müsse berücksichtigt werden, dass es sich um ein kurzfristiges situatives Versagen im alkoholisierten Zustand gehandelt habe.

Das Gericht habe bei der Suche nach der angemessenen Sanktion insbesondere auch die dem Angeklagten drohenden zivilrechtlichen Folgen seiner Tat berücksichtigt. So habe der FC St. Pauli eine Schadensersatzforderung in einer Größenordnung von EUR 400.000 gegen den Angeklagten angekündigt.

Damit wäre der Mann dann allerdings wirklich sehr hart bestraft.

Pressemitteilung des Amtsgerichts Hamburg